Partyraumschiff auf Crashkurs

Seit dem Hit »Zdarlight« durchbricht das Hamburger Duo Digitalism alle Genregrenzen im Sounduniversum

Man hat es in den letzten Monaten immer wieder gehört: Daft Punk 2.0 kommen nicht etwa aus dem Herzen der Grande Nation, sondern aus Hamburg. Jens ­Moelle und Ismail Tuefekci alias Digitalism sind zwei Jungs der Generation DJ, die – ganz ohne Musiksozialisation in einer Band – dem Spaß und der Unmittelbarkeit des Rockens auf der Spur sind. Der Verweis auf eine von Minimal-Techno gelangweilte Pop-Hipster-Avantgarde, die wieder richtig einen draufmachen will, verursacht inzwischen ja selbst schon Gähnreiz.

Trotzdem, die Zeichen der Zeit sind unübersehbar: Die Pariser Labels Ed Banger und Kitsuné, die als »New Rave« gelabelte Gitarren-Dance-Music aus England, Acts wie Simian Mobile Disco, Justice und Digitalism, ja sogar noch Mark E. Smith im Verein mit Mouse On Mars als Von Südenfed setzen auf eindeutige Signale. Plakativität, Prollfaktor, Pawlow’sche Partyreflexe. Elektronische Musik zum Mitgrölen ist angesagt – der typische, nach Alter Egos Rotz-Techno-Hit benannte »Rocker«-Effekt. Die Kinder von Electro-Clash und Punk-Funk fressen ihre Techno-Eltern. An vorderster Front dabei: Digitalism.

Respektlosigkeit beim Produzieren

In den vergangenen sieben Jahren zogen die beiden Mittzwanziger Jens Moelle und Ismail Tuefekci vom Plattenkaufen übers gemeinsame Auflegen und Edits-Basteln bis hin zum Produzieren eine schnurgerade Linie im Zeichen der maximalen Party-Effekte. Diese Linie führen sie jetzt – ebenso logisch und simpel – weiter zum Die-Sau-Rauslassen an Gitarre und Mikrofon. Nicht nur wegen dieser vielseitigen Musikvorlieben, wegen ihres Labels Kitsuné oder wegen des fetten Digitalism-Sounds drängen sich Parallelen zur französischen Dance-Tradition der 90er Jahre auf. »Was mich persönlich super angesprochen hat, ist diese Respektlosigkeit beim Produzieren, den Leuten einfach irgendwas hinzuklatschen – und damit müssen sie dann halt leben«, bekennt Jens Moelle. »Diese Dreistigkeit ist auch ein bisschen in mir drin. Wenn man das dann französischen Touch nennen will oder wie auch immer... Hinter diesen Platten aus Frankreich steht eine gewisse Haltung, auch abgesehen von der Musik. Dieses: So, bitteschön, hier! Das fand ich immer sehr cool, denn wir selbst sind eigentlich in alles reingerutscht und haben uns selbst nie aktiv um irgendwas gekümmert. Daher entspricht diese Entwicklung unserem Naturell.«

Ganz egal welches Genre - es geht um Euphorie

Nur drei Maxis haben Digitalism bisher auf diese Weise hingeklatscht (neben einer stattlichen Liste an Remixen von Depeche Mode über Daft Punk bis Lisa Stansfield) und damit vor allem außerhalb Deutschlands einen Flächenbrand auf den Dancefloors angerichtet. Im aktuellen Party-Koordinatensystem entlang der Achsen Disco und Rock, in dem LCD Soundsystem die neuen Punks sind, Hot Chip die Hornbrillen-Popper und Acts wie Lo-Fi-Fnk der wahr gewordene feuchte Jungstraum von der eigenen Synthie-Band, da sind Digitalism ohne Frage die Schweinerocker.

Egal ob Techno-Bassdrum, Filterdisco-Exzess oder Franz-Ferdinand-Gitarre: Digitalism sind laut, krass, in your face. »Eigentlich darf man ja nicht noch mal Spaßfaktor sagen«, meint Tuefekci. »Fällt dieses Wort, muss ich immer wieder was ins Sparschwein werfen. Aber uns ist wichtig, dass die Leute abfeiern und an einem Track wirklich Spaß haben.« Moelle ergänzt: »Euphorie ist uns einfach wichtig. Ganz egal, was für ein Genre, egal, ob es ein Konzert von den Klaxons ist oder ein richtig geiles Ausrasto-Techno-Set oder Disco. Hauptsache...« Tuefekci fällt ihm ins Wort: »Hauptsache da ist was. Ausrasten! Spaß!«

Ideale einfach umsetzen

In einer Zeit, in der sich die Generation Praktikum in virtuelle Welten verabschiedet, um die Kampftaktiken für die Ressource Aufmerksamkeit immer weiter zu verfeinern, wirken auf der anderen Seite die Versprechungen des real existierenden Hedonismus umso stärker. »Vom Hobby-DJ zum Popstar« lautet die aktuelle Formel der Tellerwäscher-Millionär-Saga, und Digitalism sind mit ihrem Debütalbum zwei ihrer Hauptdarsteller. Die beiden Hamburger machen seit jeher lieber in der Disco­akademie einen drauf, als sich brav für das Projekt Zukunft abzustrampeln. Digitalism wollen heute Spaß und denken nicht an morgen. In Ismail Tuefekcis kleiner Küche im proletarischen Stadtteil St. Georg, wo das Interview stattfindet, stapeln sich die ungewaschenen Teller inzwischen bedenklich. Die zwei Jungs erzählen freundlich und begeistert vom Karrieremärchen, in das sie einfach so reingerutscht sind. Mit Herz, aber, wie sie immer wieder betonen, ohne Plan. »Wir versuchen, etwas Positives rüberzubringen«, sagt Moelle, »das ist so eine Art Generalaussage des Albums, es heißt ja nicht umsonst ›Idealism‹. Es geht darum, Ideale zu haben und sie umzusetzen. Oder darum, dass man ›Morgen‹ erst mal weg lässt und sich auf ›Heute‹ konzentriert – und das ordentlich positiv durchzieht. Einfach mal machen! Nicht großartig darüber nachdenken.« Digitalism geben mit ihrem ersten Album eine klare Parole aus: Mach Spaß-Haben zu deinem Beruf!

Tonträger: Digitalism, »Idealism«
ist bereits auf Kitsuné Music/Labels/
Virgin erschienen.