Simon Schwartz: »Ikon«

»Vita Obscura« lautete der Titel des letzten Comics von Simon Schwartz, und vergessene, obskure und übersehene Lebensgeschichten scheinen den Hamburger Zeichner nicht loszulassen: Auch in seinem neuesten Werk widmet er sich den Verlierern der Geschichte. »Ikon« erzählt das Leben von Gleb Botkin, Sohn des Leibarztes des russischen Zaren, der 1918 als einziger der Hinrichtung der Zarenfamilie im Zuge der Russischen Revolution entkommt. Botkin geht in die USA, wird Kinderbuchillustrator und Autor, gründet die neuheidnische »Church of Aphrodite« und verfällt zunehmend dem Irrglauben, die Zarentochter Anastasia habe das Massaker überlebt. 1920 war in Berlin eine junge Frau aufgetaucht, die sich als Anastasia ausgab und obwohl sie kein Russisch sprach und schnell als Franziska Czenstkowski identifiziert wurde, blieben einige Zeitgenossen wie Botkin bei ihrer Überzeugung. Virtuos montiert Simon Schwartz verschiedene Zeitebenen miteinander, verschachtelt das Leben Anastasias mit dem ihrer Doppelgängerin Czenstkowski, findet Bilder für den zunehmenden Wahnsinn seiner Protagonisten und reflektiert über die Macht von Ikonen im 20. Jahrhundert, auf die das Heil für die Welt wie auch für das Selbst projiziert wird.

 

avant-verlag,  216 S., 25 Euro