Feministische Grantl-Autorin: Jovana Reisinger, Foto: Tanja Kernweiss

In den Körper geschrieben

Jovana Reisinger hat einen feministischen Roman über eine Depression in einem oberösterreichischen Kaff geschrieben

Der Frau geht es nicht gut. Sie hat eine Krankheit. Welche, das wird nicht so ganz klar. Vermutlich ist es eine psychologische Krankheit, etwa eine Depression. Denn immer wieder wird die Frau von Niedergeschlagenheit heimgesucht: von der Lust, sich auf den Küchenboden zu legen und von der Unlust, sich von dort wieder zu erheben: »Die Frau im Spiegel leidet an keinem gebrochenen Herzen, sondern  an einem angeknacksten Hirnkastel. Nichts hat bei ihrer Geburt darauf hingewiesen, dass sie einmal so beinand sein würde.« Ist es ihr Mann, der von Kongress zu Kongress reist und auf dessen Rückkehr sie wartet, weil er die einzig verbliebene Quelle ihres Selbstwertgefühls zu sein scheint? Ist es die Mutter, deren Tod bevorsteht? Oder sind es die Rituale ihrer neuen Heimat Oberösterreich: die Sitzecken und Wurstbrote, die Obdachlosen, die in einer schmalen Gasse aufgereiht schlafen müssen?

 

Jovana Reisinger, Autorin und Filmemacherin, beantwortet diese Fragen in ihrem Romandebüt »Still Halten« nicht. Stattdessen lässt sie ihre Protagonistin durch den oberösterreichischen Alltag laufen. Hier trifft sie auf Nachbarn, die sich bis ins hohe Lebensalter an der kurzen Skisprung-Karriere ihres Sohnes erfreuen, neunmalkluge Wirte und passiv-aggressive Altenpfleger. Reisinger erzählt dies in kurzen, stakkatohaften Hauptsätzen, die sowohl präzise Beobachtungen als auch abrupte Schnitte zulassen. Das erinnert manchmal an Thomas Bernhard, den Prototyp des österreichischen Grantl-Autoren, dessen Erzählperspektive jedoch feministisch gewendet wird. Während sich Bernhards Protagonisten im Ohrensessel oder in der Distanz zur Familie die Gegenwart vom Leib halten können, ist diese für Reisingers Ich-Erzählerin körperlich geworden. »Wo ist die Karriere nun?«, fragt sie. »Einen ausgelaugten Körper hat sie mir zurückgelassen, und um den darf ich micht jetzt selber kümmern.« Für ihre eigene Karriere hat Reisinger mit »Still halten«  ein gutes Fundament geschaffen. Im März wurde sie mit dem Wortspiele-Preis von Bayern 2 ausgezeichnet: ein sechswöchiges Stipendium beim Goethe-Institut in Peking.

 

Jovana Reisinger: »Still halten«. Verbrecher Verlag, 200 Seiten, 19,99 Euro

 

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