»Wem das zu viel ist, soll halt gehen«

Die Fantasy Filmfest White Nights präsentieren als Kölnpremiere Guillermo del Toros Mensch-Monster-Liebesfilm »Shape of Water« — ein Interview mit dem Regisseur

Der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro (53) gilt spätestens seit »Pans Labyrinth« und »Hellboy« als Meister düsterer Fantasy-epen, in denen Außenseiter die Helden sind. Sein neuestes Werk »Shape of Water« bietet einen gewagten Mix aus Monsterfilm, Liebesdrama und Thriller. Del Toro erzählt von der stummen Elisa, die Anfang der 1960er Jahre als Putzfrau in einem Labor der US-Regierung arbeitet, in dem mit einer -Kreatur aus dem Amazonas experimentiert wird. Heimlich und zaghaft entwickelt sich zwischen Elisa und dem Amphibienmann eine Liebe gegen alle Konventionen.

 

 

Herr del Toro, wie schwierig war es für Sie, die verschiedenen Genreelemente ihres Films zu einem organischen Ganzen zu verschmelzen?

 


Die Balance im Ton zu halten war die größte Herausforderung. Ich nutze Versatzstücke aus Märchen, Spionagethriller, Musical und Komödie, die eigentlich nicht zusammenpassen. Die Darsteller müssen daher auf eine bestimmte Art spielen: Sie dürfen nicht komplett real wirken, aber sie müssen emotional wahrhaftig bleiben. Dasselbe gilt für Ausstattung, Kamera, Licht, Kostüme, Sound und Filmmusik, die dem Ton und der Atmosphäre des Films dienen.

 

 

Die Liebesgeschichte zwischen der stummen Putzfrau und dem Monster ist ziemlich gewagt.

 


In jedem meiner Filme gibt es diese eine Szene, von der ich weiß, dass ein Teil des Publikums mental aussteigt, manche verlassen auch tatsächlich den Saal. Hier ist es die Szene, in der Elise zum Monster in die Badewanne steigt. Wem das zu viel ist, soll halt gehen.

 

 

Sie beginnen den Film recht drastisch. Sie zeigen Elisa bei ihrer morgendlichen Routine, zu der Eierkochen und Masturbation gehört.

 


Ich wollte keinen süßlichen Einstieg wie bei einem Disney-Film. Als Elisa die Kreatur zum ersten Mal sieht, spürt sie sofort, dass sie etwas gemeinsam haben. Das ist das Tolle an der Liebe: Dein Gegenüber kann dasselbe Geschlecht haben oder nicht, religiös und politisch mit dir übereinstimmen oder nicht, aber wenn man sich verliebt, ist das alles egal. Und das passiert den beiden. Sie waren füreinander geschaffen, über alle Gegensätze hinweg.

 

 

Eine sehr idealistische Vorstellung.

 


Der Film ist das Gegenmittel zu allem, was gerade auf der Welt passiert. Wir leben in einer Zeit von Zynismus, Vulgarität und Hass. Ist es nicht verrückt, dass es heute riskanter ist, über Liebe zu sprechen als über Hass? Macht man einen Film über Hass und Gewalt, wird das für smart und reflektiert gehalten. Ein Film über Liebe dagegen gilt schnell als kitschig und rührselig. Für mich ist »Shape of Water« auf eine schräge Art ein sehr politischer Film. Ich sage, dass Liebe jede Form annehmen kann. 

 

 

Ihr Film spielt 1962 während des Kalten Krieges, eine Zeit, die der heutigen in Vielem ähnelt.

 


Als ich 2012 mit dem Film anfing, war mir klar, dass er für mich von der Gegenwart handeln würde. Aber ich hätte mir nie vorgestellt, was dann wenige Jahre später passierte: Brexit, Trump und all das. Ich wollte zeigen, dass wir heute ähnliche Probleme haben wie damals: Rassenkonflikte, Hass und die Teilung der Welt in konträre Fraktionen. Viele sehen nur das Offensichtliche: einen Monsterfilm. Für mich ist »Shape of Water« aber viel mehr  als das. 

 

 

Was war die größte Herausforderung für sie?

 


Ich wollte einen Film drehen, der unter zwanzig Millionen Dollar kostet, aber nach sehr viel mehr aussieht. Ich wollte eine Welt wie in »Hellboy« erschaffen, aber aus der Perspektive der Putzfrauen, die Toiletten schrubben. Es ist eine scheinbar kleine Geschichte mit großer Ausstattung, aber auch einem großen Risiko. Wichtig war dabei die Besetzung, die ich schon beim Schreiben des Drehbuchs im Kopf hatte, allen voran Sally Hawkins als Elisa, aber auch Richard Jenkins und Michael Shannon. Ich habe gewartet, bis sie alle Zeit hatten. Ohne sie gäbe es den Film nicht.

 

 

Scheitern Sie auch manchmal?

 


Oh ja, oft! Manchmal muss man etwas aufgeben, dass einem kostbar war, etwa eine Szene, die nicht funktioniert. Dreharbeiten sind Krieg, es gibt immer Verluste. Man hofft nur, dass es keine wesentlichen sind. Ich habe Rollen falsch besetzt. Aber es passiert auch umgekehrt, dass ich einen Darsteller gegen den Willen des Studios durchgesetzt habe und sich das als perfekte Entscheidung erwiesen hat. So war es mit Ron Perlman in »Hellboy«. Zuerst wollte niemand den Film mit ihm in der Hauptrolle finanzieren und heute kann man sich keinen anderen mehr vorstellen.

 

 

 

Fantasy Filmfest White Nights

 

Der Winterableger des Fantasy Filmfest gibt sich in dieser Ausgabe geradezu seriös — zumindest sind gleich mehrere Filme im Programm, die bereits bei den großen Renommierfestivals für Aufsehen gesorgt haben. Allen voran natürlich Guillermo del Toros Venedig-Gewinner »Shape of Water«, aber auch »A Beautiful Day«, für den Lynne Ramsay in Cannes den Drehbuchpreis gewann und Joaquin Phoenix die Palme für den besten Hauptdarsteller. Phoenix spielt hier einen depressiven Mann fürs Grobe, der das entführte Kind eines Senators aus einem Puff befreien soll. Der in Locarno gezeigte »Let the Corpses Tan« ist nicht weniger blutig, aber deutlich sonniger und vergnügter. Das französische Regie-Duo Helene Cattet and Bruno Forzani hat viel Spaß mit ihrem Neo-Spaghetti-Western, in dem eine Räuberbande glaubt, ein perfektes Versteck für 250 Kilo Gold gefunden zu haben. 

 

Sa 20.1.–So 21.1., Residenz. Vorverkauf ab Fr 12.1. Infos: fantasyfilmfest.com