Foto: Dörthe Boxberg

Kiel geholt

Die Stadt selbst will den Kölner Messeskandal aufarbeiten. Der Auftrag dazu ist jetzt vergeben

Der Messedeal, einer der größten Köln-Skandale der jüngeren Zeit, soll aufgeklärt werden. Der für die Kölner Messe zuständige »Betriebsausschuss Veranstaltungszentrum«  erteilte nun den Auftrag an den Kieler Sozialwissenschaftler und Korruptionsforscher Peter Graeff. Mitte 2018 soll seine Dokumentation vorliegen — fünfzehn Jahre nach dem Skandal.  

 

Ende 2003 beschlossen CDU, SPD, Grüne und FDP einen Deal mit dem Esch-Fonds, um RTL als Gewerbesteuerzahler in der Stadt zu halten. Man bot dem Sender das Messegelände in Deutz an. Als Ersatz errichtete der Fonds im Norden des Messegeländes vier neue Hallen, die die Kölner Messe dreißig Jahre lang mieten sollte. Die Höhe der Miete sei »nicht markt-gerecht«, kritisierte die damalige PDS-Fraktion im Stadtrat. das Geschäft sei nachteilig für die Stadt. Der damalige Vorstandschef der Kölner Sparkasse, Gustav Adolph Schröder, hatte Mietgarantien gegeben — später ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Untreue. 

 

Heute beteuern die Lokalpolitiker von CDU, SPD, Grünen und FDP  sie hätten das Vertragskonstrukt nicht überblickt, man habe unter Zeitdruck gestanden. RTL drohe mit Umzug ins Umland, hatte der damalige OB Fritz Schramma (CDU) immer wieder betont. Deshalb wurde der Deal nicht ausgeschrieben. Und Kämmerer Peter-Michael Soénius (CDU) versicherte, alles sei rechtens. Ebenso sah es der damalige Kölner Regierungspräsident und spätere OB Jürgen Roters (SPD). Doch der Europäische Gerichtshof stellte 2009 einen Verstoß gegen das EU-Vergaberecht fest. 

 

Nach dem Urteilsspruch von 2009 vereinbarten Stadt und Esch eine geringere Miete. Im März 2016 stimmte der Stadtrat unter Vorsitz von OB Henriette Reker dann einem Vergleich zu: Der Esch-Fonds bekommt bis 2035 jedes Jahr statt bisher 20,7 Mio. Euro nur noch 15,5 Mio. Allerdings zahlt die Stadt dem Fonds die Hälfte dieses »Mietausfalls«, was unterm Strich fast 60 Mio. Euro ergibt. 

 

Thor Zimmermann (Wählergruppe GUT) hatte im März 2016 — damals noch bei Deine Freunde — den Ratsantrag zur Aufarbeitung gestellt. Rückenwind bekam er von Kämmerin Gabriele C. Klug (Grüne); sie ist auch Vize-Vorsitzende von Transparency International. »Es steht der Stadt gut an, hier selbst die Initiative zur Aufklärung zu ergreifen«, sagt Klug.

 

Zwar bekam der Antrag 2016 eine breite Mehrheit — doch in der Ratsdebatte sahen alle Fraktionen die Schuld jeweils bei den anderen. Die SPD kritisiert zudem die Kosten der Aufarbeitung. Dabei soll Graeff nicht einmal 200.000 Euro bekommen — für die Aufklärung eines solch vertrackten Skandals nicht viel. 

 

Untersucht werden soll der »Gesamtvorgang über das Zustandekommen der Beschlüsse zum Bau der Messehallen Nord« sowie der Firmenansiedlungen in den alten Messehallen, etwa auch die »unterschiedlichen Positionen in den Entscheidungsebenen« innerhalb von Verwaltung, Rat, Messe und Stadtsparkasse. Kämmerin Klug betont, es gehe nicht um strafrechtlich relevante Aspekte, darum kümmerten sich die Gerichte: »Mir ist wichtig, dass beantwortet wird: Was lernen wir daraus? Wie entwickeln sich Dynamiken und führen zu Wirkungen, die vielleicht anfangs niemand so beabsichtigt hat? Und wie kann dieser Weg unterbrochen werden?«

 

Auch Zimmermann erwartet einen Bericht, »der nicht nur den Weg ins Schlamassel nachzeichnet, sondern aufzeigt, wie man künftig Fehlentwicklungen erkennen und vermeiden kann.« Dies solle in einer Form geschehen, die für jeden Bürger verständlich und nachvollziehbar sei. Klug bringt zudem Veranstaltungen wie eine »Zukunftswerkstatt« ins Spiel, um die Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit vorzustellen. 

 

Zeitgleich hat im September am Kölner Landgericht der Strafprozess gegen den Fonds-Konstrukteur Josef Esch und den ehemaligen Sparkassen-Chef Gustav Adolf Schröder begonnen. Die Anklageschrift ist 600 Seiten lang. Was kann Graeff herausfinden, das ein Gericht in 40 Verhandlungstagen nicht klären könnte? 

 

Die Verwaltung will Graeff alle notwendigen Dokumente bereitstellen; auch Messe und Stadtsparkasse sollen dies tun — »so weit rechtlich zulässig«. Ein Großteil dieser Akten befindet sich bereits bei Gericht, bei der Verwaltung sollen noch weitere zehn Meter Akten lagern. Dies klingt nach ausreichend Arbeit für Graeff, der angekündigt hat, zusätzlich »das Instrumentarium der Sozialwissenschaften« anzuwenden, also etwa Interviews mit den damaligen Akteuren zu führen. Protagonisten wie der ehemalige Oberstadtdirektor und dann Esch-Geschäftsführer Lothar Ruschmeier sind mittlerweile verstorben. Welche Akteure mit Graeff sprechen wollen, ist völlig offen. 

 

Details dazu möchte der Korruptionsforscher Graeff noch nicht nennen. Er wolle nicht zu Vorverurteilungen beitragen, vor allem auch wegen der Gerichtsverfahren, in die er keinesfalls intervenieren will. Anfang November besprechen Graeff, Klug und Zimmermann Einzelheiten des Auftrags. Heikel dürfte vor allem die Frage nach dem Zeitraum der Untersuchung sein: Zählt auch der 2016 zwischen Stadt und Fonds beschlossene Vergleich dazu, der von den nicht beteiligten Ratsfraktionen, aber auch der SPD als Fortsetzung des Skandals angesehen wird? Klug und Zimmermann sind dafür, dass auch er untersucht wird. Allerdings: Klug begrüßte den Vergleich, Zimmermann stimmte dagegen.