»Die Verlegerin«

Steven Spielberg liefert ein mitreißendes Plädoyer für Pressefreiheit

Mit geschlossenen Augen klingt das Motorengeräusch des Kleinwagens wie ein ratternder Filmprojektor. Immer wieder irritiert der Ton die Makellosigkeit der Bilder in Paul Thomas Andersons neuem Meisterwerk, bei dem er selbst die 35mm-Kamera führte.

 

Der Mann im Auto ist Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis), er entwirft im London der 50er Jahre Haute Couture. Dabei folgt er stur seinen eigenen Regeln, duldet neben seiner Schwester und Geschäftspartnerin Cyril (Lesley Manville) nur Be-gleiterinnen auf Zeit. Eine dieser Frauen beklagt sich eines Morgens beim Frühstück, sie sei für ihn unsichtbar geworden — und wird daraufhin routiniert aus dem Haus entfernt. Alma (Vicky Krieps), eine Kellnerin, die Reynolds auf einer Landpartie kennenlernt, ist anders als ihre Vorgängerinnen: Sie macht sie sich hörbar. Beim nächsten Frühstück regt sich Reynolds auf, Alma mache zu viel Krach. Regisseur Anderson pegelt die Lautstärke hoch, das Buttern eines Toasts wird zur grässlichen Kakophonie.

 

Wir sind in Reynolds Kopf, teilen seine Qual — aber eigentlich ist es Alma, die von dieser Begebenheit erzählt. Sie scheint zu durchschauen, wie er wahrnimmt, wie er funktioniert. Ein symbiotisches Paar, obgleich man sich anfangs fragt, was diese merkwürdigen Menschen aneinander finden mögen. Sie spricht mit Akzent (Krieps ist Luxemburgerin), und wir wissen von ihr nur, was sie sagt. Etwa: »Ich kann unendlich lange stehen.« Er ist egozentrisch, überempfindlich, demütigend. Natürlich verachtet er seine Kundinnen. Einer desolaten Dame nehmen die beiden ihr Kleid sogar wieder ab, Alma deklariert: »Es geht uns nichts an, wie Mrs. Rose ihr Leben führt — aber wir dulden kein derartiges Verhalten in den Entwürfen aus dem Hause Woodcock.« Das klingt moralisch, dabei sind Reynolds und Alma das beste Beispiel für ein Leben abseits der Norm — aber mit aller Konsequenz, Stil und wachem Bewusstsein.

 

Dieses Bewusstsein markiert der Film, indem er die Sinne stimuliert, Geräusche akzentuiert, alles exakt benennt: Reynolds trinkt nicht einfach Tee, er trinkt Lapsang. Er verarbeitet nicht Spitze, sondern flämische Klöppelspitze. Die reiche Ausstattung, die minutiöse Inszenierung von »Der seidene Faden« sind keine Angeberei des Regisseurs — sie reflektieren die zur Verfügung stehenden Mittel: als Individuum, als Künstler, als Filmemacher. Immer wieder bezieht sich Anderson auf den Meister der Präzision, auf Hitchcock: Alma teilt sich den Vornamen mit dessen Ehefrau und Schnittmeisterin — in einer anderen Branche. Hier und da: Beziehungen, in denen beide Parts unverzichtbar sind.

 

Der Film dekonstruiert das Klischee der passiven Muse im Schatten toxischer Maskulinität durch die Umkehr der Verhältnisse. Wenn Alma für Reynolds Modell steht, ginge es in den meisten Künstlerfilmen wohl darum, sie auszuziehen — als Couturier zieht Reynolds sie an. Alma emanzipiert sich, beginnt, Kontrolle über den Kontrollfreak auszuüben. Gegen seinen Willen geht sie an Silvester zum Maskenball, er kommt ihr nach. Jonny Greenwoods romantischer Klavierscore mischt sich mit dem Traditional »Auld Lang Syne«, wortlos stehen sich Alma und Reynolds inmitten des Chaos gegenüber. Spätestens da ist es unmöglich zu sagen, wer in diesem Spiel der Sieger ist.

 

Im Rückblick erschließt sich für jede Konfrontation eine zweite mögliche Deutung: Könnte es sein, dass Alma seine Irritationen beim Frühstück genüsslich auskostet? Wenn sie wagt seine Stoffauswahl zu kritisieren, Widerworte gibt bis ihm ein brüskes »Stop!« entfährt — soll es ihn kalkuliert aus der Reserve locken? Das Meisterhafte von »Der seidene Faden« liegt darin, präzise und doch suggestiv zu sein. Man wartet auf ein safe word, ohne es zu kennen.