Aufs Maul

Mit »Hool« zerstört Nuran David Calis das Märchen von der Gang als Familienersatz

Heiko ist kein Monster, sondern ein empfindungsfähiger, junger Mann. Er hat Chancen im Leben, er hat eine Wahl. Aber er entscheidet sich für die Gewaltorgien eines Hooligans, für die Lebensgefahr und den Kick des Kloppens. Nur so scheint er sich zu spüren. Heiko ist die Hauptfigur aus Philipp Winklers viel diskutiertem Roman »Hool« (2016), nah an der Wirklichkeit, ein Außenseiter, mit sympathischen Seiten ­— und ein Schläger.

 

Dieser Roman lässt sich nicht leicht auf die Bühne bringen. Realismus verbietet sich von allein, um die Schauwerte von Schlägereien geht es nicht. Die Dialoge sind ebenso wichtig wie die Reflexionen, der Sprachstil schafft Charaktertiefe. Eine Theaterbearbeitung drängt sich nicht auf. Was soll sie an Mehrwert bringen?

 

Auf Anne Ehrlichs Bühne gibt es einen Boxring, ein muffiges Wohnzimmer, das sich später zum Krankenhaus wandelt, einen großen Spiegel mit einer Videokamera davor. Drei junge Männer spielen Heiko, sie machen das großartig. Simon Kirsch, Justus Maier und Daron Yates füllen den Bühnenraum mit Testosteron, Kameradschaft und Verlorenheit. In den stärksten Passagen funktioniert dieser Abend wie ein Hörspiel. Mit zugemischten Geräuschen erzählen sie von den Schlägereien, von Heikos Empfindungen dabei — und fast versteht man die Faszination der körperlichen Konfrontation, die für Heiko Kommunikation ist: Etwas Pures, für das man keine Worte braucht.

 

Problematischer ist es, dass die Schauspieler auch alle anderen Rollen verkörpern. Bei Heikos bestem Freund Kai, der bei einem Racheakt von Fascho-Hools lebensgefährlich verletzt wird, gelingt das noch. Als Gegensatz zu Heiko bekommt Kai klare Konturen, er will weggehen, ein anderes Leben anfangen. Doch die Frauen bleiben Karikaturen. Zum Teil rutschen die Schauspieler in Transen-Nummern, die fehl am Platz sind. Regisseur Nuran David Calis hat sich für einen rein männlichen Blick entschieden. Das ist konsequent, aber die weibliche Dimension wäre wichtig, um einen klaren Blick auf Heiko und seine Möglichkeiten zu bekommen.

 

Am Ende geht Heikos Gang auseinander. Sie bietet ihm keinen Halt mehr. Er will trotzdem weiter machen, klammert sich an sein Selbstbild. Da steht ein Mensch, der eigentlich erreichbar scheint und es doch nicht ist. Ein Verweigerer, einer, der keine Angebote annimmt. Was machen wir mit den Heikos? Die Frage bleibt offen. Keine Antwort zu finden, ist unangenehm. Dadurch bekommt der Abend — wie bei vielen Arbeiten von Nuran David Calis — politische Schärfe.