Die Jecken, die man rief

Der Straßenkarneval spitzt lediglich Kölns Probleme mit dem Tourismus zu

 

 

Für normale Menschen ist der 11.11. ein guter Grund zur Stadtflucht. Und so langsam können sich aber auch hartgesottene Jecken dieser Bewegung des Weltgeists nicht verschließen. Anders kann man sich den kollektiven Kater nicht erklären, der seit dem Sessionsauftakt die Kölner Öffentlichkeit plagt: Überfüllung in der Altstadt und auf der Zülpicher Straße! Wildpinkeln! Berge an Müll! Und selbst die KVB fuhr zeitweise nicht mehr!

 

Schuld an all dem war vor allem die Stadt Köln, so Presse und soziale Medien unisono. Es mangelte an Toiletten, das Glasverbot müsse ausgeweitet werden und die Mitarbeiter des Ordnungsamtes seien nicht konsequent genug eingeschritten. Im Karnevals-Chaos verlor dann auch noch die offizielle Kommunikationsstrategie ihre Kohärenz. Stadtdirektor Stephan Keller beschwerte sich, dass die Ordnungskräfte durch »eine unglaubliche Zahl von Schlägereien« anderweitig beschäftigt gewesen sein. Die Polizei merkte dagegen an, dass es weniger Schlägereien als im Vorjahr gab — bei mehr Karnevalisten, wohlgemerkt.

 

Was nun stimmt, ist letztlich unwichtig. Wenn die Volksseele kocht, muss auch heiß gegessen werden. Zwei Tage nach Sessionseröffnung berief OB Reker einen Runden Tisch ein: »Wir wollen es nicht hinnehmen, dass unser Karneval und unsere Stadt kaputtgemacht werden.« Damit waren schon die nächsten Schuldigen ausgemacht: Karnevalsjecken von außerhalb, die die feinen Unterschiede zwischen Karneval und Ballermann nicht verstanden haben.

 

Allerdings hat man diese Menschen jahrelang explizit eingeladen. Seit der Eröffnung von Lanxess-Arena und Musical Dome Ende der 90er Jahre vermarktet sich Köln als »Event-Stadt«. Dieses Paradigma ist tief in die Stadtplanung eingebrannt, wie auch die Ideen für die Neue Historische Mitte und die Via Culturalis in der eh schon überlaufenen Altstadt zeigen. Kurze Wege sind halt gut für Touristen. Der Karneval spitzt diese Tendenz nur zu. In Reiseführern wird die Session zum Höhepunkt der »ungebremsten Lebenslust der Kölner«. Das Festkommitee Kölner Karneval wirbt dagegen mit der Wirtschaftskraft der Session, die angeblich 460 Mio. Euro Einnahmen für die lokale Wirtschaft bedeute. Und der Stadt ist das jedes Jahr rund 1,8 Mio. Euro wert — für Müllabfuhr, Sicherheitsdienste und Zuschüsse für Karnevalssitzungen.

 

Auch ohne Saisonauftakt gerät der Kölner ÖPNV an Grenzen und bestimmte Veedel existieren nur, um Menschen kulturindustriell zu schröpfen. Wer über die Probleme mit dem Straßenkarneval reden will, muss hier anfangen. Und nicht beim Wildpinkeln.