Foto: Dörthe Boxberg

Kaffee in vollen Zügen

Er ist die Metapher für einen stressigen und zugleich lustvollen Alltag: Kaffee. Im To-go-Becher ist er zum Accessoire für den öffentlichen Raum geworden, aber auch der Kaffeeklatsch kommt wieder

 

Überall Cappuccino und Sojamilch-Latte — unser urbanes Leben wirkt längst wie ein endloser Kaffeeklatsch. Wie es dazu kam, was Kaffee mit unserem Selbstbild und mit Politik zu tun hat und wo man Kaffee am besten trinken kann, zeigen unsere Extraseiten

 

Ein ganz normaler Morgen in der KVB. Menschen steigen ein und aus. Einige von ihnen balancieren Becher aus Pappe in der Hand. Andere solche aus Plastik, Bambusfasern oder Keramik. An den Haltestellen ist die Kaffeebecher-Dichte noch höher. Vielleicht weil man in der Straßenbahn eigentlich nicht essen und trinken darf. Aber so oder so, Kaffee scheint eine eminente Bedeutung für unseren morgendlichen Alltag zu haben. Kaffee symbolisiert den Start in den Tag, bevor man sich an den Schreibtisch oder hinter die Kasse begibt.

 

Dabei ist Kaffee nicht gleich Kaffee und Becher nicht gleich Becher. Kaum ein Lebensmittel hat in den vergangenen Jahrzehnten so viele Dogmen in Herstellung, Zubereitung und Genuss über sich ergehen lassen wie Kaffee. Und kaum ein Lebensmittel erzählt so anschaulich die Geschichte unseres urbanen Zusammenlebens und lässt gesellschaftliche Verfasstheiten sichtbar werden.

 

In der kulturwissenschaftlichen Nahrungsforschung werden Lebensmittel in fünf Kategorien eingeteilt: Prestigeprodukte, die die gesellschaftlichen Position ihres Konsumenten anzeigen, und Statusprodukte, welche die Gruppenzugehörigkeit eines Individuums symbolisieren. Außerdem gibt es Fetischprodukte, die der magischen Stärkung des eigenen Ichs dienen, sowie hedonistische Produkte, die ausschließlich dem Lustgewinn dienen. Und schließlich Lebensmittel, die wir aus ernährungsphysiologischen Gründen brauchen. Kaffee to go ist all das —
mit Ausnahme der letzten Kategorie. Denn für das Überleben hat Kaffee keine Bedeutung.

 

Kaffee ist Prestigeprodukt, wenn quer über den Becher unser Vorname mit einem dicken Filzstift geschrieben ist. Er signalisiert unseren Wohlstand oder zumindest, dass wir bereit sind, einen ordentlichen Preis zu bezahlen für einen doppelten Shot mit laktosefreier Milch und zuckerfreiem Hazelnut-Sirup. Nicht aus dem Vollautomaten in der Backstation, sondern fachgerecht zubereitet von einem studentischen Barista in schwarzer Schürze. 

 

Dass Kaffee Statuszugehörigkeit beschreibt, haben die Black Fööss schon 1978 mit »Kaffebud« besungen. Jeden Morgen um halb zehn nämlich, treffen sich der Schreiner, der Verputzer, der Maurer, der Briefträger und der Polizist an der Kaffeebud. Sie »schödden sich de Kaffe in d’r Kopp« und geraten über die eine oder andere Bemerkung miteinander in Streit. Kaffee ist nicht nur ein Getränk der Hipster, er wird nicht nur im Belgischen Viertel getrunken, sondern auch in Ostheim und Bickendorf .

 

Kaffee ist Fetisch, wenn wir morgens nicht ohne ihn können, wir unsere eigene Tasse im Büro haben, die niemand anderes benutzen darf. Und Kaffee ist selbstredend ein zutiefst hedonistisches Produkt. Dann nämlich, wenn der Preis ins Spiel kommt für Blonde Roast und Cold Brew. Kaffee funktioniert ähnlich wie Grillen oder Craft Beer über den Preis von Produkt und Zubehör, die maximalen Genuss und wahrhaftes Gefühl versprechen. Darüber hinaus ist Kaffee perfekt geeignet für unseren urban-hypermobilen Lebenswandel. Man kann ihn im Gegensatz zum Indian Pale Ale rund um die Uhr trinken, ohne schräg angeschaut zu werden, und man kann ihn im Gegensatz zum Weber-Grill eben ohne große Probleme mit in die KVB nehmen.

 

Der morgendliche Kaffee ist in den Metropolen gegenwärtig vor allem ein  Phänomen des öffentlichen Raums. Kaffee kaufen und konsumieren wir gern auf dem Weg zur Arbeit, zum Sport oder zur Uni. Der Becher in der Hand ist ein demonstratives Emblem unserer dauerhaften Mobilität.

 

Noch im Wirtschaftswunder-Deutschland hingegen war der Verzehr von Lebensmitteln auf der Straße anstößig. Für Generationen von Bundesbürgern begann der Alltag mit einer sanft vor sich hinbrabbelnden Kaffeemaschine, niemand wäre auf die Idee gekommen, einen Kaffee durch die Straßen zu tragen. In Gertrud Oheims Benimmklassiker »1x1 des guten Tons« von 1960, quasi dem Gesetzbuch des bürgerlichen Anstands, heißt es über Essen und Trinken auf der Straße: »Die wirkliche Dame, der wirkliche Herr wird es auch heute nicht tun, obwohl man manchmal sonst leidlich wohlerzogene Leute gegen diese Regel verstoßen sieht.« 

 

Der Konsum von Kaffee war bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts an ganz bestimmte Räume gebunden. Etwa das künstlerisch-literarische Kaffeehaus, das private Wohnzimmer oder das vornehme Konditorei-Café. Aber auch im Privaten war Kaffeetrinken eine erklärungsbedürftige Angelegenheit: »Man schlürft ihn nicht, sondern trinkt ihn lautlos in kleinen, je nach Güte des Getränks mehr oder weniger genießerischen Schlucken«, so Oheim. »Unnötig schließlich zu sagen, dass das Auskippen des Tasseninhalts in die Untertasse völlig gegen den guten Ton ist.«

 

Der städtische Kaffee ist über die Jahrzehnte aus dem privaten oder dem halb-privaten in den öffentlichen Raum gewandert. Nahezu überall kann man Kaffee kaufen, mitnehmen und trinken. Ob beim Bäcker oder im Eingangsbereich des Discounters, ob auf dem Wochenmarkt oder im Lounge-Bereich des gehobenen Schreibwarenhandels. Den direkten Konsum hat das nicht wesentlich vereinfacht. Da, wo der Bürger früher lernen musste, den Kaffee nicht aus der Untertasse zu trinken, sieht er sich heute mit einer anspruchsvollen Roast-Brew-Size-und-Topping-Challenge konfrontiert.

 

Warum aber haben wir so ein komplexes Verhältnis zu dem Getränk, das wir jeden Tag zu uns nehmen?

 

Kaffee, so schreibt der Nahrungsethnologe Gunther Hirschfelder in seiner Geschichte der europäischen Esskultur, ist ein »gesunkenes Kulturgut«. Der Adel machte den Kaffee in Europa »hoffähig« im wahrsten Sinne des Wortes, und das Bürgertum war bestrebt, den Adel nachzuahmen, indem es dessen Kulturmuster übernahm. In Deutschland wurde das erste Kaffeehaus 1671 in Hamburg eröffnet, aber bis weit ins 18. Jahrhundert hinein blieb das Getränk ein ausgesprochenes Luxusprodukt.

 

Aber wie kommt der Kaffee nun auf die Straße? Der den Deutschen nach den Kriegen verbliebene Adel wird wohl kaum als Vorbild gedient haben. Die Antwort liegt im Fernsehen. Das Unternehmen Starbucks eröffnete 2002 seine ersten deutschen Filialen in Berlin. Seit 1998 schon war jedoch das deutsche Publikum auf den öffentlichen Kaffeekonsum vorbereitet worden. Etwa durch TV-Formate wie die Anwaltsserie »Ally McBeal«, deren gleichnamige Protagonistin einen Start in den Tag ohne ihren »Cappuccino to go« für schlicht unvorstellbar hielt. Eine Influencerin avant la lettre. Ally McBeals Kaffeebecher war eine Metapher für die Zutaten eines stressigen und zugleich lustvollen Alltags.

 

Doch auch das Starbucks-Logo samt Vornamen, mit dickem Filzstift geschrieben, ist beinahe wieder passé. Stattdessen signalisiert heute ein wiederverwendbares Behältnis Achtsamkeit und Nachhaltigkeit, so gekauft diese Werte auch sein mögen. Der Kaffeebecher spricht eine deutliche Sprache: Pappe mit Plastikdeckel einerseits, wiederverwendbarer Porzellanbecher andererseits. Von welcher Bedeutung die Entscheidung ist, haben mittlerweile sogar die Fastfood-Ketten verstanden, die vor noch nicht allzu langer Zeit einreduzierten Filterkaffee in offenen Styropor-Bechern verkauften, gegenwärtig aber einen Discount bei Abfüllung der frisch gebrühten Kaffeespezialitäten in den mitgebrachten Becher anbieten.

 

Dennoch (oder gerade deswegen) bleibt Kaffee ein Massenprodukt. Er ist nicht nur überall und jederzeit verfügbar, sondern — vom Discounter bis zur Fairtrade-Mischung aus ökologischem Anbau von der lokalen Rösterei um die Ecke — in jeder nur denkbaren Qualitäts- und Preisstufe erhältlich. Wir müssen uns entscheiden, unsere Auswahl ist zu einem Indikator unserer Befindlichkeiten geworden. Wir sind nostalgisch, wenn wir im Café Wahlen am Hohenstaufenring eine Tasse Kaffee mit einem Stück Frankfurter Kranz bestellen, wir fühlen uns middle on the road im Starbucks am Neumarkt und als Avantgarde mit handgebrühtem Filterkaffee bei der Coffeegang am Zülpicher Platz.

 

Nach dem Café-Sterben der 90er Jahre scheinen unsere Wege somit zumindest gelegentlich wieder in halb-private Räume zurückzuführen. 1968, als Verabredungen zum Kaffee noch vornehmlich bei älteren Damen beliebt waren, die sich mit Freundinnen in der Konditorei trafen, beschreibt ein Buch mit dem Titel »Coffea Curiosa« die Kaffeehaus-Gewohnheiten
der Menschen in Wien, London, Paris und Berlin folgendermaßen: -»Täglich mehrere Male wurde das Stammcafé aufgesucht. Hier traf die private Post ein, die Korrespondenz konnte erledigt werden und der Treffpunkt wichtiger Geschäfte bildete nicht etwa die eigene Wohnung, sondern das Café. Bei dampfenden Kaffeeschalen plauderte man angeregt über die Tagesereignisse.« Also eigentlich alles wie heute.

 

 

 

»Es müssen Taten folgen«

 

Fairtrade Deutschland will bis zum »Coffee Fairday« am 29. September mindestens 50.000 Unterschriften sammeln. Damit will man die künftige Bundesregierung überzeugen, die Kaffeesteuer für fair gehandelten Kaffee abzuschaffen. Claudia Brück erklärt im Interview, warum. 

 

 

Frau Brück, Kaffeesteuer? So etwas gibt es noch?

 


Ja, die Kaffeesteuer ist ein Relikt aus dem 17. Jahrhundert, die mehrmals verändert wurde und seit 1948 als Verbrauchsteuer an den Bund zugewiesen wurde. Pro Kilo Röstkaffee gehen zusätzlich zur Mehrwertsteuer noch einmal 2,19 Euro an den Finanzminister. In fast allen anderen europäischen Ländern ist die Abgabe längst abgeschafft. Die Idee des fairen Handels wird von vielen Politikern wohlwollend unterstützt. Darauf sollen nach der Bundestagswahl Taten folgen.

 

 

Was würde das Ende der Steuer für fairen Kaffee denn ändern?

 


Der Fairtrade-Kaffee würde preiswerter und damit attraktiver für Menschen in Deutschland. Die Nachfrage nach fairem Kaffee würde wachsen und somit den Marktzugang zu fairen Bedingungen für Kleinbäuerinnen und -bauern erhöhen.

 

 

Was bedeutet »faire Bedingungen«?

 


Bäuerinnen und Bauern können die Kosten einer nachhaltigen Produktion decken. Wenn sie umweltfreundlich produzieren und sorgsam mit Mensch und Natur umgehen wollen, bedeutet das mehr Arbeit. Dies muss auch fair entlohnt werden.

 

 

Ist Köln, was Kaffee betrifft, eigentlich besonders »fair«?

 


Wir sind am 14. September zur Hauptstadt des Fairen Handels gekürt worden. Am 28. September feiern wir die »Fair Trade Night« im Rautenstrauch-Jost-Museum. Das bedeutet, dass wir auf einem guten Weg sind. Aber es könnte noch mehr sein. Fair-trade ist als Marke bei etwa 84 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten bekannt. Wir haben aber einen Marktanteil von lediglich vier Prozent. Da geht noch was.

 

 

 

 


Das Leben als ewiger Brunch

 

 

Auf die Schnelle oder mit viel Zeit? Nostalgisch oder ganz urban? Johannes J. Arens hat herausgefunden, wo man zu welcher Gelegenheit am besten Kaffee trinkt 

 

Kaffeerösterei

 

Allein der Gegend wegen lohnt sich ein Abstecher in den Ehrenfelder Norden. Hier ist Köln zwar noch nicht zu Ende, aber irgendwie kurz davor. Zudem ist das Flair so kurz vor Knollendorf noch nicht gentrifiziert. Schamong ist der Name von Kölns ältester Kaffeerösterei. Drinnen kann man Kaffee kaufen, draußen auf dem breiten Bürgersteig kann man ihn in der Sonne sitzend trinken.

Schamong, Ehrenfeld, Venloer Str. 535

 

 

Die kölsche Kaffeebud

 

Die kölsche Büdchenkultur beschränkt sich mitnichten auf den Verkauf von Kölsch und Erdnussflips. Auch der -Kaffee gehört in die Bud! Auf dem -Wilhelmplatz, wo vor knapp 180 Jahren erstmals in Deutschland Gussstahl fabriziert wurde, wird heute heißer Van-Dyck-Kaffee in die Tassen gegossen. Außerdem bietet das Kiosk eine kunterbunte Auswahl an Zeitschriften, Süßkram und Kaffeebehältnissen aus nachhaltigem Anbau. Montag bis Samstag ist hier Wochenmarkt, sonntags regelmäßig Flohmarkt.

Kaffeekiosk, Nippes,  Wilhelmplatz 1a

 

 

Kaffee fair

 

Rund um die Uni bekommen Studentinnen und Studenten Kaffee in rauen Mengen angeboten, nicht immer den besten. Dabei muss man ab Zülpicher Straße nur um die Ecke gehen für guten und fair gehandelten Kaffee — auch alles andere wird hier mit großer Achtsamkeit eingekauft. Nach dem Kaffee einfach sitzen bleiben. Die Grenzen zwischen Café und Restaurant sind eh längst verschwommen — unser gastromonisches Leben ist gewissermaßen ein ewiger Brunch. 

Café Feynsinn, Kwartier Lateng, Rathenauplatz 7

 

 

 

Kaffee im Rechtsrheinischen

 

Kalk galt mal als No-Go-Area. Das hat sich geändert, und zwar nicht nur wegen der »Köln Arcaden«. Immer mehr Menschen von der anderen Rheinseite entdecken Kalks abwechslungsreiche, kleinteilige Stadtkultur. Für Kaffeeliebhaber gibt es viele authentische italienische Bars rund um Kalk-Post, und mit Hogrebe eine alteingesessene Rösterei an der
Hauptstraße und mit der Kaffeebar. Bambule ist eine kleine VeedelsInstitution, in der man sich fast in der Großstadt wähnt.

Bambule, Kalk, Wiersbergstr. 32

 

 

Kaffee im Kännchen

 

Auch an Kölns letzter klassicher Kombination aus Café und Konditorei nagt der Zahn der Zeit. Gottseidank nicht an der Ausstattung der Institution und auch nicht an der freundlichen Bestimmtheit der beschürzten Kellner-innen. Aber hier einen neumodischen Caffè Latte zu trinken, ist irgendwie unpassend. In diesem Ambiente sollte man nach alter Sitte ein Kännchen Filterkaffee und ein Stück Torte bestellen. Und danach vielleicht noch ein belegtes halbes Brötchen.

Café Wahlen, Ringe, Hohenstaufenring 64

 

 

Kaffee to go

 

Wer zum Kaffee auch noch ein bisschen Italienisch hören möchte — und nicht nur »Prego, signora!« — begibt sich bei anständigem Wetter am besten vor das Italienische Kulturinstitut am Clarenbach-Kanal. Dort steht tagsüber meist das »Caféccino-Mobil«, ein knallrotes Piaggio-Modell mit Espresso und Cappuccino nicht nur für die Angestellten und Gäste des Instituts. Für feierliche Angelegenheiten wird auch Prosecco ausgeschenkt.

Caféccino-Mobil, Universitätsstraße/ Höhe Aachener Weiher