Detroit

Kathryn Bigelow inszeniert in ihrem neuen Film die »1967 Detroit Riots«

als zorniges Mahnmal für die Gegenwart

Anfangs sieht alles nach einem Routine-Job aus: Eine Bar ohne Schanklizenz soll hochgenommen werden. Drinnen feiern einige Afro-amerikaner die Rückkehr von Freunden aus Vietnam. Doch mit der Routine hat es sich bald: Die Hintertür klemmt, jetzt muss man die Leute über die offene Straße ab-führen — unter den Augen der Passanten, die Polizeischikane wittern. Unmut macht sich breit, eine Bierflasche fliegt, eins kommt zum anderen, die Polizei zieht hektisch ab — schon geht ein Schaufenster zu Bruch, Plünderer greifen zu. Dann steht Detroit in Flammen, Schüsse fallen, Chaos.

 

Fünf Tage und einen Militäreinsatz hatte es gedauert, bis sich die bürgerkriegsartigen Zustände legten. Fünf Tage im Sommer 1967, die mit 43 Toten und über 1000 Verletzten als Unruhen von Detroit in die US-Geschichte eingegangen sind. Bis heute bilden sie den historischen Bezugspunkt, wenn die Themen Polizeigewalt und Rassismus Schlagzeilen machen — 1991 etwa in Los Angeles, als Rodney King von Polizisten schwer misshandelt wurde. Oder nach Michael Browns Tod 2014 in Ferguson, einem Initialmoment für die #Black-LivesMatter-Bewegung.

 

Schon auf L.A. ’91 hatte die Regisseurin Kathryn Bigelow reagiert: In ihrem fiebrigen Science-Fiction-Noir-Thriller »Strange Days« (1995) geht es unter anderem um Polizeibrutalität — damals eine unmissverständliche Anspielung. In »Detroit« kommt die zwischenzeitlich oscarprämierte  Regisseurin nun sehr viel konkreter auf das Spannungsverhältnis zwischen Polizei und den afro-amerikanischen Communities zu sprechen. Zugleich verfolgt sie damit einen jüngeren Strang ihres Werks konsequent weiter: Mit »The Hurt Locker« (über den Irakkrieg) und »Zero Dark Thirty« (über die Jagd auf Osama Bin Laden) hatte Bigelow nicht nur kontrovers diskutierte Filme vorgelegt, sondern auch mit Drehbuch-autor Mark Boal einen Stil erarbeitet, der sich durch einen reportage-artigen Gestus auszeichnet.

 

Entsprechend dokumentarisch wirkt »Detroit« zunächst in seiner anfänglichen Mischung aus historischem und nachgestelltem Material. Bigelow nimmt sich viel Zeit für die Krisensituation als solche. Protagonisten schälen sich erst allmählich heraus: Der schwarze Wachmann Melvin (John Boyega) etwa, eine Stimme der Vernunft zwischen den verhärteten Fronten. Oder die Musiker der Soulband The Dramatics, die nach einem abgebrochenen Gig im Algiers Motel aufschlagen — nur weg von der Straße, den fliegenden Steinen und den Polizeiknüppeln.

 

Hier im Algiers Motel schnürt Bigelow den Makrokosmos Detroit zum Kammerstück zusammen. Rassistische Cops stürmen das Haus und werden zu Foltermeistern — mit drei Toten, einigen Schwerverletzten und einem skandalösen Freispruch für die Polizei. Als »-Algiers Motel Incident« ist diese Nacht bekannt geworden, Dramatics-Musiker Larry Reed hängte danach traumatisiert seine Karriere an den Nagel.

 

Nahezu in Echtzeit schildert Bigelow die Vorkommnisse, und spitzt sie im drastischen Stil klaustrophobisch zu — soviel No-Nonsense-Wucht hat das US-Kino schon lange nicht mehr hervorgebracht. Kritiker warfen der Filmemacherin daher schon vor, sie könne Rassismus nicht per se als Skandal begreifen, sondern müsse ihn erst eigens zurichten. Mag sein. Umgekehrt speist sich die Wucht des Films aber auch aus dem gerechten Zorn und der Empörung darüber, dass selbst 50 Jahre nach den Detroiter Unruhen noch eine Bewegung wie #BlackLivesMatter nötig ist.

 

Bigelows Film sitzt wie ein gerader Schlag. Auf ein versöhnliches Ende legt sie es nicht an, die Katharsis bleibt aus. Dieser Film entlässt sein Publikum nicht mit dem beruhigenden Kompliment, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen, sondern mit einer Stinkwut. Gesellschaftliche Misstände löst man eben nicht stellvertretend auf der Leinwand — sondern in der Wirklichkeit.

 

Detroit USA 2017, R: Kathryn Bigelow, D: John Boyega, Will Poulter, Algee Smith, 143 Min. Start: 23.11.