Foto: Manfred Wegener

»Ideen der alten Arbeiterkultur«

Der Kölner Pfarrer Franz Meurer hat ein Buch für Weltverbesserer geschrieben.

Das Buch hat drei prominente Kölner als Autoren: Einen Pfarrer, Franz Meurer, einen Kabarettisten, Jürgen Becker, und einen Journalisten und Stadthistoriker, Martin Stankowski. Sie haben es eine »Werkzeugkiste für Weltverbesserer« genannt. Darin sind rund hundert Anregungen versammelt, wie man das alltägliche Zusammenleben freundlicher und anständiger gestalten kann. Die Ideen reichen von lustig-anarchi­schen Aktionen wie der aus Madrid übernommenen Idee der »abrazos gratis« (Umarmungen umsonst) auf öffentlichen Plätzen bis zu Vorschlägen, die ins ökonomische System eingreifen: »Gemeinsam Arbeitgeber sein« ermuntert dazu, sich mit anderen zusammenzutun, um jemanden sozialversicherungspflichtig einzustellen, der bisher schwarz arbeiten muss. Und »Mal ordentlich jemanden zusammenscheißen« ist eine detaillierte Anleitung, wie man etwa den Büdchenmann zur Schnecke macht, der die NPD-nahe National-Zeitung verkauft.

StadtRevue: Herr Meurer, was ist Ihre Lieblingsidee?

Franz Meurer: Das sind die ­Patenschaften, weil sie wirklich helfen. Die sind grandios. Wir kennen das Modell aus der so genannten Dritten Welt. Aber wa­rum sollen wir es nicht auch hier anweden: Man unterstützt sehr konkret jemanden, der Hilfe braucht. Dann finde ich die Idee gut, für Kinder aus ärmeren Familien Taschengeld zu spenden. Eines der großen Defizite ist nämlich, dass junge Menschen nicht lernen, mit Geld umzugehen. Das stürzt viele ins Elend. Und um das zu lernen, braucht man echtes Geld, theoretisch geht das nicht. Ich weiß es aus eigener Erfahrung: Als Kind hatte ich neun Mark, ich habe Skat gespielt und fast sechs Mark verloren. Was hab ich auf dem Nachhauseweg geheult – die Erfahrung muss man mal machen. Aber das Schönste für mich ist, dass tatsächlich schon eine feste Arbeitsstelle geschaffen worden ist statt bisheriger Schwarzarbeit ...

Aufgrund Ihres Buches?

Ja. Die betreffende Person hat es für ihre Nichte gekauft, selbst reingelesen und sich da von der Idee »Gemeinsam Arbeitgeber sein« bekehren lassen. Ist das nicht schön?


So ist das Buch ja offenbar auch ­gemeint: sich bekehren lassen, nachahmen, weiterempfehlen ...

Die Menschen sind doch bereit, etwas Vernünftiges und Anständi­ges zu machen. Es will nicht jeder globalisiert leben und möglichst viele Vorteile für sich herausschla­gen. Der Kapitalismus ist doch nicht die einzige Defini­tions­möglichkeit von Wirklichkeit!

Ist Deutschland also tatsächlich ein Land der Weltverbesserer?

Ich glaube, die meisten Menschen sind richtig froh, wenn sie sich irgendwo beteiligen können. Und man will doch einfach mal dabei sein, im öffentlichen Raum sein. Der Verfall des öffentlichen Lebens führt zu einer »Tyrannei der Intimität«, wie der Soziologe Richard Sennett sagt. Wenn der öffentliche Raum zurückgeht, die Vereinzelung wächst – was bleibt dann? In Frankreich, das wird an einer Stelle im Buch erwähnt, ist die Zurückeroberung des öffentlichen Raumes eine starke Bewegung: Die Leute wollen Kontakt haben, wollen Anteil nehmen. Viele Vorschläge nehmen Ideen der alten Arbeiterkultur auf, sonst nichts. Viele Ideen sind einfach und bekannt, da ist kein riesiger Anspruch.

Und Sie glauben, dass die Leute mitmachen?

Ja, es gibt viele Beispiele, auch in Köln. Man darf die guten Ideen aber nicht nur mit hauptamt­­­li­chen, bezahlten Hoffnungsträgern angehen, sondern muss nebenbei auch Freude und Vergnügen wecken. Zum Beispiel wurde jetzt in Ostheim eine Lebensmittelausgabe für Arme gegründet, die heißt Hapahapa e.V. (lacht), das drückt doch etwas aus. Man kann sich natürlich über alle Vorschläge erheben und sagen: Das ist kleinbürgerlicher Kram. Ich finde aber, in einer demokratischen Ge­sellschaft sollte es normal sein, dass jeder entsprechend seinen Mög­lichkeiten einen Beitrag leistet.

Die kleinen Vorschläge in allen Ehren, nur: Wenn der Staat sich immer weiter aus der Sozialversorgung ­zurückzieht, werden Armut und Hilfsbedürftigkeit immer größer. Kommt man mit den kleinen Ideen dagegen an?

Ich bin der Letzte, der dagegen ist, dass die Leute wieder mehr Geld bekommen. Hartz-IV-Emp­fänger sollen offiziell 14 Prozent von ihrem Geld sparen, damit sie zum Beispiel eine Feierlichkeit zur Erstkommunion ausrichten können. Die können aber kein Geld zurücklegen, also müssen wir ihnen helfen. Bildung jedoch kann man nicht nur verstaatlicht generieren, vor allem nicht die Freude daran. Wir können nicht immer weiter warten, bis sich grundsätzlich etwas ändert.


Jürgen Becker, Franz Meurer, Martin Stankowski:
Von wegen nix zu machen. Werkzeugkiste für Welt­verbesserer.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007, 190 S., 7,95 Euro



Zur Person
Franz Meurers tatkräftiges soziales Engagement als katholischer Pfarrer in den Stadtteilen Höhenberg und Vingst, in denen fast ein Drittel Arbeitslose ­leben, hat ihm schon viele Titulierungen (Ghetto-Prediger, Don Camillo) eingebracht – und einen Titel: Er wurde 2002 der erste Alternative Ehrenbürger Kölns. Sein Credo: »Wer es macht, hat die Macht« und »Wo es arm ist, darf es nicht ärmlich sein«.