20. Stranger Than Fiction

Die Jubiläumsausgabe des durch ganz NRW tourenden Dokumentarfilm-Festivals »Stranger Than Fiction« spiegelt die Thementrends des nicht-fiktionalen Kinoschaffens: Schwerpunkte sind zum einen Künstlerporträts, zum anderen Filme zum Thema Migration. Die können poetisch und mythisch aufgeladen sein, wie der Kurzfilm »Oh Brother Octopus« des KHM-Studenten Florian Kunert über Landflucht in Indonesien. Oder aber in Form einer Art teilnehmenden Beobachtung, wie in »Als Paul übers Meer kam«, der im Rahmen eines Werktstattgesprächs mit Regisseur Jakob Preuss wiederaufgeführt wird.

 

Sophie Fiennes (»The Pervert’s Guide to Cinema«) folgt in ihrem neuen Film einer Weltbürgerin in ihr Heimatdorf: In »Grace Jones: Bloodlight and Bami« zeigt sie die scheinbar alterslose Musikerin auf Jamaika, wo sie ihre Familie besucht, und bei Auftritten ihrer spektakulären letzten Tour. Fiennes verzichtet auf die bei Musikdokumentationen oft nichtssagenden Interviews mit Experten, Weggefährten oder berühmten Bewunderern. Stattdessen setzt sie auf die Beobachtung des nicht alltäglichen Alltags ihrer Protagonistin. Dabei entzaubert sie die Medienfigur Grace Jones nicht durch einen Blick »hinter die Maske«, sondern fügt stattdessen dieser schillernden Persona weitere Facetten hinzu.

 

Andere Filme im Programm beschäftigen sich mit der New-Wave-Ikone Anne Clark (siehe auch Kritik S. 58), dem Jazzpianisten Fred Hersch, der österreichischen Künstlergruppe Gelitin und dem Düsseldorfer Konzeptkünstler Hans Peter Feldmann.

 

Ein weiterer herausragender Porträtfilm dreht sich ausnahmsweise nicht um einen Künstler, sondern den Anwalt Ken Feinbergs. Der Amerikaner entscheidet in vielen prominenten Fällen — von 9/11 über die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko bis hin zum VW-Dieselskandal — über Kompensationen für Geschädigte und Hinterbliebene. Die Filmemacherin Karin Jurschik begleitet ihn in »Playing God« (siehe auch Kritik S. 59) bei der Arbeit. Die bringt ihn ständig in Kontakt mit trauernden, traumatisierten und verzweifelten Menschen, die auf ihn — teilweise unerfüllbare — Hoffnungen auf Gerechtigkeit projizieren. Ein faires Porträt eines umstrittenen Mannes, mit dem trotz aller Macht und Prominenz nur wenige tauschen wollen würden.