Shit Island

Mit dem Briten James Cook fing alles an. Seit der Seefahrer vor über 200 Jahren Artefakte und Geschichten aus den unbekannten Weiten des Pazifiks nach Europa brachte, phantasiert der Europäer über die Südsee. Paul Gauguin malte, liebte und starb auf den französischen Inselkolonie Hiva Oa. Später trugen dort stationierte Soldaten die Vorstellung des vermeintlich paradiesisch wilden Inseltreibens in die USA der Nachkriegsjahre, wo es Teil der Popkultur wurde und Elvis im Hawaiihemd auf der Ukulele klampf-te. In Deutschland war es etwa Ina Deter, die sich nach Exotik sehnte. Sie wollte »einfach weg, mal was andres sehn, Südsee vielleicht oder so, mit Palmen und Meer, da irgendwo.«

 

»Verschwurbelte Projektionen oder einen überheblich chauvinistisch europäischen Blick lassen sich auch in Dokumenten aus den Archiven finden,« erzählt Regisseur André Erlen von der Gruppe Futur3 über die Recherche zu seinem neuen Projekt »Shit Island — ein postkolonialer Südsee-Traum«. Anhand ethnologischer Studien, kolonialer Berichte, Südseeschlagern, Gesprächen mit Bewohnern und Touristen wollen die Theatermacher die Verstrickung des europäischen Imperialismus und Inszenierung von Südsee-Sehnsucht sezieren. 

Dazu hieven sie die Geschichte von Nauru auf die Bühne, ehemalige deutsche Kolonie und der kleinste Inselstaat der Erde: Hier wurde ein armes Inselvolk dank Phosphatabbau stinkreich, fett und zuckerkrank. Dann versank es in Armut. Heute ist ein Flüchtlingscamp die größte Devisenquelle: Australien parkt dort Geflüchtete, die man nicht im eigenen Land haben will.

 

»Auf 21 Quadratkilometern spielt sich das ganze Drama von Kapitalismus ab,« erklärt Erlen. Im ersten Teil des Abends reisen drei Performer mit Texten von Seefahrern und Expressionisten durch die Kolonial-zeit, um dann die kleine Insel unter die Lupe zu nehmen. Dazu wird ein Radiostudio aufgebaut, Sehnsuchts--Narrative werden befragt. Wenn »Shit Island« auch nur annähernd so gut gelingt wie die letzte Sozialstudie von Futur3, »Ortschaft abgeschaltet« über das österreichische Dorf Marienthal, darf man sich auf ein Highlight im Herbst freuen.