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Kinder im Visier der Werbung

 

Für die ­Werbung sind Kinder vor allem: Wirtschaftssubjekte, die große Gewinne versprechen. Wir haben uns angesehen, wie Unternehmen mit Influencern, Gendermarketing und ­Süßwaren-Werbung aus Kindern treue Konsumenten machen — und deren Gesundheit dabei aufs Spiel setzen. Wie radikal das ­Gendermarketing verfängt, zeigt die Künstlerin ­JeongMee Yoon in ihrer Foto-Reihe »The Pink and Blue Project«

Little big Influencer


Es geht um vier bis sechs Milliarden Euro. So reich sind nach Schätzungen die Kinder in Deutschland. Sie verfügen nicht selbst über all das Geld, obwohl auch ihr Taschengeld in den vergangenen Jahren auf durchschnittlich fast zwanzig Euro im Monat gestiegen ist. Aber Kinder sind umgeben von Eltern, Großeltern — die nie so viel Geld -hatten wie heute — und anderen Verwandten. Und die machen Geschenke. Anlässe werden immer häufiger gefunden und gleich mehrmals gefeiert, gerade in den zunehmenden Patchwork-Familien: Kind kann laufen, Schnuller-Fee kommt, erster Kindergartentag, Einschulung... Hinzu kommt: Viele Eltern plagt — zurecht oder nicht — das schlechte Gewissen. Wer zu wenig Zeit mit seinen Kindern verbringt, kompensiert das mit großzügigen Geschenken. Ein riesiger Markt ist zudem rund um pädagogisches Spielzeug entstanden — wer nicht zur rechten Zeit ein Kinder-Laptop oder ein Ökoholz-Legespiel kauft, dessen Nachwuchs droht scheinbar zu verblöden. 

 

Kinder sind auch deshalb für die Werbewirtschaft so wichtig, weil sie enormen Einfluss auf die Kaufentscheidungen der Eltern haben. Heute dürfen Kinder viel häufiger mitreden und werden nach ihrer Meinung gefragt: Ob es um den Brotaufstrich geht oder die Urlaubsreise. Die Werbebranche sieht Kinder daher als »little big influencer«. Pädagogen und Psychologinnen verdingen sich in der Werbebranche, damit die PR-Strategien aufgehen und eine »authentische Ansprache« gefunden wird. Früher richteten sich hochstehende Personen an die Eltern, Mediziner im weißen Kittel empfahlen etwa Kinderzahnpasta. Heute wenden sich Pop- und Sportstars direkt an die Kinder und sind selbst fast noch Kinder. 

 

Natürlich sind Kinder leichter zu manipulieren als Erwachsene. Zwar redet die Werbebranche von ethischen Grenzen. Doch wo die verlaufen, bleibt Ermessensspielraum. Meist spricht die Industrie den Kindern mehr Kompetenz zu, als diese tatsächlich haben. Kinder scheinbar respektvoll für mündig zu erklären, bedeutet, sie mit noch mehr Werbung konfrontieren zu dürfen. Die elterliche Kontrolle kann dabei auf vielen Kanälen umgangen werden; was ihre Kinder mit dem Tablet im Internet anstellen, können oder wollen viele Eltern gar nicht wissen.

 

Noch vor zwanzig Jahren wäre wohl kaum eine Neunjährige auf die Idee verfallen, Shoppen als Hobby in ein Freundebuch einzutragen. Doch heute ist Konsum Lebensstil. Was man einkauft, zeigt, wer man ist. Schon bei Kindern ist das Bewusstsein für Kleidermode, Kosmetik oder den richtigen Haarschnitt ausgeprägt. Das lernen sie nicht nur durch Werbung — sondern auch und vor allem durch ihre Eltern. 

 

Text: Anne Meyer, Bernd Wilberg 

 

 

Schlechter Rat ist teuer

 

Wenn Bianca Heinicke ihren Alltag in einer Kölner Neubauwohnung filmt, schauen mehr als fünf Millionen Menschen dabei zu. Heinicke alias Bibi ist 24 und Deutschlands erfolgreichste Youtuberin, obwohl oder gerade weil sie in ihren Filmchen häufig Schlafanzüge oder anderen Schlabber-Look trägt. Sie erzählt Sachen wie: »Das erste, was ich morgens mache, ist in die Küche gehen und einen dicken Schluck kühles Mineralwasser trinken, das erfrischt total und ist super für den Kreislauf.« Von der Küche folgt ihr die Kamera ins Badezimmer, »denn mit das erste, was ich morgens mache, ist Zähneputzen.« Dann ein Schwenk nach draußen: »Oft gehe ich mit der Zahnbürste auf den Balkon, einfach mal gucken, was das Wetter so macht.«

 

Sogenannte Morgen- und Abendroutinen werden auf Youtube tausendfach hochgeladen und millionenfach angeklickt, geliket und kommentiert; vor allem Teenager lieben es, den eigenen Alltag mit dem der anderen zu vergleichen. Bei Bibi geht die Morgenroutine mit bunten Flaschen und Tuben weiter: »Fürs Haarewaschen benutze ich die Balea-Professional-Produkte, fürs Gesicht im Moment supergerne diesen Reinigungsschaum. Kennt ihr vielleicht noch von meiner dm-Haul.« 

 

Hauls sind Videos, in denen Menschen kürzlich gekaufte Kosmetikartikel oder Kleidung präsentieren, in Unboxing-Videos geht es um das genüssliche Auspacken erworbener Handys oder Playstations. Seit etwa vier Jahren gibt es das Phänomen, dass Menschen sich und ihre Freude am Konsum auf Videoportalen zur Schau stellen, begleitet vom Rascheln des Papiers und dem Knistern der Folie. Sie finden zum Teil Tausende, manchmal Millionen Zuschauer. Schon für Kinder im Vorschulalter gibt es Unboxing-Videos: Dann wird ein Überraschungsei nach dem nächsten ausgewickelt, die Schokolade aufgebrochen und das darin befindliche Spielzeug von allen Seiten präsentiert. Viele Kinder sind fasziniert davon. 

 

Die Produzenten solcher Videos sind häufig Hobbyfilmer und selbst noch minderjährig. Ein Teil der Youtuber und Instagramer jedoch wird offiziell oder unter der Hand von den Firmen dafür bezahlt, ihre Produkte in die Kamera zu halten. Immer mehr von ihnen wittern die Chance, als sogenannter Influencer bekannt zu werden und das schnelle Geld zu machen. 

 

Stars wie Bibi bekommen angeblich um die 27.000 Euro für einen Post; bei einer anonymen Befragung auf einer Fachkonferenz gaben Influencer an, durchschnittlich 600 Euro pro Bild zu erhalten. Im Vergleich zu einer eigenen Werbekampagne ist das für Firmen sehr günstig, zumal das Influencer-Marketing als besonders effektiv gilt. Die Unternehmen profitieren von der Vorbildfunktion der Stars. Wenn Bibi eine Handcreme empfiehlt, wollen ihre jungen Zuschauer die auch haben. Sie vertrauen ihr, schließlich tritt sie auf wie eine Freundin und hat das gleiche Ikea-Regal im Zimmer wie sie selbst. Über Bibi erreichen die Unternehmen die junge Zielgruppe, die keine Zeitung liest und kaum noch fernsieht, deren »Engagement« aber besonders hoch ist: So bezeichnen Werber die Bereitschaft junger User, Inhalte nicht nur passiv zu konsumieren, sondern auch zu teilen oder zu kommentieren. Laut einer im November veröffentlichten Studie der Agenturen Jung von Matt und Brandnew liegt die Engagement-Rate bei Teenagern um 70 Prozent höher als bei Erwachsenen. 

 

In den vergangenen drei bis vier Jahren ist eine ganze Industrie aus Influencer-Agenturen, Beratern und Anwälten entstanden. Letztere sind nötig, weil es an der Vertrauenswürdigkeit der Influencer häufig doch hapert. Etwa, weil sie Werbung häufig nicht oder nur versteckt als solche kennzeichnen. Was gekennzeichnet werden muss, regeln Rundfunkstaatsvertrag und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Unstrittig ist: Wenn jemand für die werbliche Präsentation eines Produkts auf seinem Social-Media-Kanal von einem Unternehmen bezahlt wird, das Produkt kostenlos zur Verfügung gestellt bekommt oder eigene Produkte bewirbt, müssen die Posts deutlich erkennbar als Werbung gekennzeichnet werden.

 

Jahrelang kümmerte kaum jemanden, was und wie im Internet präsentiert und beworben wurde, doch seit das Influencer-Marketing boomt, schauen die Landesmedienanstalten genauer hin. Einer der ersten, gegen den der Vorwurf der Schleichwerbung erhoben wurde, war Oğuz Yılmaz. Als Teil des Comedy-Trios Y-Titty war er ein Youtube-Star der ersten Stunde, mit 24 Jahren wurde er beim deutschen Webvideopreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Ein Verfahren gegen Y-Titty wurde damals nicht eingeleitet; alle ihre Videos mit Werbeinhalten versahen sie daraufhin jedoch mit dem Hinweis »unterstützt durch Produktplatzierung«. Heute ist Yılmaz 26 und betreibt eine  kleine Influencer-Agentur in einem Hinterhof in Ehrenfeld. Die Agentur besteht aus einem einzigen Raum mit Betonwänden. Außer zwei knallgrünen Stoffklappstühlen erinnert hier nichts an die bunte Welt der Youtube-Videos. 

 

Spricht man Yılmaz auf das Thema an, reagiert er beflissen und genervt zugleich. »Viele sind extrem jung und teilweise über Nacht zum Influencer geworden.« Was gekennzeichnet werden müsse und was nicht, sei schwierig zu verstehen, »bis vor zwei, drei Jahren wusste kaum einer, welche Regeln es dafür überhaupt gibt«. Deshalb sieht Yılmaz vor allem die geldgebenden Marken und Agenturen in der Pflicht, den Influencern eindeutige Regeln an die Hand zu geben; er selbst gehe mit gutem Beispiel voran. Doch während er Influencer wegen ihrer Unwissenheit in Schutz nimmt, plädiert Yılmaz gleichzeitig dafür, die Kompetenz ihrer jungen Anhängerschaft nicht zu unterschätzen. »Die können mittlerweile gut unterscheiden, was echt ist und was nicht. Das erklären die sich auch gegenseitig«, sagt er. 

 

Die meisten Teenager würden ihm vermutlich recht geben. »Klar geht es da viel ums Verkaufen, aber ich erkenne das immer«, sagt Marlene, 13-jährige Schülerin und Bibi-Fan. Was aber nicht heißt, dass die Werbung ihre Wirkung verfehlen würde. Nachdem Bibi ihre eigene Marke Bilou auf den Markt gebracht hatte, machte sich Marlene sofort auf den Weg zum Drogeriemarkt, »um mal dran zu riechen.« An jenem Tag wurde aber nichts draus, weil der ganze Bibi-Schaum schon ausverkauft war. Heute kontrolliert Bibi fünf Prozent des Duschbadmarkts, und bei -Marlene zu Hause stehen fünf Sorten davon herum. Warum? »Jedes Mädchen hat das, alle meine Freundinnen.«

 

Marlene erkennt zwar, wenn ihre Idole etwas verkaufen wollen, findet das aber nicht weiter schlimm, sondern sogar gut. Kauft sie sich den Duschschaum, kommen sie und ihre Freundinnen ihrem Vorbild scheinbar ein Stückchen näher. Ist die Trennung zwischen Inhalt und Werbung in der Welt von Youtube und Instagram überhaupt noch möglich — und nötig? Die Agentur Jung von Matt jedenfalls fand in ihrer Studie heraus, dass Posts gleich oft geteilt und geliket wurden — egal, ob sie als Werbung gekennzeichnet waren oder nicht. »Die Influencer würden sicher gern auf diese Trennung verzichten«, sagt Yılmaz. »Weil es viel Arbeit ist, und weil sie denken: Die Leute checken es eh, aber sie finden es ja trotzdem irgendwie gut.« 

 

Text: Anne Meyer