Andi Dyhring: »Ich liefere etwas am Chlodwigplatz aus und muss dann am Ebertplatz die nächste Lieferung abholen«, Foto: Dörthe Boxberg

Abstrampeln in der Ebene

Gutes Essen auf zwei Rädern, aber die Bezahlung stimmt nicht. In Köln hat sich der erste Foodora-Betriebsrat gegründet. Er ist der Vorreiter

für eine ganze Branche

Der Foodora-Betriebsrat kennt seine Leute. Jan Kleifeld, Andi Dyhring und Benjamin Geißler sitzen in einem Café am Barbarossaplatz, und immer wieder fahren ihre Kollegen auf dem schmalen Radstreifen vorbei — mit Helm und Winterjacke, auf dem Rücken die eckige, pinke Box des Lieferservices: »Das war Steffi.« »Echt?« »Doch, die hat doch immer diesen Schal so hoch ins Gesicht gezogen.« 

 

Seit dem Sommer 2017 sind die drei Fahrer Mitglieder im neunköpfigen Betriebsrat von Foodora in Köln — dem ersten in ganz Deutschland. Jan Kleifeld ist Musiker und verdient mit dem Ausfahren von Essen seinen Lebensunterhalt, Andi Dyhring studiert Betriebswirtschaftslehre, und für Benjamin Geißler ist der Job bei Foodora der vorerst letzte in einer Reihe von prekären Beschäftigungen. Es sind nicht die besten Voraussetzungen, sich zu organisieren.

 

»Wir haben immer mal mit anderen Fahrern darüber geredet, was nicht gut läuft«, sagt Jan Kleifeld. Aus zufälligen Begegnungen in Restaurants wurde eine WhatsApp-Gruppe und daraus lose Treffen nach Feierabend. »Und schließlich sind wir zur Gewerkschaft gegangen.« Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) berät sie in Rechtsfragen sowie bei der Organisation der Betriebsratarbeit. »Bei der NGG hat man nicht den Verdacht, dass sie auf der Arbeitgeberseite stehen«, sagt Kleifeld. Weil die Fluktuation in der Gastronomie hoch ist und viele Betriebe sehr klein oder in Familienbesitz sind, sind nur fünf Prozent der in der Branche Beschäftigten dort Mitglied. Bei Foodora sind die rechtlichen Voraussetzungen für die Gewerkschaftsarbeit etwas leichter als bei der Konkurrenz von Deliveroo und Lieferando, deren Fahrer Freiberufler sind. Die 220 Foodora-Fahrer in Köln sind angestellt. Ihr Stundenlohn beträgt neun Euro, 16 Cent mehr als der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn. Trinkgeld dürfen sie behalten.

 

»Dazu kommt noch unbezahlte Arbeit«, sagt Jan Kleifeld. »Rucksack reinigen, Mitarbeitergespräche am Telefon führen«. Kleifelds Smartphone samt Mobilvertrag muss er selbst bezahlen, ebenso sein Fahrrad und die Reparaturen. Foodora stellt Jacke, Helm, einen Akku sowie die Lieferbox. Zudem hat das Unternehmen angekündigt, eine »Sachmittelzuwendung« einzuführen. »Hierbei erhalten die Fahrer, gemessen an den gefahrenen Stunden pro Schicht, eine Gutschrift«, erklärt Pressesprecher Vincent Pfeifer. Über die Höhe der Gutschrift und bei welchen Radwerkstätten sie eingelöst werden kann, gibt Pfeifer keine Auskunft.

 

Zwar unterhält Foodora in Köln ein Büro, aber die meisten Fahrer haben lediglich über das Internet Kontakt zum Unternehmen. Ihre Schichten werden über eine Website organisiert, die Bestellungen über eine App. »Man loggt sich ein, und bekommt eine Bestellung«, erklärt Jan Kleifeld. »Sobald man diese abholt, wird in der App angezeigt, wohin die Lieferung geht.« In der Nähe des Lieferortes sollen die Fahrer dann die nächste Lieferung annehmen. »In der Praxis sieht das anders aus, weil wir zu wenig Fahrer für die vielen Aufträge haben«, ergänzt Andi Dyhring. »Ich liefere etwas am Chlodwigplatz aus und muss dann am Ebertplatz in einem Restaurant die nächste Lieferung abholen«, sagt Dyhring. »Da kommen schnell vier bis fünf Kilometer pro Fahrt zusammen.« 

 

Die Foodora-Algorithmen organisieren nicht nur die Bestellungen, sondern protokollieren auch die Fahrer. »Alles wird mit GPS gemessen«, erklärt Benjamin Geißler: Durchschnittsgeschwindigkeit, wie viel Zeit wir bei Kunden verbringen, wie lange es dauert, bis wir auf eine Bestellung reagieren«. Die Zeitvorgaben von Foodora seien dem Betriebsrat nicht bekannt, sagt Andi Dyhring. »Der Captain, der für dich verantwortlich ist, sagt dir, falls du zu langsam bist.« Foodora-Sprecher Pfeifer sagt, die Fahrer würden bei Antritt des Jobs darauf hingewiesen, dass Foodora »Pünktlichkeit zum Schichtbeginn, Zuverlässigkeit und Sorgfaltspflicht« erwarte. »Andere Parameter nennen wir aus betrieblichen Gründen nicht.« 

 

Die Kriterien sind schwammig. Die Fahrer befürchten, dass sie gegen sie verwendet werden können. Im vergangenen August hat Foodora den Vertrag mit einem Betriebsratsmitglied nicht verlängert. Foodora sagt, die Leistung der Fahrerin habe nicht gestimmt. »Es gab keine Abmahnung«, sagt Jan Kleifeld. »Als Ersatz wurden zudem Leute eingestellt, die schnell wieder weg waren.« Juristisch sei  keine schriftliche Unterrichtung nötig, erklärt Foodora-Sprecher Pfeifer. Über die Rechtmäßigkeit der Nichtverlängerung entscheidet das Arbeitsgericht, die Verhandlung fand nach Redaktionsschluss im Januar statt.   

 

Als Foodora und andere Lieferdienste vor rund drei Jahren in Deutschland starteten, war viel von einem neuem Arbeitsmodell die Rede. In der Gig Economy sollte die Arbeit datengestützt und kurzfristig organisiert werden — für beide Seiten maximal flexibel. Hinzu kam, dass Fahrrad-Lieferdienste einen guten Ruf genossen. Schließlich liefern sie hochwertiges Essen in die eigene Wohnung, ohne dabei Straßen zu verstopfen oder die Luft zu belasten. So weit, so nachhaltig.

 

Zugrunde liegt diesem Modell jedoch ein Gesetz aus den wenig nachhaltigen Jahren der Kohl-Regierung. Dessen CDU/FDP-Koalition führte 1985 ein, dass Anstellungen ohne Angabe von Gründen befristet werden können. 2001 modifizierte die rot-grüne Bundesregierung die Regelung:  Es ist unzulässig, auf einen Vertrag, der auf zwei Jahre befristet ist, einen weiteren befristeten Vertrag folgen zu lassen. Unternehmen müssen ihre Arbeiter stattdessen unbefristet anstellen oder gar nicht weiter beschäftigen.  

 

»Wir wissen nicht, wie es mit unserer Arbeit weitergeht«, sagt Jan Kleifeld. »Es kann vorkommen, dass man viel Energie in die Gründung eines Betriebsrats steckt, und dann wird der eigene Vertrag nicht verlängert.« Kleine Erfolge konnten Kleifeld und seine Kollegen aber erzielen. Drei Betriebsratsmitglieder sind mittlerweile »entfristet«. Sie hatten schon mit unterschiedlichen Verträgen bei Foodora gearbeitet. Einer von ihnen konnte sich deshalb vor dem Arbeitsgericht einklagen, die anderen Fahrer entfristete Foodora dann freiwillig. Sprecher Vincent Pfeifer lobt denn auch gegenüber der Stadtrevue die »gute und verlässliche Fahrerflotte« in Köln. »Foodora möchte möglichst wenig negative Schlagzeilen«, vermutet Jan Kleifeld. Als Betriebsrat sitzt er in einem kargen Büro mit altem Laptop. Von hier knüpfen er und seine Kollegen Kontakte zu Fahrern in anderen Städten. Sobald in Deutschland ein zweiter Betriebsrat besteht, kann ein Foodora-Gesamtbetriebsrat gegründet werden. Der erhielte dann auch Einblick in die Finanzen des Unternehmens. Im Sommer ist »Delivery Hero«, das Mutterunternehmen von Foodora, an die Börse gegangen. Vorher hat es einen Geschäftsbericht veröffentlicht, in dem für 2016 ein Verlust von 202 Mio. Euro ausgewiesen ist. Das operative Minus von Foodora allein wird mit 47 Mio. Euro angegeben, den Großteil machen die Personalkosten für die Fahrer aus. »Laut Studien ist es für ein Unternehmen förderlich, mit dem Betriebsrat zusammenzuarbeiten«, sagt Andi Dyhring. Er will nach dem Studium weiter bei Foodora Essen ausfahren und sein Wissen vom Studium im Betriebsrat einbringen. Seine Kollegen sind skeptischer. »Realistisch werde ich nicht zehn Jahre bleiben«, sagt Benjamin Geißler. Und Jan Kleifeld meint: »Mit einem Betriebsrat würde ich schon weiter arbeiten. Aber ich plane von einem Tag zum nächsten.«