Foto: Marcel Wurm

Blut und Eingeweide an der Hochschule

Kathy Acker ist die bekannteste Autorin der US-Punk-Szene. Ihre feministischen Cut-Up-Romane waren das Vorbild für eine ganze Generation. Ihr Nachlass hat jetzt an der Universität zu Köln eine Heimat gefunden

 

Die wichtigste Lektion ihrer Lebens erhielt Kathy Acker während des Studiums beim Dichter David Antin in San Diego: »Geht in die Bibliothek und stehlt.« Ganz Strukturalist — aber auch aus Furcht vor der mittelmäßigen Teenager-Poesie seiner Erstsemester — erklärte Antin, dass man nur die Gedanken äußern solle, die niemand anders bereits besser formuliert hätte. Den Rest eignet man sich an.

 

Acker hielt sich daran und klaute, was das Zeug hielt: bei Cervantes’ Don Quixote, bei Dickens, Baudelaire und Nathaniel Hawthorne ebenso wie bei den Dichtern der Antike oder den Unterhaltungsromanen von Harold -Robbins. In Büchern wie »Great Expectations« oder dem in Deutschland indizierten »Blood & Guts in Highschool« verband sie ganze Passagen der Weltliteratur mit kritischer Theorie und privater Psychoanalyse zu einer scharfkantigen Hybrid-Prosa, die den Schock der Punk-Ära in sich trug. William Burroughs, dessen Cut-Up-Technik sie sich hierbei zu Nutze machte, sagte, Acker verleihe »ihrem Werk die Kraft, die Seele des Lesers zu spiegeln«.

 

Jahrzehnte später berief sich die Berliner Schriftstellerin Helene Hegemann auf Kathy Acker, als sie sich für ihren Debütroman »Axolotl Roadkill« bei dem Blogger Airen bediente. Das ist bestenfalls ein Missverständnis. Denn mehr als ein bloßes Abpausen stellte Ackers Anschlag auf das Urheberrecht eine transparente Absage an den Geniekult der Literaturgeschichte dar. Juristisch von Belang war Ackers Form des kulturellen Samplings im Übrigen kaum. Erst Ende der 80er Jahre verlangten Harold -Robbins’ Verleger eine öffentliche Entschuldigung, wurden jedoch von ihrem eigenen Autor zurückgepfiffen. 

 

Ackers Milieu, in ihrem Leben an der Ost- und Westküste der USA ebenso wie in ihrem Werk, war durchsetzt mit Freaks und solchen, die es werden wollten. »Sie war eine schillernde Figur in den 80ern, sie warf einen weitreichenden Schatten«, sagt Ackers Biografin Chris Kraus. Kraus, die mit »I Love Dick« einen feministischen Klassiker geschrieben hat, brachte im vergangenen Jahr die erste Acker-Biografie heraus: »After Kathy Acker: A Biography«. Beide kannten sich: Sylvére Lotringer, Kraus’ Ex-Mann und tragikomischer Hauptdarsteller ihrer Romane, war zuvor mit Acker liiert gewesen. »Ich kam mit 21 Jahren aus Neuseeland nach New York. Kathy Acker war damals bereits sehr berühmt und bewegte sich mit einer Entourage«, erzählt Kraus. »Soweit Kathy und ich uns kannten, war es eher unangenehm. Sie und Sylvére hatten miteinander zu tun, bevor er und ich uns kennenlernten. Sie schien damit ein Problem zu haben.«

 

Kraus geht offen damit um, dass sie von Acker und ihrer Downtown-Manhattan-Clique gleichermaßen eingeschüchtert wie inspiriert war. Dies gibt ihrer Biografie eine ungewöhnliche Dynamik. Bei aller Gründlichkeit der Recherche hat Kraus Spaß daran, die selbstkreierten Mythen Ackers teils zu bestärken, teils zu dechiffrieren.

 

Unstrittig ist, dass Acker sich ausgiebig eigener Erinnerungen bediente. Einer ihrer frühen Erfolge, die preisgekrönte Kurzgeschichte »New York in 1979«, dreht sich um einen Chor inhaftierter Sexarbeiterinnen. Sie selbst verdiente sich mit Anfang 20 ihren Unterhalt in Live-Sex Shows. Geplagt von einer chronischen Unterleibsentzündung sah sie sich gezwungen, im Rotlichtmilieu Geld für Medikamente ranzuschaffen, um weiter als Performerin tätig sein zu können. Dieser Kreislauf ökonomischer Zwänge endete erst, als Acker 1981 eine größere Geldsumme erbte. »Leute reden nicht gern darüber«, erklärt Chris Kraus, »aber es gibt so viel vererbten Reichtum im Kulturbetrieb. Es sollte kein Tabuthema sein, das wirklich niemand sich selbst ausreichend finanzieren kann.«

 

Finanzielle Sorgen waren es auch, die Ackers Mutter 1978 in den Suizid trieben. »Kathy hatte das gleiche Konsumverhalten wie ihre Mutter. Ihr war von Anfang an klar, dass sie ihre Erbschaft verpulvern würde. Aber Avantgarde-Autoren, die im großen Stil bloß von ihren Erträgen leben wollen — das geht nicht lange gut«, sagt Kraus.  

 

Die Suche nach Arbeit, gepaart mit einem narzisstischen Geltungs- und Liebesbedürfnis, ließen Acker quer durch die USA pendeln. Mitte der 80er Jahre zog sie, wie ihr Freund und Mentor William Burroughs 20 Jahre zuvor, nach London. In England geriet sie in die berüchtigte Hype-Ökonomie der britischen Presse. Als Königin der Lower East Side fraß man ihr in London aus der Hand. Sie trat in Talkshows auf, verschrieb sich religiös dem Yoga und Bodybuilding und schrieb einige ihrer bekanntesten Werke zwischen London und Brighton.

 

Doch so schnell die Kritik sich auf eine Revolution einigen kann, so schnell wendet sie sich ab, sobald sie sie für formelhaft befindet. Was 1984 noch das große Ding war, erschien Anfang der 90er Jahre veraltet. Von der Kritik fallen gelassen, ging Acker zurück in den USA und bemühte sich um eine Akademikerlaufbahn. Als daraus nichts wurde, kultivierte sie ihre Performance-Qualitäten, ging mit Bands wie den Mekons auf Tour und veröffentlichte weiter Bücher und Spoken-Word-Alben. 1997 starb sie im Alter von 50 Jahren an Brustkrebs.

 

Kathy Ackers Nachlass hat 20 Jahre später an der Universität Köln ein neues Zuhause gefunden: den »Kathy Acker Reading Room«. Der emeritierte Geschichtsprofessor Norbert Finzsch ist neben dem Literaturwissenschaftler Hanjo Berressem einer der Köpfe hinter dem Projekt. Für ihn stellt Ackers Erbe mehr als literaturtheoretische Fingerübungen und Punk-Aura dar: »Ackers Werk ist ein Angriff auf die Heteronormativität. Das finde ich ein sehr nobles Projekt, ästhetisch wie politisch. Gerade in Zeiten der AFD und des sich abzeichnenden Rechtsrucks in Europa — von Trump ganz zu schweigen. Was Acker darstellt, ist das Gegengift zur Trumpisierung der Kultur.«

 

Über ihre Londoner Kollegin Johnny Golding lernten Finzsch und Berressem Matias Viegener kennen, den Nachlassverwalter von Kathy Acker. »Die Sammlung nach Deutschland zu bringen, war verrückt«, erzählt Finzsch. »Ich war eine Zeit in Washington Teil des diplomatischen Corps. Ich konnte dort einen alten Bekannten anrufen, der die 90 Kisten per Sattelschlepper von LA bis an die Ostküste gefahren hat. Von dort wurden sie per Container in sechs Wochen nach Hamburg verschifft.«

 

Der Transport blieb nicht ohne Folgen. Einmal in den Kölner Regalen verstaut, schimmelten Teile der Sammlung — eine Wendung, die Acker gefallen hätte. Der Masterstudent Daniel J. Schulz, der die Bibliothek zu großen Teilen katalogisiert hat, bemerkte den Schaden und reagierte. Mit dem Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der TH Köln erarbeitete man ein Verfahren zur Rettung der Sammlung. Die Inventur der Bücher, Platten, Korrespondenzen und Privatgegenstände ist größtenteils abgeschlossen. Die Cervantes-Gesamtausgabe, die Acker für ihren »Don Quixote« verwendet hat, steht als Leihgabe in der Barbara Weiss Galerie in Berlin. Mehrere internationale Forscher und Autoren haben ihren Besuch in Köln angekündigt. »Kathy hat ihre Bibliothek trotz ihres nomadischen Lebensstils intakt gehalten«, bekräftigt ihre Biographin Chris Kraus. »Matias Viegener hat lange auf einen solchen Ort gehofft. Es ist großartig, dass die Leute nach Köln kommen können, um ihre Sammlung so zu erleben, wie Kathy Acker es gewollt hätte.«

 

 

Chris Kraus: »After Kathy Acker. A Biography«, Allen Lane, 352 S., 16,99 €