Die Zeitlosigkeit guter Texte

Das Schreibheft, Kölns eigensinnige Literaturzeitschrift,

feiert ihren 30. Geburtstag

Wie macht man eigentlich eine Literaturzeitschrift? Ganz einfach: Im regelmäßigen Abstand stellt man einige Erzählungen zusammen, streut hier und da ein Gedicht ein und garniert das Ganze mit einer Handvoll Re­zensionen zu den wichtigsten Neuerscheinungen. Leider ein allzu simp­les Rezept, das Norbert Wehr mit Sicherheit Bauchschmerzen bereiten würde. Denn der Herausgeber des Schreibheft zeigt nun schon seit drei Jahrzehnten, wie es anders und vor allem besser geht.

Jede Ausgabe der Zeitschrift enthält in der Regel zwei »Dossiers«, in denen Primär- und Sekundärtexte zu einem bestimmten Thema nach einem komplexen Kompositionsprinzip zusammengestellt werden, das deutlich die Handschrift Wehrs verrät ­und zu einem Markenzeichen des Schreibheft geworden ist. Ein Bespiel aus der aktuellen Jubiläumsausgabe: Sie enthält etwa die deutsche Erstübersetzung eines späten Gedichtbandes des »Moby Dick«-Autoren Herman Melville, versehen mit einer Nachbemerkung des Übersetzers Alexander Pechmann. Dazu gibt es einen »Brief für Melville« von Charles Olson, Verfasser eines Standardwerkes zu Melville, sowie wiederum eine Nachbemerkung zu eben jenem Brief aus der Feder des ­Essayisten Gerd Schäfer. Das klingt nach Spezialistentum und ist es auch – und doch wieder nicht. Denn indem das Schreibheft literarische Texte in solche Zusammenhänge stellt, beweist es die Lebendigkeit einer Praxis des Schreibens, die sich wenig um gängige Orthodoxien schert. Einiges blieb sicher einer kleinen Leserschaft vorbehalten, in manchen Fällen aber zog die literarische Öffentlichkeit nach.

Noch bevor etwa Autoren wie William Gaddis oder ­William H. Gass hierzulande Erfolge feierten, fand im Schreibheft eine lebhafte Beschäftigung mit der amerikanischen Postmoderne statt, einige zentrale Texte erschie­nen hier zum ersten Mal in deutscher Übersetzung. Im Laufe der Jahre ist so ein loses Netzwerk von Autoren, Übersetzern, Kritikern und Literaturwissenschaftlern entstanden, deren Zusammenspiel unter der aufmerksamen Regie von Norbert Wehr zu spannenden Ergebnissen führt. Wer sich darauf einlässt, den manchmal verschlungenen Pfaden dieser Art von Auseinandersetzung zu folgen, kann im Schreibheft lesend nachvollziehen, wie aktuell Literatur jenseits des Tagesgeschäftes und der Kanonisierung sein kann.

StadtRevue: Herr Wehr, wie sind Sie zum Schreibheft gekommen?

Norbert Wehr: Ich leistete ge­rade meinen Zivildienst, als die ersten Ausgaben in Essen erschienen, das waren anfangs einfache getackerte, faksimilierte Schreibmaschinenseiten. Einer der ersten Herausgeber, Ulrich Homann, faszinierte mich gleich als charismatische Persönlichkeit. Ich interessierte mich noch gar nicht so lange für Literatur, aber über ­Homann bin ich dann zur Redaktion gestoßen.

Wann haben Sie für das Schreibheft die Form gefunden, die es heute hat?

Fünf, sechs Jahre hat es schon gedauert, bis dieses Kompositionsprinzip gereift war. Deshalb beginnt auch der Reprint, der 1998 bei Zweitausendeins erschienen ist (leider vergriffen, Anm. der Redaktion), erst mit Heft 22.

Ihre Rolle ist die des Impulsgebers, aber das Netzwerk ist wichtig: Wie hoch ist der Anteil von Heften, die sich Anregungen von außen verdanken?

Das Verhältnis ist etwa fünfzig/fünfzig. Aber auch wenn ich nicht eigene Ideen umsetze, sondern auf Vorschläge reagiere, ist mein Anspruch als Herausgeber, dass die Dinge sinnvoll komponiert werden. In einem Diskussionsprozess mit dem jeweiligen Ideengeber finden wir schließlich die endgültige Form.

Wie lässt sich so eine aufwändige ­Arbeit überhaupt finanzieren?

Wie alle anderen vergleichbaren Zeitschriften ist auch das Schreibheft immer angewiesen gewesen auf Unterstützung. Da hat es die unterschiedlichsten Quellen gegeben, private, öffentliche, zuletzt etwa den Literaturfond. Ich kann nur hoffen, dass es auch in ­Zukunft möglich sein wird, die Zeitschrift auf diesem Niveau zu machen.

Aufgrund der Arbeitsweise ist das Schreibheft sehr eng an Ihre Person gebunden. Gibt es Pläne, wie es weitergeht, wenn Sie vielleicht einmal damit aufhören?

Ich würde mir natürlich wünschen, dass es das Schreibheft auch ohne mich weiter geben würde – aber ehrlich gesagt ist da im Moment kein Nachfolger in Sicht. Die Leute, die sich heute für Literaturzeitschriften interessieren, die gründen ihre eigene. Es gibt ja in letzter Zeit einige interessante Neugründungen.

Zum Schluss die schwierigste Frage: Was macht gute Literatur aus?

Das ist jetzt sehr allgemein, aber sagen wir: Gute Literatur muss für mich etwas Widerständiges haben, am besten irgendwelche unauflöslichen Fragen, wie zum Beispiel bei Ezra Pound, über den es im nächsten Heft ein Dossier geben wird: War er nun Faschist oder nicht? Solche Fragen können mich bei bestimmten Autoren jahrelang umtreiben. Das klingt heute vielleicht schon altmodisch, aber mich interessiert eine Literatur, die an den Traditionen der Moderne weiterschreibt und sich ihrer Geschichte bewusst ist. Abgesehen von naiver Literatur ist im Schreibheft-Kosmos eigentlich sehr viel möglich.

Jubiläumsausgabe: Schreibheft Nr. 68,
Rigodon-Verlag, Essen, April 2007, mit Comics & Literatur, M. Beyer, B. Kronauer, K. Röggla, O. Pastior, H. Melville, Ch. Olson, J. Kjaerstad, 191 S., 10,50 Euro.

Kontakt: schreibheft@netcologne.de