Zwischen Kyoto und Osaka leben Musiker wie Yuko Kureyama und Koshiro Hino

beharrlich den DIY-Ethos — und docken mit ihren Produktionen in Düsseldorf und Köln an

Seit Mitte der Nullerjahre ist der Mythos Japan immer näher gerückt, billigere Flüge und der konjunkturbedingt dauertief stehende Yen machen es möglich. Kultureller Nebeneffekt: Die japanische Pop-Geschichte wurde hipsterkompatibel aufbereitet von Reissue-Labels wie Music From Memorys und Palto Flats. Weniger im Blick ist jedoch die zeitgemäße Elektronik- und Avantgardemusik-Szene des Landes. Ein Fehler, denn zwei Dekaden nach den Boredoms, Merzbow und Keiji Haino gibt es hier viel zu entdecken. Vor allem in der Kansei-Region zwischen Osaka und Kyoto. 

 

Ein zentraler Protagonist der Kansei-Szene ist Koki Emura. Der 47-Jährige betreibt seit 1998 von einem Minibüro in der Innenstadt von Osaka aus das Label EM Records. Mit 170 Neu- und Wiederveröffentlichungen gehört es nicht nur zu den umtriebigsten, sondern auch zu den vielseitigsten Japans. Auf EM Records findet sich gleichermaßen thailändische Popmusik der 70er Jahre, obskure Indische Musik, Klassik, Blues, afrikanischer Fusion-Jazz — ein Autorenlabel wie es im Buche steht.  

 

Kenntnisreich erklärt mir Koki Emura beim Besuch in seinem Büro die Genese der lokalen Musikszene über die Einflüsse der Punkbewegung, die früh aus England und Amerika ihren Weg nach Japan fand. Deren Do-It-Yourself-Ethos sei bis heute spürbar, betont er. Man mache die Dinge gerne selbst. Dass die Leute als Nebeneffekt das, was er mache, als »Nischenmusik« bezeichnen und EM Records das Attribut »Insider-Label« anstecken, das sehe er als Stärke. 

 

In Köln findet man die Veröffentlichungen von EM Records im a-Musik-Plattenladen am Kleinen Griechenmarkt. Betreiber Georg Odijk erzählt mir, dass er das Label von Koki Emura sehr schätzt für »die Detailliebe, die in alles vom Cover bis zu den Begleittexten fließt«. Ihm gefällt, dass sich das Label nicht auf einen Sound fixieren lässt — dementsprechend finden sich die Platten im Laden über diverse Fächer verteilt: von Weltmusik und experimenteller elektronischer Musik bis hin zu Postpunk. »EM ist insofern ein spezielles japanisches Label, da es gar nicht so viel japanische Musik veröffentlicht«, merkt er an. Aber das störe keineswegs. »Was uns von Anfang an bei Musik aus Japan interessiert hat, war diese Eklektik. Von Polka-Elektronik-Krach über Schlager bis zu dem, was da alles Pop sein kann. Es ist in Japan ja nicht so, dass sich die harten Krachjungs und die Popmusiker gegenüberstehen wie bei uns.«

 

Immer wieder treten bei a-Musik im Rahmen der »Spätkauf«-Reihe auch japanische MusikerInnen auf. Im Herbst 2016 gastierten beispielsweise Yuko Kureyama (Kopy, Turtle Yama, The Creams) und Koshiro Hino, der mit seinem Solorojekt YPY das Album »Zurhyrethm« auf EM Records veröffentlicht hat und zudem in der Band Goat spielt. Hino gehört zu den spannendsten und mit 50 bis 60 Shows im Jahr auch aktivsten Musikern aus Osaka. Gerade erst hat er ein paar Konzerte mit dem Düsseldorfer Musiker Stefan Schneider (To Rococo Rot) in Deutschland gegeben. Die beiden haben sich im Frühjahr 2016 bei einem gemeinsamen Auftritt in Kobe kennengelernt, angefreundet und in der Folge das gemeinsame Projekt HINOSCH ins Leben gerufen, von dem bis dato eine EP auf Schneiders Label TAL vorliegt, ein Album ist in Planung. Ein konkretes Konzept für das Projekt gebe es nicht, merkt Hino an, als ich ihn und seine Freundin Yuko Kureyama zum Abendessen in Kyoto treffe. Und ergänzt vielsagend: »Wobei es wohl schon gewisse Regeln der Zusammenarbeit gibt, aber die sind so geheim, dass selbst wir sie nicht kennen.« 

 

Stefan Schneider, der im März 2017 einen zweiwöchigen Arbeitsaufenthalt in Osaka verbrachte, um sich in die dortige Noise- und Elektronikszene einzuarbeiten, erzählt mir auch, wie sehr ihn Hinos Konzerte begeisterten hätten: »Er hatte alle Sounds für das Set auf sorgfältig beschrifteten Tapes, die sortiert auf einem kleinen Tisch lagen. Er hat die Tapes sehr schnell gewechselt und die Laufgeschwindigkeiten der Rekorder manuell hoch- und runter gefahren. Ich hatte so etwas nie zuvor gehört. Alle Klänge, die er mit seinen Rhythmusmaschinen aufgenommen hatte, waren rhythmisch völlig unabhängig voneinander und haben, einem eigenem Leben folgend, eine einzigartige Schönheit entfaltet.« 

 

In der Tat: Koshiro Hino ist ein echter Tape-Magier. Seine Liveshows bestreitet er mit zwei 4-Spur-Tape-Recordern. »Ich habe so mehr Freiheiten als ein DJ, da ich acht verschiedene Spuren zur Verfügung habe. Auf den Tapes sind zwar auch teilweise fertige Songs, aber ich versuche selbst diese jedesmal nochmals zu verändern, in dem ich Effekte drüber lege oder eben andere Stücke hinzu füge«, erklärt er mir sein Set-up.

 

Yuko Kureyama erzählt, dass sie in bester Punktradition zur Musikerin geworden ist: »Ich habe damals in einem Musikvenue gearbeitet und jeden Abend die Bands spielen sehen. Irgendwann dachte ich mir: Das kannst du doch auch. Also habe ich mit anderen Mitarbeitern des Ladens die Band Water Fai gestartet.« Water Fai wurden umgehend zum SXSW-Festival nach Austin eingeladen. Nach einer kurzen Pause ergänzt Kureyama: »Im Gegensatz zur elektronischen Musik, wo man wirklich nicht die Instrumentenanleitung lesen muss, um produzieren zu können — das würde nur schaden, man erhofft sich geradezu den unkorrekten Sound —, muss man das Gitarrespielen schon etwas üben.«

 

Aktuell unterhält Kureyama drei Projekte: die All-Girl-Band The Creams, das Duo Turtle Yama (mit ihrer Freundin Kamei) und ihr Soloprojekt Kopy. Wie Hino arbeitet auch Kureyama viel mit vorbereiteten Tapes, über die sie in einem steten Prozess Schichten aus mit Drummachines und einem Noise-Osziliator generierten Sounds legt. Sie kümmert sich dabei wenig um Erwartungen und Kontinuitäten: Sich klanglich abrupt allen normativen Erwartungen und Zuschreibungen zu entziehen, das übt auf die Autodidaktin einen großen Reiz aus. Zum Ende unseres Gesprächs betont Kureyama, dass DIY für sie etwas sehr natürliches sei. »Man sieht Dinge und eignet sie sich an. Ich habe nie darüber nachgedacht.«