Präzision und Zärtlichkeit

Mit der Ausstellung Pas de deux — römisch-germanisches Kolumba zeigen sich zwei Kölner Museen von ihrer besten Seite

Es ist wie jedes mal, wenn das Kuratorenteam im Kolumba die Kunst neu arrangiert hat: Man glaubt, die einzelnen Räume im Zumthor-Bau ganz neu zu erleben. Mit jedem Jahr mehr stellt sich ein weiterer Effekt ein: Erinnerungen an früher Gesehenes werden reaktiviert, die frischen Eindrücke überschreiben vergangene Inszenierungen, ohne sie auszulöschen, eher überlagert sich Anwesendes und Abwesendes in der Art eines Palimpsests. So erge-ben sich Bezüge nicht nur in der räumlichen Zusammenschau von Werken, sondern auch in die Tiefe der Zeit. Das ist eigentlich ein schönes Bild für das menschliche Dasein, das aufgespannt ist zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

 

Kolumba hat sich längst darin bewährt, solche sinnstiftenden Zu-sam-menhänge aufs Schönste augenscheinlich zu machen. Vielleicht mehr denn je gilt dies für die elfte Jahrespräsentation »Pas de deux — Römisch-Germanisches Ko-lumba«, die sich leichtfüßig durch geografische Räume und Epochen bewegt.

 

Die erste Zeitreise wartet im Foyer mit Blick in den Zen-inspi-rier--ten »Klostergarten«. Zuletzt be-grüß--te den Besucher hier ein seltsames Völkchen Humanoider aus Krimhild Beckers Roboter-Sammlung, jetzt liegt da ein abgeschlagenes Medusenhaupt, Marmor, entstanden im 3. Jh., ausgegraben in Rom. Medusa, die sterbliche der drei Gorgonen-schwes-tern, hat ihren Schrecken verloren, still, wie schlafend ruht der große Kopf auf einer schwarzen Steinplatte. Bekannt ist die antike Skulptur auch als »Medusa Wallraf«, nach dem Stif-ter Franz Ferdinand Wallraf; heute gehört sie zur Sammlung des Rö-misch-Germanischen Museums (RGM). Damit sind Stichworte gesetzt: Die 2000-jährige Stadtgeschichte und die geheimen Beziehungen der Kölner Museen untereinander.

 

»Römisch-Germanisches Ko--lum-ba« — was hat es auf sich mit dieser Kooperation zweier Häuser, die man normalerweise nicht in einen Topf werfen würde? Der prak-tische Anlass: Das RGM muss für eine Generalsanierung des 70er-Jahre-Baus an der Domplatte schlie-ßen. Inhaltlich ist die Idee völlig plausibel: Kolumbas eigene Sammlung dehnt sich über 2000 Jahre bis in die Gegenwart und um-fasst christ-liche wie freie und angewandte Kunst, so dass die antiken Stücke sich wie selbstverständlich einfügen. Zudem ist die römisch-christ-liche Geschichte Kölns an diesem Ort — der Zumthor--Bau integriert auch ein archäologisches Grabungs-feld — besonders spürbar. So ist die-ses »Pas de deux« zweier Sammlungen wohlbegründet, aber alles an-dere als ein verstaubtes Gelehrtenstück.

 

Der Ausstellungstitel ist dem Höhepunkt des klassischen Ballett entlehnt, die Freiheit und Experimentierlust der Inszenierung wohl eher dem Jazz — was insbesondere den Exponaten des RGM gut be--kommt. Im Obergeschoss gleich ein Schlüsselwerk: »Fred« heißt die knapp zehnminütige Videoarbeit von Annamaria und Marzio Sala, in der Fred Astaire und Cyd Charisse ihr Pas de deux aus dem Filmmu-sical »The Band Wagon« von 1953 tanzen, während sich im Hintergrund mehrere Typen eine wüste Schießerei liefern. Das Filmzitat, verfremdet und sorgfältig neu -choreografiert, zeigt jene Lust am Spielerischen, die sich durch die gesamte Ausstellung zieht.

 

Tanz, das ist Bewegung in Raum und Zeit, übersetzte Musik, sinnliches Denken, eine nonverbale Sprache. Kunst, Lebendigkeit, Schönheit, Emotion, Zartheit, Provokation, Eros, Totentanz — im Tanz spiegeln sich die vielfältigen Aspekte des menschlichen Lebens, die die Ausstellung befragt. Und so allgemein das Menschsein verhandelt wird, so präzise zeigt sich die Inszenierung im Konkreten.

 

Man kann eigentlich nur beispielhaft Räume und Werke aus dieser Wunderkammer hervorheben. Da ist Raum 10, dessen Motto »Vielgesichtigkeit« lauten könnte: Skurrile antike »Gesichtsurnen« aus Ton, jede individuell, wulstige Brauen, herausgestreckte Zungen, im Dialog mit einem zeitgenössischen Werk, Bénédicte Peyrats Tablau aus 91 karikaturhaft gemalten Männergesichtern, dazu als gleichmütige Beobachterin eine von sechs Engeln umrahmte Maria (15. Jh.).

 

Während man sich vor vielen liebevoll arrangierten Vitrinen in Details verlieren kann, bietet der zen---trale Saal im zweiten Obergeschoss ein besonderes Raumerlebnis: Auf einem kniehohen Podest in der Mitte des Raumes sind gefühlt hunderte von Gebrauchskeramiken — Kannen, Vasen, Becher, Schalen — aus zwei Jahrtausenden lässig arrangiert, an den Wänden lässt das fröhlich jonglierte Porzellan in Anna und Bernhard Blumes Fotoserie »Vasen-ex-ta-se« den Scherbenhaufen schon erahnen.

 

Einer der drei Turmräume sticht ebenfalls hervor: Wie perfekt hier Dieter Kriegs monumentaler Ma-lerei--Zyklus »In der Leere ist ist nichts« (1998) mit einem filigranen, farbig verzierten Diatretglas aus dem 4. Jh. korrespondiert, das ist schon ein Coup. Das Glas trägt in purpurnen Buchstaben den grie-chischen Schriftzug »Trinke, lebe schön im-merdar«, der melancholisch das Leben feiert wie diese ganze Ausstellung.

 

Der grandiose Reichtum dieser Stadt und ihrer Museen steht immer wieder im Missverhältnis zum politischen Willen, ihn zu pflegen, zu finanzieren, kurz: dieses Potenzial auszureizen. Insofern hat dieses Gemeinschaftswerk zweier erstklassiger Häuser etwas vorbildliches, ohne auftrumpfend zu werden. Unbedingt zu empfehlen ist der neue Taschenbuch-Guide, ein feiner Zwitter aus Wissenschaft und Poesie. »Genauigkeit produziert eine eigene Art des Schönen«, ist da zu lesen (Michael Oppitz). Solche Art Schönheit ist auch in dieser Ausstellung zu erleben.