Erfolgsgeschichte aus der WG

Die Fleet Foxes haben den Blueprint des Folk-Hypes der letzten Jahre geliefert. Aber was kommt danach?

Death Metal aus Angola und Dub-step aus Bulgarien. Neue Musik aus Rumänien und Punk aus Jakarta. Folk aus Berlin und Jazz aus Helsinki. Und alles ist wahnsinnig hip, irre durchgestylt, cool bis zur steifen Oberlippe, exotisch und zu-gleich traditionsbewusst. Denn jede dieser Szene hat ihre Geschichte und ihre Exegeten. Sie rufen: Hört her, lasst euch darauf ein! Alles ist möglich, denn der Kanon ist zusammengebrochen. In dem Moment, wo die Pop-Sprachen wirklich global geworden sind, endet die globale Pop-Geschichte. Sie zerfällt in unendlich viele Geschichten.

 

Die Gegenbewegung zumindest in den angestammten (also mal wieder: westlichen) Pop-Metropolen ließ nicht lange auf sich warten. Seit etwa zehn Jahren gibt es ein großes Comeback von Singer/-Songwriter-Musik, längst ist aus dem Hype um Bands wie Mumford & Sons und Fleet Foxes eine beharrliche Gegenströmung geworden. Behaglichkeit statt aufgekratzter Nervosität! Monat für Monat könnten wir unsere Konzertvorschau fast ausschließlich mit Folkbarden, Alternative-Country-Apologeten und Dylan-Adepten füllen. Sie kommen aus Schweden, Deutschland, England, Dänemark und natürlich aus Nordamerika. In ihren Spitzen mag die Musik innovativ (gewesen) sein, wenn man an die Dubstep-Synthesen eines James Blake denkt, aber im Großen und Ganzen sind die heutigen Folk-Alben so innovativ Britpunk von 1981 oder Roots-Reggae aus Troisdorf. Da hätten wir also wieder eine internationale, aber eben nicht mehr globale Pop-Sprache, die geradezu stiernackig darauf ist, nur ja keine Erwartungen zu enttäuschen. Lang lebe das Format! 

 

Folk und Country repräsentieren den guten Konservatismus, einen, der keine Ressentiments schürt, sondern die ewigen Ge-füh-le, die wahren und tiefen, anspricht, der sich direkt an uns wendet und uns mal nicht als Angehörige einer Klasse oder gar einer »Rasse« anspricht. Nur du und ich und die Musik. Zur Ironie der Geschichte gehört, dass es die vielleicht innovativste Band des Folk-Revivals war, die dieses übergreifende Motiv des Hypes gestiftet hat: die Fleet Foxes aus Seattle.

 

Ihre Arrangements sind sperrig, die Songs episch ausladend, der Spannungsbogen ihres besten Albums, »Helplessness Blues« (2011), ist alles andere als stringent, sondern lässt viel Raum für Ab--schwei-fungen. Ihr diesjähriges Combeack-Album nach fast vierjähriger Tour-Pause, »Crack--Up«, ist noch abgewandter: Alles muss erwachsen werden. Die Fleet Foxes sind keine Band, die auf einzelne Songs als Highlight eines Konzertes oder eines Album hinarbeitet. Sie inszenieren ihre Alben als Gesamtkunstwerke, man muss sich auf sie einlassen. Wie auf die berühmte »gute Tasse Tee«, wie auf ein WG-Plenum oder einen Urlaub in den Karpaten.

 

Man will es auch. Denn der emo-tionale Bonus, den diese Band unter der Kruste der Verschrobenheit offe-riert, ist eine Heimeligkeit, die nicht kitschig, nicht erschlichen ist. Sie sind genau die Band, die der Nie-de-cken-Fan hört, wenn er mal was An-spruchsvolles braucht, und die auch AnnenMayKantereit--Jünger kennen, denen ansonsten die Blues-röhre Henning Mays als Authentizitätsreserve in der Welt der flüchtigen »sozialen Netzwer-ke« vollauf genügt.

 

Natürlich gibt es schon eine Saga: Es ist die Geschichte einer Band, die es nach ihrer offiziellen Gründung 2006 in nur zwei Jahren zu Ruhm und Anerkennung bringt und die im Kern aus zwei alten Highschool-Freunden besteht, Robin Pecknold und Skyler Skjelset, denen ihr Aufstieg mehr zustößt, als dass er irgendwie geplant wäre. Bis heute bilden sie das Rückgrat der Band, überhaupt sind Personalwechsel in ihrem Kollektiv nicht vorgesehen. Eigentlich, denn ihr alter Schlagzeuger Josh Tilman hat sich selbstständig gemacht und präsentiert als Father John Misty eine erstaunlich sarkastische, selbst-ironische und »künstliche« Varian-te des großen Folk-Paradigmas. Aber das ändert nichts daran, dass die Fleet Foxes die klassisch amerikanische Erfolgsgeschichte verkörpern — an die in Amerika immer weniger Menschen glauben können. Ausgerechnet eine durch und durch urbane Band, die sich definitiv nicht in Trumps Amerika verortet, sondern ein Leuchtturm der linksliberalen Popkultur ist, verkörpert den Traum, den Trump »great again« machen wollte.

 

»Crack-Up« verheißt mehr: Gemessen an ihren früheren Alben klingt es fast abweisend abstrakt. Es könnte tatsächlich sein, dass die Band sich aus der Wärme der WG-Küchen herausarbeitet und zu der inneren Ungebundenheit und künstlerischen Unabhängigkeit, gelangt, wie sie etwa Van Morrison oder Neil Young — freilich immer an sich selbst leidend — vorgelebt haben. »Crack Up« bricht mit mehr Standards, als Traditionalisten lieb sein könnte. Allerdings nicht in einem provokativen Sinne — das Album bleibt am Ende doch wohltemperiert —, sondern in einem hochkulturellen, tatsächlich! Der mehrstimmige Gesang arbeitet sich heraus aus dem Crosby-Stills-Nash-Kontinuum und erinnert an die Beach Boys in ihrer versponnenen Phase, die Songs orientieren sich stärker an dem ausschweifenden, exzentrischen, Feen- und Troll--besessenen britischen Folk der frühen 70er Jahre. Pecknold, der das Album nahezu im Alleingang ge-schrieben hat, breitet Material aus, das vielversprechend ist. Auch er arbeitet sich nicht an Geschichte ab, sondern an Geschichten. Trotzdem hat das Album eine zentrale Botschaft: Es gibt eine musikalische Zukunft abseits des Hypes.