Zwischenstand: Schauspielhaus am Offenbachplatz, Foto: Dörthe Boxberg

Keine Angst vor Positionen

Ob private Dramen oder politische Krisen — die Theater in Köln brachten 2017 viel echtes Leben auf die Bühne

Jetzt hat er doch die Reißleine gezogen. Anfang November gab Intendant Stefan Bachmann bekannt, dass nicht er es sein wird, der die Schauspielhaus-Baustelle zu einem guten Ende führen wird, sondern Köln freiwillig  nach der Spielzeit 20/21 verlässt. Er, dem man hinter vorgehaltener Hand oft unterstellte, sich über die katastrophale Endlos-Baustelle zu freuen, da sie ihm automatisch Verlagsverlängerung garantierte, hat freiwillig, pragmatisch und verantwortungsbewusst zugegeben, dass Köln in vier Jahren einen künstlerischen Wechsel brauchen wird.

 

Das ist schade — denn wie kein anderer steht Stefan Bachmanns Stimme in Köln für urbane Wachheit und einen offenen Umgang mit den architektonischen Fallstricken der geschundenen Stadt. Großartig, wie er auch in dieser Saison schaffte, den ehemaligen »Problem«-Stadtteil Mülheim in sein Programm einzubinden und wie nebenbei ein politisches Bewusstsein für Stadtgestaltung und Partizipation zu schaffen, unter anderem mit dem leider viel zu wenig beachteten Festival »Die Stadt von morgen« unter der Mülheimer Brücke. Bewundernswert, wie selbstbewusst und ironisch-lässig es ihm gelang, das neue Klei--ne Haus im Stadtzentrum als lebendige Außenspielstätte des Kölner Schauspiels zu positionieren. 

 

Aber es ist auch gut, wenn künstlerisch wieder ein anderer Wind weht. Denn seltsam konservativ und bürgerlich hat Stefan Bachmann trotz Fabrikhallen-Theater das Schauspiel konzeptioniert, in fast absurd statischem Formwillen erstarrten seine eigenen Inszenierungen »Hamlet«, »Peer Gynt« und »Wilhelm Tell«, Freakshows mit Herrenbesetzung ohne großen Erkenntnisgewinn. Dabei ist Bachmann einst mit verspielt-pathetischen, grandios politisch unkorrekten Pop-Inszenierungen berühmt geworden. Beim älteren Abonnentenpublikum mag sein gediegen-trashiges Spätwerk gut ankommen — spannendes, zeitgenössisches Theater sieht anders aus. Während in anderen Städten in der Region, etwa Dortmund, mit der digitalen Zukunft auf der Bühne experimentiert wird, während in Düsseldorf eine neue Bürgerbühne Furore macht und glänzende Regisseure wie Tilmann Köhler und Matthias Hartmann aufspielen, herrscht in Köln  gediegenes Mittelmaß.  Das Kölner Schauspiel ist unter Stefan Bachmann nicht zu großer Strahlkraft gelangt, möglicherweise lag das auch an der vorzeitigen Festlegung auf drei Hausregisseure, von der die diskursiv forderndste und offenste, Angela Richter, leider zu Beginn dieser Spielzeit abgesprungen ist. Moritz Sostmanns wunderschöne Puppen- und Menscheninszenierungen geraten zuweilen arg statisch und vorhersehbar, fast schon ärgerlich beim rührseligen Fluchtstück »Occident Express« zu erfahren, wo wohlgenährte Schauspieler mit düsteren Mitleidsstimmen hagere Flüchtlingspuppen mit Kopftüchern und Lagenlook führen. Kann man das überhaupt noch bringen, zwei Jahre nach den auch im Theater geführten Auseinandersetzungen über die Flüchtlingskrisen? 

 

Und doch ist bei weitem nicht alles schlecht in unserem Theaterjahr, abseits der großen Namen lassen sich auch auf Kölner Bühnen Glanzstücke finden. Die Uraufführung »Frau Schmitz« von Lukas Bärfuss etwa, von Rafael Schmitz am Offenbachplatz als listiges Spiel mit Gender-Zuschreibungen inszeniert — der tolle Schauspieler Jury Englert changiert doppelbödig zwischen Mann und Frau und lässt jeweils das andere Geschlecht aufscheinen, während immerzu klar wird, welchen inneren und äußeren Gesellschaftszwängen man selbst gehorchen zu müssen meint. 

 

Wunderbar gelingt der jungen Regisseurin Lilja Rupprecht, dem dekonstruierten well-made play »Mary Page Marlowe« des amerikanischen Pulitzer-Preisträgers Tracy Letts philosophische, fast schon kosmische Tiefe zu geben. Überhaupt schön, dass Intendant Bachmann jungen Frauen Chancen gibt: Charlotte Sprengers kluge Adaption von Jonas Hassen Khemiris Roman »Alles, was ich nicht erinnere« und auch Pinar Karabulut mit ihrem spritzigen »Romeo und Julia«-Abend ragen definitiv heraus.

 

Und man muss ja an den Städtischen Bühnen nicht alles sehen, man  kann man auch in die Kölner Freie Szene blicken, die eine bemerkenswert hochwertige und politisierte Spielzeit durchläuft: »Bilqiss« am Theater der Keller hat soeben zu Recht den Kölner Theaterpreis gewonnen, eine konzentrierte, provokante, verstörende Anklage gegen einen patriarchalischen-fundamentalistischen Islam, geführt von drei Frauen. Großartig ist auch »Inside AfD« vom Nö-Theater oder auch die Recherchearbeit »Shit Island« von Futur3: Das Kölner Kollektiv führt durch die Geschichte der Südsee-Insel Nauru, einem Prototyp kapitalistischer (Natur)-Zerstörung, konfrontiert den Zuschauer mit eigenen Südsee-Fantasien, um ihn danach an kolonialistische Ausbeutungsmechanismen zu erinnern. Für einen Nachmittag mit dem Künstlerduo katze und krieg, Theaterpreisträgerinnen 2015, lohnt sich die Anreise zum Rheinau-Hafen: in ihrer aberwitzigen, anarchischen und provokanten Performance »In der Firma« kapern Julia Dick und katharinajej nichts ahnende Unternehmen zur »Verbesserung der Arbeitsbedingungen« und führen vor, unter welche absurde Arbeitsweltregeln sich ein Großteil der Menschheit tagtäglich beugt.

 

Wer in Köln gutes Theater sehen will, sollte an den Rändern suchen.