Foto: Dörthe Boxberg

Nichts wie raus

»Escape Rooms« sind zu einem urbanen Freizeittrend geworden.

Eine Gruppe von Spielern lässt sich in einem Raum einschließen

und entkommt erst nach erfolgreichem Rätselraten

Nora ist weg. Seit Tagen hat niemand unsere Studienfreundin gesehen, niemand kann sie erreichen. Was mit ihr passiert ist? Wie es ihr geht? Wir wissen es nicht. Wir haben Noras ehemaligen Professor in Verdacht, etwas mit ihrem Verschwinden zu tun zu haben. Rumpeltin war einst ein angesehener Wissenschaftler, ehe er für seine Forschung immer gewissenloser wurde. Wir machen uns auf den Weg zu ihm, treffen den Professor aber nicht an. In eineinhalb Stunden kehrt er zurück. Bis dahin müssen wir bei ihm nicht nur Hinweise auf Nora finden, sondern auch den Weg zurück ins Freie.  Zu fünft betreten wir einen kleinen Raum mit warmer Beleuchtung, das Radio spielt leisen Soul. Hinter uns fällt die Tür ins Schloss. Unsere Zeit läuft. 

 

Die Suche nach Nora an diesem Novemberabend hat sich nicht in einem geheimen Versuchslabor zugetragen, sondern in einem Hinterhaus in Neuehrenfeld. In einem ehemaligen Schlachthof betreibt die Firma »Breakout Cologne« zwei Escape Rooms. Täglich kommen mehrere Dutzend Menschen hierher, um Nora zu finden. 

 

Dabei existieren weder Nora noch ihr Professor. Escape Rooms sind Rollenspiele, die einem schlichten Ablauf folgen: Eine Gruppe von Spielern wird in einem oder mehreren Räumen eingeschlossen und muss daraus wieder entkommen. Dafür müssen die Spieler nach Hinweisen suchen und verschiedene Rätsel lösen, sie müssen mit deduktiver Logik Zahlen und Buchstaben, Formen und Farben miteinander verknüpfen. Ein Spielleiter beobachtet die Gruppe über Kameras. Er hilft, wenn es nötig wird. Die grundlegende Spielidee hinter Escape Rooms ist naheliegend und auch nicht neu.

 

Aber sie funktioniert. Escape Rooms sind in den vergangenen Jahren zu einem der größten Freizeittrends in Städten geworden. In Deutschland gibt es nach Angabe des Portals escaperoomgames.de mittlerweile mehr als 300 Anbieter mit fast 900 Räumen. Nach Berlin ist Köln mit derzeit acht verschiedenen Betreibern die Stadt mit den meisten Rätselräumen der Republik. »Die Szene entwickelt sich unglaublich schnell«, sagt David Ruda, der Betreiber von »Breakout Cologne«. Erst im August 2013 hatten zwei ungarische Brüder den ersten Raum in Deutschland eröffnet. Sie brachten die Spielform nach München, die in ihrer Heimat längst enorm populär war. Budapest mit seinen unzähligen Brachen und Kellergewölben gilt als europäische Hauptstadt der Escape Rooms. Viele Touristen reisen nur dorthin, um sich tagelang in möglichst vielen Kellern einsperren zu lassen.

 

In Köln seien die meisten Besucher dagegen noch immer Erstspieler, erzählt David Ruda von »Breakout -Cologne«. Vor drei Jahre hatte der Mediendesigner selbst das erste Mal einen Escape Room gespielt, »das hat mich umgehauen«. Nicht nur ihn: Ruda sah viele begeisterte Gesichter von Menschen, die aus den Räumen kamen. Er kündigte seinen Job und mietete die alten Gewerbehallen in Neuehrenfeld an, in denen er jetzt sitzt. »Ich hatte am Anfang eine Vorstellung, wie der Raum aussehen soll. Das war alles.« Ruda schrieb eine Geschichte als Rahmenhandlung, entwickelte Rätsel, sammelte Requisiten. Als er das erste Mal dachte, sein Raum sei spielfähig, lud er Freunde zum Testen ein. Nach mehr als drei Stunden kamen die Probespieler entnervt aus dem Raum. Mittlerweile kann Ruda darüber lachen. Die beiden Räume von »Breakout Cologne« sind wie die vieler Mitbewerber gut ausgelastet. Die Gruppen bestehen zumeist aus Spielern zwischen 20 und 35 Jahren, es kommen aber auch Familien oder Unternehmen für Teambuilding-Maßnahmen. Ruda plant gerade einen dritten Raum, mit mehr Technik und Effekten. Seine Räume sind Eigenbauten. Obwohl es sich bei Escape Rooms mittlerweile um einen gutgehenden Geschäftszweig im Freizeitsektor handelt, in dem gerade Städter gerne viel Geld lassen, besitzen noch immer viele Angebote den Charme inhabergeführter Liebhaberei. »Bei den Anbietern gibt es keine so starke Konkurrenz. Es gibt viel Austausch«, sagt Ruda. Man sei daran interessiert, dass die Mitbewerber spannende Rätsel anbieten und die Spieler wiederkommen. Dann meistens zur Konkurrenz. Die Räume sind fast alle Unikate, an denen stetig weiter gebastelt wird.

 

»Ein Escape Room ist nie fertig. Er bleibt dynamisch«, sagt Dan Gabriel. Der Game-Designer entwirft Spiele für Computer und Konsolen — und konzipiert Escape Rooms. Zuvor arbeitete der Österreicher als Theaterpädagoge, brachte Kindern das Improvisieren auf der Bühne bei, ehe er in Wien erstmals als Spielleiter mit Escape Rooms in Kontakt kam. Schnell merkte Gabriel, dass sein beruflicher Werdegang ideal war für das aufkommende Spielemedium. »Ein gut gestelltes Rätsel kann man intuitiv erfassen«, erklärt Gabriel. Und es habe den Vorteil, dass der Rätselnde sich selbst die Lösung zuschreibt. Die Spieler kommen in einen Flow-Zustand, »dürfen weder überfordert noch unterfordert sein«.

 

Warum lassen sich erwachsene Menschen für Geld in einen Raum einsperren, um eineinhalb Stunden nur mit der Frage zu verbringen, wie sie ihn wieder verlassen können? Dan Gabriel lacht. »Viele Menschen haben ein großes Bedürfnis danach, gemeinsam etwas zu erleben«, sagt er. Ein Escape Room vermittelt jedem Spieler das Gefühl, dass er Verantwortung für die Gruppe trage und sein Handeln Einfluss auf die Welt besitze, in der er sich gerade bewegt. Der Spieler tritt in einen magic circle ein, »ein sicherer Raum mit eigenen Regeln«. Niemand reißt in der Realität alle Schubladen aus den Schränken oder hängt die Bilder von den Wänden. Zur Figur der Geschichte eines Escape Games zu werden, bedeutet nicht nur, aus einem wenige Quadratmeter großen Raum zu entkommen. Es ist auch die Flucht aus dem Alltag, den man zurückgelassen hat,
als die Tür hinter einem ins Schloss fiel.

 

In Köln hat Gabriel im diesem Jahr an einem der deutschlandweit größten Escape-Room-Projekte mitgewirkt: Für die Hörspiel- und Buchreihe »Die drei ???« entwickelte er im Auftrag des Unternehmens AWC vier Rätselräume. AWC hat etwa im Odysseum in Kalk Erlebnisausstellungen zu »Harry Potter« oder »Die Sendung mit der Maus« konzipiert. Nun bringt die Firma »Die drei ???« in Rätselräume. »Mit den Escape Rooms wollen wir das, was man sonst hört oder liest, zu einer Erfahrung werden lassen, die man mit allen Sinnen macht«, sagt Christopher Owen von AWC. Wenn man Anfang 2018 in der Innenstadt eröffnet, endet eine mehr als einjährige Entwicklungszeit. »Die drei ???«-Autor André Marx steuerte vier neue Fälle bei, die Original-Sprecher lieferten Hörspiel-Sequenzen. 

 

»Escape Games sind vom reinen Rätselspiel zum interaktiven Multimedia-Erlebnis geworden«, sagt Game-Designer Dan Gabriel. Dass Escape Rooms gar von großen Unternehmen als Marketingsinstrument genutzt werden, zeigt, dass sich das junge Medium rasant entwickelt und von seiner ursprünglichen Form entfernt — dem staubigen Keller mit Kisten und Schlössern. Was bleiben wird, ist die zentrale Idee der Räume: die Flucht durch das Lösen von Rätseln.

 

Wir haben 89 Minuten und drei Hinweise unseres Spielleiters benötigt, um uns aus dem Escape Room des verrückten Professors Rumpeltin zu befreien. Wir wissen jetzt, dass Nora lebt. Nur eine Tür weiter können wir sie befreien. Dort wartet der nächste Escape Room.