Atemlos durch die Stadt, Teil 3

Alles völlig übertrieben?

 


Aber es gibt auch andere Stimmen. Damian Franzen ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Lungenheilkunde. Dem promovierten Mediziner und Professor an der Universität Köln ist die Debatte viel zu aufgeregt. Zwar verweist auch Franzen auf aktuelle Studien, die »einen linearen Zusammenhang zwischen Schadstoffen und Lebenserwartung klar belegen«, wie er zugibt. »Aber von einer akuten Gesundheitsgefährdung zu reden — das ist völlig übertrieben«, sagt er. »In meiner Praxis habe ich in all den Jahren nicht einen einzigen Fall gehabt.« Vor allem fehle in der Debatte um Luftreinheit die Ausgewogenheit, sagt Franzen. Der Mediziner mit Praxis in Sülz ist auch Sprecher der IG Marienburg. Die Initiative wehrt sich mit Umweltgruppen gegen die Abholzung der Bäume an der Bonner Straße, die der Nord-Süd-Stadtbahn weichen sollen. »Wir brauchen aber gerade mehr Straßenbäume, sie stellen ja auch einen Schutz dar«, sagt Franzen. Für den ÖPNV Bäume zu fällen, das findet Franzen so widersprüchlich wie vieles in der Politik. »Jetzt alles auf die Dieselmotoren zu schieben, ist falsch. Das Thema ist viel komplexer.« Er wünscht sich, dass mehr Ingenieure in die Debatte eingriffen, oft fehle das technische Verständnis.

 

Gebraucht wird das oftmals schon bei der Entstehung von Stickoxiden. Die kommen zwar auch aus Kleinfeuerungsanlagen, also etwa Kamin- und Kachelöfen, die als zusätzliche Wärmequelle im Trend liegen. Dennoch ist es vor allem der Straßenverkehr mit Verbrennungsmotoren, der die Luft mit dem ätzenden Reizgas vergiftet. Die EU-Kommission geht davon aus, dass mindestens 40 Prozent der Stickoxide im Verkehr entstehen. In Städten wie Köln, in denen sich der Verkehr auf den Straßen staut oder eben auch über den Rhein verläuft, sind die Werte mutmaßlich höher. Genau weiß man das nicht. Denn es gibt kein aktuelles Datenmaterial über den Schadstoffausstoß im Kölner Verkehr. Auch das soll erst im Zuge des Runden Tisches erhoben werden. Die Stadt will zwar grundsätzlich den Anteil von Autos am gesamten Verkehr von 40 auf 33 Prozent senken. Aber das wird nichts nützen, wenn der Autoverkehr insgesamt trotzdem zunimmt, wovon bislang auszugehen ist. 

Hinzu kommen berechtigte Zweifel daran, wie verlässlich die Angaben zum Schadstoffausstoß der Fahrzeuge sind. Wie skrupellos die deutsche Autoindustrie ihre Kunden betrügt, aber auch die Gesundheit der Menschen schädigt, hat der Diesel-Skandal gezeigt. Wie sehr die deutsche Automobilindustrie auf den Verbrennungsmotor fixiert ist, zeigt sich zudem, wenn kommunale Verkehrsunternehmen keine E-Busse aus deutscher Fertigung serienmäßig bekommen können. Die Elektrobusse der KVB etwa stammen vom belgisch-niederländischen Hersteller VDL.

 

Regionale Hintergrundbelastung

 

Die Kölner Luftschadstoffbilanz vereint auch einige Besonderheiten. Eine ist die sogenannte regionale Hintergrundbelastung, die durch Emissionen der Industrie und vor allem des Braunkohleabbaus entsteht. Eine andere Giftquelle ist der Schiffsverkehr. Der Rhein ist gewissermaßen eine Autobahn für Schiffe, die mitten durch Köln führt. Etwa 400 Schiffe passieren Köln täglich. Und die Stadt will den Transport gar noch stärker von der Straße aufs Wasser verlagern: um Staus zu vermeiden, und weil Containerschiffe bedeutend weniger Kohlendioxid (CO2) ausstoßen als LKW. Das ist aber auch schon alles: Der Schwefelanteil im Treibstoff liegt 3500-mal höher als bei Diesel-LKW, so der Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Schiffe verursachen außerdem beträchtliche Mengen an Schwefeldioxid und Feinstaub sowie Stickoxiden. Weil trotzdem keine Stickoxid-Katalysatoren oder Diesel-Ruß–partikelfilter vorgeschrieben sind, ist im Schiffsverkehr der Schadstoffausstoß überproportional hoch. Ab 2019 gelten zwar strengere EU-Auflagen für den Schadstoffausstoß in der Binnenschifffahrt, vor allem für Stickoxide. Doch die Verordnung wird zunächst nur für neue Motoren gelten. Die Stadt Köln geht das Problem derweil erst gar nicht an, denn die Zuständigkeit liegt beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) — und das ist dem Bundesverkehrsminister unterstellt. Als am Runden Tisch über die Luftreinhaltung in Köln gestritten wurde, saß kein Vertreter des WSA dabei.

 

Umdenken fällt schwer

 

Welche Maßnahmen aber sind es, die Köln schnell und auf Dauer vor Luftschadstoffen schützen würden? Die Deutsche Umwelthilfe — die ihrerseits für ihre vermeintliche Nähe zum japanischen Automobilhersteller Toyota und ihre Geschäfte mit Abmahnschreiben in der Kritik steht — macht den Städten und Kommunen nicht nur Probleme. Sie reicht ihnen auch gleich Lösungsvorschläge ein. 

In ihrem umfassenden Maßnahmen-Paket, das als Anlage auch dem Kölner Stadtrat vorgelegt wurde, finden sich etwa »zeitlich und sachlich beschränkte Fahrverbote« oder eine »Verschärfung der Umweltzone durch Blaue Plaketten«, aber auch die Förderung des ÖPNV, die Reduzierung des Parkraums oder schadstoffarme Taxi- und Busflotten. Zusammengefasst ist es der Ruf nach einer Verkehrswende — einer schnellen Verkehrswende. Dabei könnte Köln Geld aus dem Bund helfen: Auf dem zweiten Dieselgipfel Anfang September erhöhte die Bundesregierung den Mobilitätsfonds für jene Kommunen, die stark von Stickoxid betroffen sind. Eine Milliarde Euro werden bereitgestellt. Geld, das vor allem in den ÖPNV fließen soll.

 

Ist es also die Verkehrswende, die in Köln für saubere Luft sorgen wird? Zwar will sich Umweltdezernent Harald Rau derzeit nicht zu aktuellen Inhalten des Runden Tischs äußern. Doch es ist kein Geheimnis, dass vielen Teilnehmern an Raus Tafelrunde ein Umdenken noch immer schwerfällt. Statt eine Verkehrswende zu vollziehen, setzt man lieber auf neue Technik. Statt neue Wege einzuschlagen, heißt das letztlich: Weiter so, bloß digitaler. Hilfe erhofft man sich etwa durch verbesserte Verkehrstechnik: »Umweltsensitive Ampeln« und ein neuer Verkehrsrechner sollen den Verkehr auf den Kölner Straßen besser fließen lassen. IHK-Vertreter Ulrich Soénius wundert manches: »Natürlich benötigen wir ganz schnell am Clevischen Ring die umweltsensitive Ampelschaltung — aber darüber wird in der Politik schon seit fast zehn Jahren geredet, warum ist da nichts passiert?«

Digitalisierung statt Verkehrswende

Überhaupt: Digitalisierung. Das Schlagwort stellt für viele schon die Lösung dar. »Smart Parking« soll den Parksuchverkehr verringern. Das klingt nach Fortschritt. Für Christoph Schmidt ist es in Wirklichkeit das Gegenteil: »Es wäre eine komische Politik, wenn man den Schadstoffausstoß im Verkehr dadurch reduzieren will, dass man den Komfort des Autofahrens steigert«, sagt der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Köln. Erhöhe man die Attraktivität des Autofahrens, führe das nachweislich zu noch mehr Autoverkehr. Das sieht auch Ulrich Soénius von der IHK so: »Parkraum muss stark eingeschränkt oder ganz aufgehoben werden, vor allem dort, wo genügend Parkhäuser vorhanden sind«, sagt er. Das mache den öffentlichen Raum attraktiv für Fußgänger und nütze letztlich auch dem Handel. »Da müssen Teile der Wirtschaft umdenken und dazulernen.«

 

Aber womöglich muss auch die Kölner Verwaltung noch umlernen. »Intelligente Verkehrsführung« ist eines der Lieblingsthemen von Verkehrsdezernentin Andrea Blome — die Luftreinhaltung allerdings weniger. Auf Anfrage verweist ihr Büro auf die Zuständigkeit des Umweltdezernats von Harald Rau. Die mag dort verortet sein, am Runden Tisch wird allerdings vor allem an Verkehrsthemen gearbeitet. 

Es gibt aber solche Maßnahmen, die mit dem Verkehr nichts zu tun haben. So könnten Stadtbegrünung und vor allem Moos, etwa an Hausfassaden oder Haltestellen, Schadstoffe binden. Das würde funktionieren — aber eine Verbesserung der Luft erst in Jahren, wenn nicht Jahrzehnten erzielen. Genau das ist die Schwierigkeit im Kampf gegen Gift und Dreck in der Luft: Viele Emissionsquellen haben über lange Zeit die Luft vergiftet. Sie nun wieder zu säubern, wird ebenso viel Zeit brauchen.

 

Viele kleine Bausteine

 

»Es gibt keine bequeme Lösung«, sagt Christoph Schmidt vom ADFC. »Wer das glaubt, hat das Problem nicht verstanden.« Er spricht von »einer grundlegenden Veränderung unseres Mobilitätsverhaltens«. Damit ist der ADFC-Vertreter nicht so weit von der Industrie- und Handelskammer entfernt. »Jeder sollte sich fragen, ob er ins Auto steigen muss«, sagt Ulrich Soénius. »Strecken bis zehn Kilometer kann man mit dem ÖPNV oder dem Fahrrad zurücklegen, ich bin selbst Fahrradfahrer und weiß, wovon ich rede.« Auch für Lino Hammer von den Grünen im Kölner Rat wird eine sinnvolle Lösung »aus vielen kleinen Bausteinen bestehen, die Zeit brauchen und Geld kosten.«

 

Anders sieht das allerdings ausgerechnet der neue NRW-Verkehrsminister. »Es gibt innovativere, cleverere Ansätze, die Probleme zu lösen«, erklärte Hendrik Wüst (CDU) jüngst gegenüber dem WDR. Der Minister möchte an den »Hotspots« Elektrobusse fahren lassen. »Dann sind wir schon fast da, wo wir hinmüssen vom Grenzwert«, glaubt er. Verbote seien dagegen eine »Steinzeitlösung.«

 

Die Debatte um saubere Luft ist schon vor den entscheidenden Gerichtsurteilen in eine erhebliche Schieflage geraten. Wenn die Vermeidung von Fahrverboten als oberstes Ziel postuliert wird — nicht die Gesundheit der Menschen. Wenn man mit der Einhaltung von Grenzwerten an den Symptomen herumlaboriert — nicht aber an den tiefer liegenden Ursachen. Wenn vermeintliche Verluste und Verbote ins Zentrum der Diskussion rücken — nicht der Gewinn, den sie schaffen würden. »Jeder Einzelne kann jeden Tag etwas dazu beitragen, dass am Ende alle bessere Luft atmen«, sagt Christoph Schmidt vom ADFC. Wann damit anfangen? Anbieten würde sich ein Tag, der ohnehin mit guten Vorsätzen überladen ist: Raketen und Böller in der Silvesternacht sorgen jedes Jahr für extrem hohe Feinstaubwerte.