Radikale Sprachmelodien

Regisseurin Catherine Umbdenstock liefert mit Möglicherweise gab es einen Zwischenfall eine virtuose Polit-Performance

 

Eine Dichterin und Revolutionärin wird nach der Machtergreifung zur kaltblütigen Politikerin, die auf das eigene Volk schießen lässt. Ein Passant stellt sich, vollbepackt mit Einkaufstaschen, einer Panzerkolonne in den Weg. Ein Passagier überlebt eine Bruchlandung, versäumt es aber beim Ausstieg einen kleinen Jungen zu retten, bevor die Maschine in Flammen aufgeht.   

 

Die Schauspieler Charlotte Krenz, Maria Ammann und Marius Bechen erzählen in verzahnten Monologen von diesen Extremsituationen. In der Inszenierung von Catherine Umbdenstock verdichten sich die Berichte zu einer virtuosen Performance, bei der die einzelnen Figuren Opfer, Täter oder Augenzeugen sind. Geschrieben hat sie der britische Autor, Performer und Musiker Chris Thorpe, der mit viel Gespür für Sprachmelodie und Struktur einen dichten Wortteppich knüpfte. Gilt es doch, geschichtlich fundierte Episoden, wie die des »Tank Man« auf dem Tian’anmen-Platz in Peking 1989, mit Ereignissen in Verbindung zu bringen, deren historische Verortung ins Leere laufen. 

 

Am deutlichsten wird das dramaturgische Prinzip des Stückes, wenn ein vierter Text später als Off-Dialog in die fortlaufenden Erzählungen eingewoben wird. Aus ihm wird der wichtigste Erzählstrang, der die drei monologisierenden Darsteller zu einem kollektiven Schlussakt führt. Dieser beschreibt das Verhör eines Terroristen, der als Einzeltäter aus Hass über die multikulturelle Ausrichtung seiner Gesellschaft ein Massaker unter politisch engagierten Jugendlichen anrichtet. Assoziationen an Anders Breivik werden geweckt, doch bei Thorpe hat sich der Neonazi in der Verkleidung einer Burka tragenden Muslima Zutritt zu den Opfern verschafft. Sie sind in einem Jugendparlament versammelt und nicht auf einer Insel, wie es beim Massaker auf Utøya der Fall war.

 

In den verstrickten Strukturen aus falsch und richtig spiegelt Thorpe das Chaos der menschlichen Existenz wider. Ein Chaos, das erst aus der Distanz zu durchschauen ist. So sitzen am Ende die drei Akteure, aller Erdenschwere enthoben, in goldenen Anzügen inmitten einer Flut aus goldenem Konfetti: als ferne Betrachter, die losgelöst von Raum und Zeit, einen befreiten Blick auf das irdische Treiben haben. Dieser ätherische anmutende Ausklang passt zu einem Theaterabend, der vor allem von der Sprache und dem Spiel der Akteure lebt, die sich ganz in den Dienst der Worte stellen. 

 

 

13. / 14.1., 14. / 15.2., Freies Werkstatt Theater, 20 Uhr