»Die Gemütlichkeit wird gern beschworen«

Muss man eine Stadt im Film wiedererkennen? Ein Gespräch mit dem Juror des »KölnFilm«-Drehbuchpreises Peter Henning

StadtRevue: Herr Henning, Sie haben siebzig Drehbücher gelesen –wie wird Köln in den Einsendungen repräsentiert?

Peter Henning: Was auffällt ist, dass die Charaktere meist sehr sympathisch gezeichnet werden, oft am Rande der Gesellschaft stehend, oft im Konflikt mit der Obrigkeit. In diesen Charakteren scheinen sich die Kölner wiederzufinden. Wir hatten eine ziemliche Bandbreite an Einsendungen, Krimis, Komödien, viele Coming-of-age-Geschichten, aber dieser bestimmte Charakter zieht sich durch. Es geht oft um Toleranz, es war viel zur Migran­ten-Thematik dabei, aber eben auch diese spezifische Gemütlichkeit – die wird gerne beschworen. Viele Einsendungen kamen von der Kunsthochschule für Medien und der Internationalen Filmschule (ifs). Die Studenten, das merkte man, schreiben über Leute, die sie kennen. Es geht um Konflikte, die auf eine besondere Weise ausgetragen werden.

Was zeichnet zum Beispiel den Preisträger aus, der am 30. Mai bekannt gegeben wird, aus?

Eine absolute Kenntnis der Figur. Es geht um ein schweres soziales Thema, das trotzdem mit Humor behandelt wird. Und ein gesellschaftliches Problem steht sehr stark im Verhältnis zu seiner individuellen Lösung. Diese Dualität ist weniger häufig, die hatten wir vielleicht in acht wirklich sehr guten Einsendungen. Die Jury – Regisseur Kaspar Heidelbach, Elke Kimmlinger von der WDR-Mediagroup und ich – mussten erst einmal herausfinden, was einen Köln-Film ausmacht. Ist es ein junger Film, den wir fördern wollen? Oder neue Sichtweisen? Oder Mut? Wir haben dann viel Augenmerk auf erzählerische Qualität gelegt.

Der Geograph Björn Bollhöfer hat in seiner Doktorarbeit den Kölner »Tatort« untersucht und kommt zu dem Schluss, die Stadt sei den Machern egal, ihre Krimis könnten überall spielen. Zudem sei das gezeigte Köln im echten kaum vorzufinden. Beliebtes Beispiel ist die Würstchenbude mit Panoramablick auf den Dom, die dort aber nicht steht. Berechtigte Vorwürfe?

Nein, ich würde so weit gehen zu sagen: Genau so funktioniert Film! Es ist Blödsinn, eine echte Verortung zu fordern. Die Verortung einer Stadt muss da stattfinden, wo ihre Seele ist. Und wenn man die Würstchenbude zu diesem Zweck eben dahin stellen muss, dann ist das völlig legitim. Das war zum Beispiel auch im Film Noir nicht anders.

Warum ist ein Köln-Bezug im Film dann überhaupt förderungswürdig?

Wenn man auf lange Sicht Geschichten haben will, die das Gesicht einer Stadt repräsentieren, dann muss man das auch fördern. Köln ist eine Multikulti-Stadt, erzählt aber diese Geschichten ganz anders als zum Beispiel Berlin. Dieser Unterschied macht den Reiz aus. Das entsteht ja auch an den Filmschulen: Eine kreative Szene, die sich mit einer Stadt kulturell befassen soll, muss auch in der Stadt gehalten werden. So etwas können Preise leisten.

Lehren Sie als Professor für Drehbuch und Dramaturgie an der ifs Ihren Studierenden also auch gewissermaßen Heimatkunde?

Ja, aber das ist weiter gefasst. Auch Studenten aus Wuppertal befassen sich zunächst mit ihrer Geschichte und ihren Geschichten. Mit dem, was sie sehen und gesehen haben. Ich bin seit vier Jahren hier und habe festgestellt, dass da immer mehr passiert. Früher orientierten sich alle am großen Kino, jetzt besinnen sich alle auf das, was sie kennen und sehen.

Welche Insignien der Stadt würden Sie berücksichtigen, wenn Sie einen Film in Köln drehten?

Eine Herausforderung wäre ein echter Karnevalsfilm. Karneval wird immer nur als Hintergrund benutzt, um irgendwas Existentialistisches zu erzählen. Als große gesellschaftliche Parabel. Doch es wäre interessant, den Ausnahmezustand einer Stadt zu zeigen und ein persönliches Drama der Figuren auf ein Finale im Karneval hinaus laufen zu lassen.

Gibt es bereits den ultimativen Köln-Film?

»Pizza Colonia« von Kaspar Heidelbach ist zwar schon älter, aber bestimmt einer der besten. Ansonsten wird das Bild klar vom »Tatort« geprägt. Ich habe in Bremen mal einen Tatort gedreht, mit Sabine Postel als Kommissarin. Die ist bestimmt mehr Kölnerin als Klaus J. Behrendt. Aber die Bremer haben sie angenommen, und sie bestimmt so auch das Bild der Stadt. Mit dem Kölner »Tatort« ist das – ob der Kölner will oder nicht – nicht anders: Er prägt das Köln-Bild in der Republik.

Verleihung des Drehbuchpreis »KölnFilm 2007«:
Do 30.5., Filmforum NRW, 20 Uhr.
Eintritt nur nach Anmeldung: mail@filminitiativ.de.



Stadtansichten: Filme aus und über Köln

Anlässlich der diesjährigen Verleihung des Drehbuchpreises »KölnFilm« und begleitend zur Ausstellung »Stadt-Bild-Köln – Photographien von 1880 bis heute« der SK Stiftung Kultur hat das Projekt »Köln im Film«, das seit über zehn Jahren die Geschichte des Drehorts Köln recherchiert, wieder eine kleine Filmreihe zusammengestellt.
Höhepunkt dürfte der erst kürzlich wiederentdeckte »A School in Cologne« sein, mit dem nach dem Zweiten Weltkrieg versucht wurde, in England Spenden zum Wiederaufbau der Kölner Schulen zu sammeln. Ergänzt wird das Programm durch eine Hand voll kürzerer Filme aus dem WDR-Archiv und den beiden Köln-Krimis »Heißes Pflaster Köln« (1967) und der Tatort-Folge »Rückspiel« (2002).
Fr 15.6.-So 17.6., Filmhaus.
Infos: www.koeln-im-film.de.



Zur Person

Peter Henning studierte Medienwissenschaften, Literatur und Soziologie in Osnabrück. Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Arbeit als Autor und Regisseur, außerdem regelmäßige Lehraufträge für Drehbuchausbildung, u.a. an der ifs in Köln. Mehrere seiner Filme waren für den Adolf-Grimme-Preis nominiert. Der Film »Schande« wurde mit dem Prix Italia ausgezeichnet.