Holger Czukay, Irmin Schmidt, Michael Karoli, Jaki Liebezeit (v.l.n.r.): 1997 waren sie zum letzten Mal als Can vereinigt

Wiederholung als Geheimnis

Ihr Tod ist der große Verlust des vergangenen Jahres: Schlagzeug-Magier Jaki Liebezeit und Produzenten-Genie Holger Czukay schrieben Musikgeschichte

Vor fünfzig Jahren erfand eine Kölner Band die Rockmusik neu, mehr noch: Can überwand den Rockismus im Rock. Die Einflussbekundungen von den Sex Pistols über The Fall bis hin zu Tortoise sind Legion. Zum großen Jubiläum sollten Irmin Schmidt und Jaki Liebezeit in London zusammenkommen, um mit der Unterstützung der früheren Sonic-Youth-Mitglieder Thurston Moore und Steve Shelley die Musik von Can noch einmal zum Leben zu erwecken. Doch dann verstarb im Januar Liebezeit, und am 5. September verstarb dann auch noch Bassist Holger Czukay überraschend.

 

Noch vor dessen Tod hatten wiederum Manos Tsangaris von Liebezeits Percussion-Ensemble Drums Off Chaos und Reiner Michalke, Leiter des Stadtgartens, einen Erinnerungsabend für Liebezeit geplant. Jetzt wird es wohl eine Doppelhommage. Und für das letzte verbliebene Gründungsmitglied, den Keyboarder Irmin Schmidt, so etwas wie ein Schwanengesang.

 

Dabei ist die Geschichte der Band noch nicht wirklich erfasst. Das meiste, was über sie bislang geschrieben wurde, stammt von englischsprachigen Autoren. Die Musikjournalisten Julian Cope und David Stubbs legten Kompendien zur Krautmusik vor, eine bereits mehrfach angekündigte Band-Biografie von Wire-Autor Rob Young harrt noch der Veröffentlichung. Um das Besondere der Band herauszuarbeiten, muss sich eine Produktionsgeschichte vor allem mit den beiden Rhythmusarbeitern Czukay und Liebezeit beschäftigen. Die Arbeitsweise des anarchistisch inspirierten Kollektivs war zwar kooperativ angelegt, aber Liebezeit und Czukay waren das Herz von Can, der Rhythmus macht diese Musik unverwechselbar und auch revolutionär.

 

Liebezeit war von Haus aus Jazzer. Tatsächlich sah es Mitte der 60er Jahre ganz so aus, als würde der 1938 in Dresden als Hans Heinrich Liebezeit geborene Musiker einer der wichtigsten Schlagzeuger der aufkeimenden deutschen Jazz-Szene werden. Für einige Jahre war das Liebezeit auch. Als junger Schlagzeuger ergriff er zu Beginn der 60er die Chance, nach Spanien zu gehen und mit Chet Baker zu spielen. Doch was ihn in Barcelona nachhaltig prägte, war nicht der Cool Jazz des fragilen Trompeters, sondern die von arabischer Musik beeinflussten Flamencorhythmen. Zurück in Deutschland nahm er Ende 1966 mit dem Pianisten Alexander von Schlippenbach in den Kölner Ariola-Studios das Album »Globe Unity« auf, aus dem kurz darauf das legendäre Big-Band-Ensemble gleichen Namens entstand. Es war der Urschrei des Free Jazz. Liebezeit spielte mit den Free-Pionieren Peter Brötzmann und Peter Kowald und verfeinerte im Quinett von Trompeter Manfred Schoof die Improvisationskunst.

 

Aber schon kurze Zeit später verließ Liebezeit die Szene. Es zog ihn zu einer experimentierfreudigen Rockmusik, die die britische Presse bald »Krautrock« taufen sollte. Der sogenannte »Freie Jazz«, so erzählt Manos Tsangaris im Gespräch, hatte für Liebezeit »schlicht zu viel Verbote«: Tonalität und Wiederholungen waren ähnlich wie in der E-Musik verpönt. Doch gerade in der Wiederholung entdeckte Liebezeit das Geheimnis einer neu zu entwickelnden Musik, die sich außereuropäischen Rhythmen öffnete. Aus Liebezeits Beschäftigung mit den kreisenden Bewegungen indischer, afrikanischer und arabischer Percussionmusik kommt der Energieschub für Cans einzigartigen Sound.

 

Liebezeit gründet 1968 schließlich in Köln zusammen mit Irmin Schmidt, Michael Karoli und Holger Czukay Inner Space. Nachdem der New Yorker Bildhauer Malcom Mooney dazustieß, nannten sie sich The Can. Im New Yorker Slang heißt das so viel wie »der Arsch«. Liebezeit und Schmidt erweiterten später die Bedeutung des bald um den Artikel geschrumpften Namens: CAN stand jetzt für »Communism Anarchism Nihilism«.

 

Der andere Rhythmiker der Band, Holger Czukay (Schüring), hatte in Westberlin Kontrabass bei einem Solisten der Berliner Philharmoniker gelernt, bevor er in Köln bei Karlheinz Stockhausen studierte. Wie der ebenfalls klassisch ausgebildete Schmidt, grenzte sich auch Czukay bald gegen die E-Musik ab, die war einfach nicht funny genug. Am 25. Juli 1969 nahmen sie auf Schloss Nörvenich das Album »Monster Movie« auf. Der zentrale Track »You Doo Right« feiert in epischer Länge die Magie der Repetition. Mooney, den die Frau von Irmin Schmidt in Paris kennen gelernt hatte war Assistent von Bildhauer Ulrich Rückriem, der im Schloss ein Atelier unterhielt, Schlossherr und Kunstsammler Christoph Vohwinkel ermöglichte es Can, ein Studio einzurichten und ein Jahr mietfrei zu proben und aufzunehmen. Der Rest ist Musikgeschichte.

 

Es folgten die Aufnahmen »Soundtracks« (1970) und »Tago Mago« (1971). Letztere zeitigte den Durchbruch in der Pop-Nation Nr.1, England, wo Can bis heute weit mehr Aufmerksamkeit erhalten als in der Bundesrepublik. In ihrem daraufhin in Weilerswist eingerichteten Studio, wo Czukay im September 2017 tot aufgefunden wurde, nahmen sie »Ege Bamyasi« (1972) und »Future Days« (1973) auf. Aus diesen fünf Alben besteht das kanonische Werk der Band, mit dem sie der Pop-Avantgarde ihren Stempel aufprägen konnten.

 

Wenig später bröckelte das Bandgefüge, an der nachgerade kosmischen Bedeutung der Band ändert das aber nichts. Abseits von Can profilierte sich in den 80er und 90er Jahren Czukay als Produzent und Liebezeit als omnipräsenter Sessionman. Ihre gemeinsame Geschichte muss, darauf sei noch mal hingewiesen, erst aufgeschrieben werden.

 

StadtRevue präsentiert

Konzert: 22.1.,

Philharmonie, 20 Uhr,

»Jaki Liebezeit — A Tribute«, Teilnehmer u.a. Drums Off Chaos, Irmin Schmidt, Damo Suzuki, Gianna Nannini, Jah Wobble, Manfred Schoof, Jochen Irmler, Pi-hsien Chen.