Wer rettet Ehrenfeld? Teil I

Anfang der 80er Jahre stand Ehrenfeld vor Veränderungen. Auf der Venloer Straße begann der Bau einer U-Bahn. Zudem standen viele Handwerks-betriebe, die das Viertel in der Nachkriegszeit prägten, vor dem Aus. Der Fotograf R. Maro lebte damals in der Glasstraße. Für die Stadtrevue zeigt er die Proteste und das Veedelleben jener Tage. Heute ist Ehrenfeld erneut im Umbruch. Migranten und Arme werden durch steigende Mieten verdrängt, Freiflächen fehlen, der Verkehr kollabiert. Nun droht auch noch ein kultureller Kahlschlag. Das Szeneviertel ächzt unter der Last seines Hypes. Wir haben uns auf einen Rundgang durch Ehrenfeld begeben und mit denen gesprochen, die den Wandel gestalten müssen.

Ehrenfeld kennt die Veränderung. Es hat sich vom Arbeiter- und Migrantenviertel der Nachkriegszeit gewandelt zum urbanen Szenestandort, einem bundesweit bekannten place to be. Aber mit einem Schlag ist das Ehrenfeld-Flair verschwunden — es ist Herbst. Wenn es wolkenverhangen und nass ist, wirkt der beliebteste Kölner Stadtteil graumäusig und bieder wie so viele Veedel. Ehrenfeld lebt nicht von prächtigen Straßen, mondänen Parks und schönen Altbauwohnungen. Das Viertel lebt davon, dass die Menschen, sobald die Sonne scheint, ihre Umtriebe hemmungslos auf die Straße verlagern: Sommer in Ehrenfeld ist immer ein italienischer Sommer. Laut und ausgelassen, voller Trubel und erstaunlich freundlich, auch wenn die Stimmung selbst unter der Woche schon ab Mittag alkoholgeschwängert ist. Ehrenfeld ist hedonistisch, Ehrenfeld ist AfD-freie Zone, in Ehrenfeld gibt es noch die einzige Partymeile Kölns — vom Artheater am Gürtel über den Clubbahnhof Ehrenfeld bis zum Heinz Gaul und weiter zum Sonic Ballroom. Mit dem Loft besitzt Ehrenfeld einen der bedeutendsten unabhängigen Jazzclubs Deutschlands. Ehrenfeld ist bunt, noch. Denn es ist bereits schwer von Gentrifizierung gezeichnet: Am Grünen Weg, wo einst heftig auf der Indus-triebrache gefeiert wurde, steht nun das neue Wohnquartier »Grüner Weg«. Obwohl es ein Familienparadies sein soll, wirkt es unbelebt, glatt und geleckt. Urbanität wird nur noch simuliert — in Schuhschachtel-Wohnungen, die elf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter kosten. 

 

In den kommenden Monaten werden die letzten Brachen in Ehrenfeld erschlossen: ein kleineres Areal zwischen Christian- und Leyendeckerstraße, der Güterbahnhof — und das Heliosgelände an der Venloerstraße, Ecke Ehrenfeldgürtel.

 

Dort plante 2010 der Kölner Bauunternehmer Paul Bauwens--Adenauer den Bau eines Einkaufszentrums. Als Partner hatte er unter anderem mfi, den Betreiber von rund zwei Dutzend Einkaufszentren in Deutschland. Der Konzern stand für Shopping-Center, die gewachsene Einzel-han-dels-strukturen zerstören und mit ihrer schnöden Architek-tur die Innenstädte verschandeln. 30.000 Quadratmeter Verkaufsfläche sahen die Pläne des Investors vor. Die Einzelhändler auf der Venloer Straße waren alarmiert. Was auf Ehrenfeld zukommen würde, konnten die Bürger in Kalk begutachten, wo mfi die »Köln Arcaden« errichtet hatte: ein überdimensioniertes Center mit gehobenem Ramsch, Discountern und Fastfood, das sich gegen den Stadtteil abriegelt.

 

Die Pläne sorgten im April 2010 für Empörung, als die Stadtrevue darüber berichtete. Im Monat darauf gründete sich die Bürgerinitiative Helios. 2010 war auch das Jahr der Proteste gegen »Stuttgart 21«, der Einsturz des Kölner Stadt-archivs, bei dem zwei Menschen starben, lag nur ein Jahr zu-rück. Was auf dem Helios-Gelände geschehen sollte, war für viele bloß ein weiteres Beispiel für die Ar-roganz der Macht.

 

Für Almut Skriver beginnt in diesem Moment eine Erfolgsgeschichte, an der sie selbst mitgeschrieben hat. Als die Architektin von den Plänen für ein Einkaufszentrum hörte, stellte sie sich mit ihren Mitstreitern aus der BI Helios auf das Venloer-Straßenfest und warnte die Menschen vor den Folgen. »Jeder hat sofort gesehen, welchen massiven Eingriff ein Einkaufszentrum darstellen und wie stark der Verkehr zunehmen würde«, sagt Skriver. »Davon abgesehen braucht man das nicht, in Ehrenfeld, man kann auch so alles kaufen.« Die BI Helios setzte bei Stadt und Investor ein ausführliches Bürgerbeteiligungsverfahren durch, in dem die Ehrenfelder über alternative Nutzungsmöglichkeiten diskutierten. Das »Heliosforum«, bei dem man schließlich die Idee eines Schulbaus durchsetzte — vorgeschlagen von der Schuldezernentin Agnes Klein (SPD) —, gilt der Stadt noch heute als Vorzeigeprojekt in Sachen Bürgerbeteiligung. 

 

»Unser Hauptziel haben wir erreicht: Das Einkaufszentrum kommt nicht. Das finde ich spektakulär. Ich weiß nicht, wie viele Initiativen es gibt, die bisher so ein großes Projekt verhindert haben«, sagt Skriver, die bei der Vorprüfung des Schulbauwettbewerb dabei war. Sie lobt den siegreichen Entwurf für die Inklusive Universitätsschule (IUS). »Diese innovative Schule belebt das Quartier, trägt zur sozialen Mischung bei. Ich hoffe, es wird ein Bildungszentrum für das ganze Quartier«, so Skriver. »Ich sehe schon die Bildungs- und Architekturtouristen da herumlaufen.«

 

Aber es gibt auch Menschen, die damals dabei waren und ein anderes Resümee ziehen. Ute Symanski rollt in ihrem Garten ein Plakat auf dem Tisch aus. »Deine Freunde fordern den Bauwens-Adenauer-Park« steht darauf. »Ist ja aktueller denn je«, sagt die Vorsitzende von »Deine Freun-de«. 2009 hatte sich die Wählergruppe in Ehrenfeld gegründet und zog bei der Kommunalwahl aus dem Stand in den Stadtrat ein — ein Jahr, bevor die Debatte um das Heliosgelände hochkochte. Aus dieser Zeit stammt das Pla-kat — ein Dokument der jüngeren Ehrenfelder Ge-schich-te. Und eines aus besseren Zeiten? »Auch wenn wir Erfolge vorweisen können: Für mich ist die Planung des Heliosgeländes gescheitert«, sagt Symanski. Die Lager haben sich aneinander abgearbeitet, es wird es mehr als zehn Jahre dauern, bis das Gelände fertig sein wird. »Es steckt Kalkül dahinter, ehrenamtliches Engagement, das in der Freizeit stattfindet, über viele Jahre zu zermürben«, sagt Symanski. »Geld ist sehr ausdauernd.« Es werde ein hoch verdichtetes Gelände entstehen, ohne ausreichend Freiräume und Aufenthaltsqualität, zudem stark kommerzialisiert. »Aber unser Erfolg bleibt, dass der Investor ein Teil seines Grundstücks für sehr viel Geld an die Stadt verkauft hat, damit dort die Heliosschule entsteht.« Die Forderung, aus dem Areal im Zentrum Ehrenfelds eine Grünfläche zu machen, hatten Deine Freunde als Provokation verfasst, um herauszustellen, wie nötig Freiflächen sind: Kaum ein Stadtteil in der Innenstadt ist derart verdichtet und hat so wenig Grün wie Ehrenfeld.

 

»Wir hätten radikaler und unnachgiebiger in unseren Forderungen sein müssen. Wir haben uns ein wenig ein-lullen lassen«, sagt Harald Schuster, der für Deine Freunde in der Ehrenfelder Bezirksvertretung sitzt. Es gebe die Tendenz, Investoren mitzudenken. »Eine private, kleine Wirtschaftsförderung durch vorauseilenden Gehorsam.«

 

 

Partys haben Ehrenfeld beliebt gemacht, auch bei Investoren 

 

Die Parallelen zu den aktuellen Geschehnissen um den Ehrenfelder Güterbahnhof sind unverkennbar. Die 70.000 Quadratmeter sind die letzte große Freifläche des Veedels. Nun wird dort das »Ehrenveedel« entstehen. 

 

Martin Schmittseifer kann für sich beanspruchen, -diesem Gelände eine neue Identität gegeben zu haben. Der Verein »Jack in the Box«, dessen Vorstand Schmitt-seifer ist, hat mit soziokulturellen Angeboten, aber auch Partys auf dem wüsten Bahnhofsgelände einen gehörigen Anteil an der Beliebtheit von Ehrenfeld. Das aber hat auch Begehr-lich-kei-ten von Investoren geweckt. Jetzt plant der Immobilienent-wickler Aurelis Gewerbe und 450 Wohnungen. Davon sollten 30 Prozent als Sozialwohnungen errichtet werden, so sah es die Politik vor. Doch Aurelis konnte das »Kooperative Baulandmodell« umgehen, nun werden es wohl nur 20 Prozent. Das Gelände ist mittlerweile fast vollständig abgerissen. 

 

Auch Schmittseifer ist vor rund einem Jahr mit Jack in the Box umgezogen, nach Bayenthal — und erwartet doch, dass man ihn zurückholen werde. Das wollte auch die Politik. Jack in the Box wollten ihr Gelände kaufen, von dieser Zusage aber will Aurelis heute nichts mehr wissen. Der Investor will selbst bauen. Zwar gibt es nun ein »Konsenspapier«, aber vor allem Streit. In dem Papier bekunden Schmittseifer und Aurelis, »dass in gemeinsamen Workshops die Konfliktlinien thematisiert und möglichst beseitigt werden sollen.« Es geht um die sogenannte Ostspitze des Güterbahnhofs, wo die Vogelsanger Straße die Bahntrasse unterquert. Dort will Aurelis auf 12.000 Quadrat-metern bauen, der Rat der Stadt gab dafür im Juli seine Zustimmung. Kulturelle Nutzungen sollen »möglichst« berücksichtigt werden. 

 

Güterbahnhof: früher Peripherie, später Rambazamba

 

Unterdessen feiert Aurelis am 7. September den ersten Spatenstich. Dazu erscheinen Lokalpolitiker, Architekten, Landschaftsgärtner und auch Player, die das neue Wohn- und Gewerbequartier bespielen wollen. Schwere Limousinen und SUV fahren vor, wirbeln kleine Staubwolken auf, Männer mit offenen weißen Hemden, gegelten Haaren und breitem Grinsen steigen aus. Der vor 15 Jahren still-gelegte Güterbahnhof war Ehrenfelds Peripherie, land‘s end. Die Vogelsanger Straße, die um ihn herumführt, hinterlässt immer noch einen zerrupften Eindruck, viele -schäbige Bauten, kaum Leben auf der Straße. Zumindest das Leben kam zurück mit den »Party People«, wie die Stadtverwaltung den Feier-Tourismus nennt. Doch jetzt? »Schluss mit Rambazamba«, verkündet Ehrenfelds Bezirksbürgermeister Josef Wirges (SPD), halb resigniert, halb belustigt. Unruhig streift er durch das Völkchen der Immobilienentwickler. Mit seiner schweren Lederjacke, dem Bärtchen und seiner hemdsärmeligen Attitüde sieht Wirges wie ein Bouncer aus — aber für wen macht er den Türsteher? Für das Ehrenfeld, das mit der Gentrifizierung hadert? Oder doch für die Investoren, die Wirges in ihre Vorhaben selbstverständlich mit einbezogen haben, weil sie wissen, wie wichtig es ist, den beliebten Nachbarschaftspolitiker auf ihrer Seite zu haben? 

 

Wirges singt den sozialdemokratischen Blues. Ein guter Termin sei das heute, sagt er, aber kein schöner. Wirges lobt Aurelis und betont zugleich: »Eigentum verpflichtet!«, denn bei der Entwicklung eines Geländes könne es nicht nur um Profitmaximierung gehen. Häppchen werden vorbeigetragen, Wirges greift zu. »Gucken wir mal!«, ruft er laut in die Runde. Im Gespräch lässt er durchblicken, dass man während des Bürgerbeteiligungsverfahrens die Profitbestrebungen von Aurelis durchaus eingehegt habe, aber dann zuckt er mit den Schultern, die Gentrifizierung ist nicht mehr zu stoppen. 

 

Konversionsflächen wie das Güterbahnhof-Gelände seien die letzte Möglichkeit, die Entwicklung im Viertel zu steuern und für Durchmischung zu sorgen, sagt Niklas Kienitz. Er ist gebürtiger Ehrenfelder, und er kann mehr bewegen als andere hier. Kienitz ist Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses, zudem Geschäftsführer der CDU-Ratsfraktion. »Vertreter der Großstadt-CDU«, wie er betont. Er hat kein Problem, sich mit einer Klientel auseinanderzusetzen, die bislang nie auf die Idee gekommen wäre, CDU zu wählen.

 

»Das hier ist der Ehrenfelder Mix — den wollen wir natür-lich erhalten«, sagt Kienitz, als er über die Lichtstraße schlen-dert. Die Lichtstraße ist derzeit ein Ort der Extreme, tip-top -renovierte Gebäude stehen neben pittoresk heruntergekommenen Gewerbehallen, mittendrin residiert die Live Music Hall, der klassische Kölner Rockmusik-Tempel. Sonic Ballroom und Heinz Gaul, also Punk und Techno, markieren Beginn und Ende der Straße. Erstaunlich viele Leute wohnen in den Winkeln und Hinterhöfen dieser Straße. Ist es wirklich ein Mix — oder nicht viel mehr ein Übergang? Die Lichtstraße grenzt an das schicke Vulkangelände und ans kalte Wohnquartier vom Grünen Weg, die Durchsanierung rückt bedrohlich nah. Die Tage des Heinz Gaul sind wohl auch bereits gezählt, der Mietvertrag läuft 2019 aus.

 

Kienitz steht vor der Live Music Hall und dreht sich um. Schlagartig fällt ihm dort das wuchtige Gebäude auf, das vor kurzem noch Industrieruine war. Für den Moment ist er sprachlos, das Tempo der Luxussanierung scheint auch ihn zu überraschen. Die Szene werde weiterziehen, meint er, das sei einfach eine großstädtische Entwicklung, es werde woanders weitergehen, vielleicht in Kalk. In Kalk? Aber da sind die — wenigen — Venues doch schon wieder geschlossen, das Autonome Zentrum (AZ) musste Kalk vor vier Jahren verlassen. Wieder ist Kienitz für einen Moment sprachlos. Thor Zimmermann, »Mr. Körnerstraße«, früher bei Deine Freunde, jetzt bei der abgespaltenen »Guten Wäh-lergruppe« im Stadtrat, kommt vorbei. Man grüßt sich. Kie-nitz grübelt, vielleicht werde ja irgendwann Fühlingen sexy. 

 

Kienitz ist aber auch optimistisch. Er glaubt, dass kreative Projekte gerade davon leben, dass sie sich neue Orte suchen. Dennoch stellt sich für ihn, zumal als Ehrenfelder, die finale Frage, ob Ehrenfeld »spannend und schmuddelig« bleibe oder ob es werde wie die Südstadt und das Belgische Viertel. Viele in Ehrenfeld befürchten eben das. 

 

 

Freiflächen oder Wohnraum — muss man sich entscheiden?

 

Rund 62.000 Menschen lebten im Jahr 2016 in den Stadtteilen Ehrenfeld und Neuehrenfeld, gut 2.800 mehr als noch im Jahr des Aufbruchs 2010. Doch die Zahl von -Migranten sinkt ebenso wie die von ALG2-Empfängern. Der Wohnraum ist knapp, die Mieten steigen. Aber auch die freien Flächen sind knapp. Was soll dort geschehen? Braucht Ehrenfeld neue Kreativprojekte auf Brachen oder nicht doch Wohnungen, vor allem günstige?

 

Diese Gegenüberstellung nervt Harald Schuster von Deine Freunde. Für ihn ist es ein Fehler, notwendige Freiräume gegen notwendigen Wohnraum auszuspielen. »Das geht in beiden Fällen zu Lasten der Menschen.« Dennoch: Kampagnen für den Erhalt von Veranstaltungskultur mobilisieren weit mehr Menschen als die Wohnungsnot. Verstellen Einzelinteressen den Blick aufs Wesentliche?

 

Als sich 2010 die BI Helios gründete, habe man »mal über den Tellerrand geschaut«, sagt Jörg Detjen, Ehren-felder und Fraktionsvorsitzender der Linken im Stadtrat. Migranten, Arme und das Thema Bildung seien in den Blick gerückt. Die Inklusive Universitätsschule, die 2023 eröffnen soll, sei ein Projekt, das diese Aspekte vereinige. »Das durchzusetzen, war ein Erfolg«, sagt Detjen. Mittlerweile aber vermisse er bei den Debatten um Ehrenfeld »den Blick aufs große Ganze«, etwa beim Streit um Kultur und Freiräume. Dass es zu wenige Sozialwohnungen gebe, werde von den wenigsten thematisiert. Das Kooperative Baulandmodell sei im Stadtrat viel zu spät beschlossen worden, auch hätte man in Ehrenfeld Milieuschutzsatzungen erlassen können, die etwa Luxussanierungen untersagen und Mieter vor Verdrängung schützen. »Ich sehe die Gefahr, dass die Investoren hier machen können, was sie wollen«, sagt Detjen. »Wir suchen Bündnisse dagegen.«

 

Bündnisse bilden sich auch weiterhin in Ehrenfeld — aber nicht für Sozialwohnungen. »Kulturstandorte in Köln und Ehrenfeld retten!« wird in einer Petition gefordert, die von Jack in the Box sowie der Klubkomm, dem Lobby-verband Kölner Clubs und Veranstalter, verfasst wurde. Die Schließung von Underground und Jack in the Box ist für viele Menschen das Sinnbild eines »kulturellen Kahlschlags«. Neben der BI Helios unterstützen auch SPD und Grüne in Ehrenfeld die Kampagne.

 

Jörg Frank, Vorsitzender des Liegenschaftsausschusses und Fraktionsgeschäftsführer der Grünen im Rat, fordert Aurelis auf, sich an die städtebaulichen Vorgaben zu halten. Dazu zähle auch, kulturwirtschaftliche und soziokulturelle Angebote zu erhalten. Jack in the Box gehört dazu. 

 

Dass ausgerechnet die Schließung des Underground Mitte September zum Sinnbild dieses kulturellen Kahlschlags wird, stößt in der Politik aber auf Unverständnis. Die Pläne für das Areal waren schließlich seit Anfang 2014 bekannt, und ihr Konzertprogramm können die Underground-Besitzer in der DQE-Halle auf dem Heliosgelände fortführen. In Zukunft ist dort eine »Kulturmeile« vorge-sehen, zu der auch ein neuer Musikclub gehört.

 

Auch der SPD-Ratspolitiker Andreas Pöttgen und seine Partei haben die Petition unterzeichnet. Im Gespräch zeigt er allerdings ein ambivalentes Verhältnis zur Ehrenfelder Kulturszene. »Es wird oft mit Projektionen gearbeitet«, findet Pöttgen, der in Ehrenfeld wohnt und aufgewachsen ist. »Der Begriff Kultur steht vor allem für ein Lebensgefühl. Aber welche Kultur meint man überhaupt?«, so Pöttgen. »Geht es um Veranstaltungskultur oder um soziokulturelle Projekte? Was etwa an einer Langen Nacht der Weine Soziokultur sein soll, muss mir mal jemand erklären.«

 

Pöttgen ist seit zwei Jahren Geschäftsführer des Bürger-zentrums Ehrenfeld (BZ) an der Venloer Straße. »Wir bemü-hen uns im BZ darum, dass hier die unterschiedlichsten Menschen reinkommen«, sagt er und spricht von Austausch, Begegnung, Freiräumen für Ideen. Die Durchmischung, die dem Veedel abhanden zu kommen droht, wolle er hier schaffen. Gegen ein paar bärtige Hipster mit Jutebeutel in der BZ-Gastronomie hätte er nichts. Doch die Gentrifizierung bleibt draußen.

 

Pöttgen berichtet, wie schwierig es für ihn war, eine neue Wohnung im Veedel zu finden. »In der Gentrifizierung sind wir dort angelangt, wo es weh tut. Jetzt kommt nur noch Veredelung. Die Pioniere werden verdrängt.« Was tun? Pöttgen plädiert für mehr Genossenschaften.
Sie seien ein Garant für preiswerten Wohnraum, sagt er. »An-sonsten droht Ehrenfeld zur Lifestyle-Arena zu werden.«

 

Oder ist Ehrenfeld längst dazu geworden? Das Viertel wird als Hort der subkulturellen Verfeinerung wahrgenommen, selbst der Handel ist hier antikapitalistisch eingefärbt. Kunst ist vor allem »kreativ«, das Handwerk »gut«. Sie eint, dass alles stets »mit Liebe« gemacht ist oder doch zumindest so wirken soll. Das Marktschreierische ist zum werberischen Understatement sublimiert. Design-Lädchen preisen gehobenen Nippes an, die Karten der Gastronomien sind randvoll mit fairtrade, vegan und bio. In den Zeitungsständern der Cafés und auf den Flyer-Ablagen der Kneipen versammelt sich Kreativität und gutes Gewissen.

 

Das ist die eine Seite von Ehrenfeld, und es ist jene, die meist wahrgenommen und auch vermarktet wird. »Industriecharme und Street Art prägen das Straßenbild und begeg-nen uns immer wieder auf unserer Route durch das quirlige Viertel. Es geht vorbei an alternativen Bars, Clubs, gemütlichen Cafés und trendigen Geschäften sowie diversen Vertretern der hiesigen Streetfood-Küche.« Das schreiben nicht wir, das schreibt Köln-Tourismus. Es ist
die Rekla--me für die Stadtführung »#urbanCGN Ehrenfeld«, anderthalb Stunden Ehrenfeld-Flair für 165 Euro, und wer es auf Englisch hören möchte, legt noch mal 30 Euro drauf.

 

 

Ein-Euro-Läden, Wettbüros und altbackene Ladenzeilen

 

Aber es gibt auch die andere Seite von Ehrenfeld: den plumpen Kommerz, derb und ungefiltert. Die Venloer Straße ist voll mit Ein-Euro-Läden, stadtauswärts nehmen die Wettbüros zu und auch die auf edel getrimmten Bars, die dennoch lieblos anmuten. Doch auch die alteingesessene Läden gibt es noch — eine Metzgerei, ein Bäcker, ein kleiner Optiker, ein Schreibwarenladen. Fragt man dort, wie man sich in Ehrenfeld sieht, ist der Tenor immer der gleiche: Ja, wir sind hier die Letzten, aber danke der Nachfrage, unser Laden läuft gut. Was die Ladenzeilen angeht, ist der »Ehrenfelder Mix« jedenfalls überhaupt nicht hip.

 

»Hip« ist auch nicht die Kategorie für einen ungewöhnlichen Laden, das »Atelier Farbenspiele« neben dem Alpener Platz. Es ist die Antithese zur Ehrenfelder Kreativszene. Dort wird zeitgenössische abstrakte Kunst als Handwerk zelebriert: Michael Pfannschmidt, Maler und Bildhauer, versteht sich als Dienstleister, der Aufträge entgegennimmt und seine Bilder auch als Einrichtungsgegenstände konzipiert. Pfannschmidt stattet Arztpraxen, Autohäuser, Bürogebäude aus. Pfannschmidts Kunst ist bezahlbar, jeder soll sie sich leisten können. Er sei Geschäftsmann, sagt Pfannschmidt, und — dabei muss er grinsen — Anarchist. Sein von allen Straßenseiten einsehbares Atelier ist Werkstatt und Ausstellungsraum zugleich, er brauche keine Galerie mehr, sagt er. Pfannschmidt möchte auch keine Szeneanbindung. Manchmal, erzählt er, kämen Künstlerkollegen herein, die für ihre Performances und Ausstellungen Plakate bei ihm aufhängen wollten. »Aber das ist doch absurd!«, ruft Pfannschmidter aus. »McDonald’s lässt doch auch nicht zu, dass Burger King bei ihnen Werbung macht.« Große, mit dem Rakel produzierte Schlieren- und Wischbilder hängen an den Wänden. Diesen Stil kennt man von einem ungleich bekannteren Kollegen. Pfannschmidt nickt. Wenn er sehe, wie Gerhard Richter vor seinen Rakelbildern stehe und behaupte, er habe Monate daran getüftelt, dann könne er das innere Lachen Richters regelrecht spüren. »Das glaubt der doch selbst nicht!« Pfannschmidt ist Selfmademan und Einzelgänger. Die Gentrifizierung rauscht an seinem Atelier vorbei.

 

Was aber, wenn sie den Rest des Veedels bald mit -voller Wucht erwischt? Was tun, wenn es immer weniger Freiflächen gibt? Fragt man Harald Schuster von Deine Freunde, antwortet er mit dem Lieblingsthema seiner -Partei: die Verkehrswende. »Nur so können wir ein Stück öffentlichen Raum zurückgewinnen.« Weniger Autos, mehr Platz für Fußgänger, Radfahrer und Begegnungen auf Plätzen. Das klingt gut, nach mehr Lebensqualität.
Die Mieten sinken dadurch allerdings auch nicht.

 


»Wer rettet Ehrenfeld»
Lesen Sie auch die anderen Texte unseres Stadtteilporträts:

→ Ehrenfeld ist nicht mehr für alle
→ Ehrenfeld – eine Komödie

 


Weitere Stadtteilporträts in der Stadtrevue:

→ Ehrenfeld (2010)
→ Kalk (2011)
→ Mülheim (2012)
→ Porz (2013)
→ Nippes (2014)
→ Chorweiler (2015)
→ Deutz (2016)