Javier Téllez, One Flew Over the Void (Bala Perdida), 2005, Einkanal-Video-Projektion, © der Künstler

»Eine Reise wert«

Elegante Selbstverteidigung: Das Museum Morsbroich zeigt »Gegen die Strömung. Reise ins Ungewisse«

»WE ARE SHIPS AT SEA NOT DUCKS ON A POND« — Wir sind Schiffe auf dem Meer, nicht Enten in einem Teich —, verkündet eine Textarbeit von Lawrence Weiner in der Gruppenausstellung »Gegen die Strömung«. Anders als Wasservögel können Schiffe untergehen, und so kreist die Schau im Leverkusener Museum Morsbroich, die im Untertitel »Reise ins Ungewisse« heißt, immer wieder auch um existenzielle Abgründe. Mitte der 70er Jahre machte sich der niederländische, damals in Los Angeles lebende Künstler Bas Jan Ader zu einer Atlantiküberquerung mit einem Segelboot auf. Inspiriert von einem Lovesong der Coasters, »Searchin’«, widmete er sein Kunstprojekt der gefährlichen »Suche nach dem Wunderbaren«. Das Wrack seines Schiffs wurde später vor der irischen Küste gefunden. 

 

Die Ausstellung betrachtet am Beispiel von rund zwanzig künstlerischen Positionen das Reisen nicht als Fertigprodukt der Tourismusindustrie, sondern in seinen eigensinnigen oder auch unausweichlichen Varianten. Dazu gehören auch die Migration und der Fluchtversuch: Drei große Foto-Leuchtkästen von Kader Attia zeigen die skulpturalen Betonquader am Strand von Algier, die dort nicht nur als Wellenbrecher dienen, sondern auch als ein mit utopischen Hoffnungen besetzter Aussichtspunkt auf Europa; die vor den Leuchtkästen auf dem Boden ausgebreiteten blauen Kleidungsstücke sind Denkmäler für die im Mittelmeer Ertrunkenen.

 

Eher karnevalesk als melancholisch inszeniert Javier Téllez in einem Video einen Schausteller, der sich als »lebende Kanonenkugel« über die mexikanisch-amerikanische Grenze katapultieren lässt. In die entgegengesetzte Richtung — also in die allernächste, oft unterbewertete Umgebung — führt Peter Pillers »Peripheriewanderung Leverkusen«. Björks 3-D-Guckkasten-Videoclip »Wanderlust« hingegen entführt in eine mystisch angehauchte Fantasy-Welt, die zugleich Weltflucht ist. 

 

So ist der Gang durch die Ausstellung selbst ein vielgestaltiger, hochkarätiger Parcours durch ein bedeutendes Terrain der Kunst von den 70er Jahren bis heute. Ihr Thema ist so universell wie politisch aktuell und — last but not least — auch eine Geste der Selbstverteidigung. Seit eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft der Kommune vor zwei Jahren vorgeschlagen hat, das Museum Morsbroich zu schließen (siehe Hintergrund), steht diese kulturelle Oase der Stadt unter einem abwegigen Legitimationsdruck. Die zahlreichen Besucherinnen und Besucher, die sich dort an einem nasskalten Februarsonntag zu einem Ausstellungsrundgang versammelten, wirkten ziemlich froh, ihr Ziel erreicht zu haben. »Vaut le voyage« — »Eine Reise wert« — ist mit drei Sternen die größte Empfehlung, die der Guide Michelin für eine Destination aussprechen kann. Für das Museum Morsbroich, das stellt »Gegen die Strömung« eindrucksvoll unter Beweis, gilt sie unbedingt.

 

Museum Morsbroich, Leverkusen, Di / Mi / Fr / Sa / So 11–17, Do 11–21 Uhr, öffentliche Führung jeden So 15 Uhr, bis 29.4. 

 

 

 

 

Hintergrund:

 

Machbar? Ja!

 

Ein Etappensieg für bürgerliches Engagement: Die Machbarkeitsstudie zum Gesamtensemble des von der Schließung bedrohten Museum Schloss Morsbroich geht nach Beratung des Leverkusener Kulturausschusses als Beschlussempfehlung direkt an den Oberbürgermeister. Die 2016 veröffentlichten Schließungspläne hatten eine überregionale Solidaritäts- und Protestwelle der Kunstszene ausgelöst und die Suche nach Alternativlösungen in Gang gesetzt.

 

Am 17. Januar hat der Vorsitzende des Museumsvereins das in 16 Sitzungen im Team erarbeitete, in der Druckfassung kiloschwere »Zukunftskonzept« öffentlich präsentiert. Vorgesehen ist über die Renovierung des Museums hinaus eine dringend notwendige Revitalisierung der etwas runtergekommenen Park- und Wallanlage des Wasserschlosses, etwa durch Natur-und Kunstlehrpfade für Kinder und Jugendliche auf dem Wasserschloss-Gelände, was die Schwelle zu dem hochkarätigen Kulturareal senken möge. Die Gastronomie soll, unter anderem durch Vermietungen, attraktiver und wirtschaftlicher werden. Die Pointe der Überlegungen für die Zukunftssicherung des Museums, das fraglos auch überregional zu den bedeutendsten Häusern zählt, dürfte der sogenannte »Zubau« sein. Ein denkmalschützerisch behutsam zu integrierender Kubus soll endlich Raum für die ständige Präsentation der Sammlung gewährleisten. All dies wird in die Hände eines Liegenschaftsmanagers gegeben, für den der Kulturausschuss eine Stelle einrichten will.

 

Bei der Konzeptpräsentation äußerte sich Christian Strenger, der als Privatier im großen Stil unter anderem das Städel in Frankfurt als Investmentberater betreut, über die Realisierung des gesamten Pakets noch mit »gemäßigter Zuversicht«. Uneingeschränkte »Zuversicht« in der Causa Morsbroich verspricht eine Woche später das glühende Plädoyer eines Mitglieds der CDU-Fraktion in der Kulturausschuss-Sitzung. Möge er Recht behalten! 

Text: Uta M. Reindl