Vertreibung aus dem Slacker-Paradies

Unabhängigkeit ist eine Geisteshaltung: Kevin Smiths »Clerks II« und das amerikanische Independentkino

Einen Augenblick lang geht die Geschichte einfach weiter. Dante (Brian O‘Halloran) schlurft zum Quick-Stop-Minimarkt und zieht die Rollläden hoch, als wären seit »Clerks« keine dreizehn Jahre vergangen, sondern nur ein paar Tage. Hinter dem eisernen Vorhang wartet jedoch die Überraschung: Im Inneren schlagen rote Flammen hoch und züngeln nach dem schwarzweißen Rest der Welt. Die Leinwand wird farbig, und als Randal (Jeff Anderson), der zweite Verkäufer, eintrifft, ist Slackerland schon abgebrannt. »Terroristen?«, fragt er und gibt sich selbst die Antwort: »Ich hab‘ mal wieder vergessen die Kaffeemaschine auszuschalten, was!?«

Viel scheint sich im Leben der beiden Freunde nicht getan zu haben, seitdem Kevin Smith für »Clerks« seine geerbte Comicsammlung versetzte und zum Volkshelden des amerikanischen Independentkinos aufstieg. Randal ist immer noch eine Nervensäge, Dante immer noch ohne jeden Antrieb, und gemeinsam sind sie zwar älter, aber kein bisschen weise geworden – zumindest wenn man darunter versteht, etwas aus sich und seinem Leben zu machen. Auch den nächsten Karriere­schritt vollziehen sie in gewohnter Eintracht und lungern hinter dem Tresen eines meist gähnend leeren Schnellrestaurants herum. Was sollte dieser in endlosen Nachmittagen gefestigten Freundschaft etwas anhaben können, wenn nicht der Lockvogel des überraschenden Erfolgs? Eine Blondine mit reichen Eltern will Dante nach Florida entführen, wo ihn eine Hochzeitsgesellschaft und eine Anstellung im schwiegerväterlichen Betrieb erwarten.

Durchschlag der Marktgesetze

Wie seine beiden Tunichtgute hat auch Kevin Smith, der natürlich wieder als stiller Teil der Parkplatzrumhänger Jay und Silent Bob auftritt, allen Verlockungen widerstanden und seinen Stil im Wesentlichen beibehalten. Das ist schon deswegen bemerkenswert, weil sich die Landschaft des amerikanischen Independentkinos in der Zeit zwischen den beiden »Clerks«-Filmen entscheidend verändert hat. Als »Clerks« 1994 herauskam, schien der unabhängige Film gerade zu einer eigenen Industrie zu werden, in der sich vor allem dank Robert Redfords Sundance-Festival und der Produktions- und Verleihfirma Miramax mit kleinem Geld große Träume verwirklichen ließen. Sundance stellte die Bühne für den talentierten Nachwuchs, Harvey Weinstein, der Chef von Miramax, ebnete ihm den Weg in die Kinos der Welt. So lief es mit Steven Soderberghs »sex, lies & video­tape«, Quentin Tarantinos »Reservoir Dogs«, und so war es auch bei »Clerks«. Kevin Smiths Schwarzweiß-Billigproduktion galt zudem als Paradebeispiel dafür, dass es wirklich jeder schaffen kann, sofern er nur einer originellen Idee mit viel Enthusiasmus auf die Sprünge hilft.

Es war eine schöne Illusion, in der sich eine ganze Generation von angehenden Filmemachern wiegte: die friedliche Ko­existenz von Kunst und Kommerz in einem Gegenentwurf zu Hollywood. Entsprechend böse war dann das Erwachen, als die Marktgesetze auf die Independentszene durchschlugen. Im Grunde war »Clerks« der letzte kleine Film, dem Miramax zum Durchbruch verhalf. Weinstein, der wegen seiner Neigung zu eigenmächtigen Schnittfassungen als »Harvey mit den Scherenhänden« gefürchtet war, begann damals schon, sein Unternehmen konsequent auf Traumfabrik zu trimmen. Statt Talente zu fördern schlüpfte er unter das Dach von Disney und steckte sein Geld zunehmend in teure Prestigeprojekte. Da es beinahe alle unabhängigen Verleiher ähnlich hielten, waren die Independents zur Jahrtausendwende nicht zu einer eigenen Macht gewachsen, sondern zu einer Unterabteilung Hollywoods geschrumpft.

Ein Blick in die Geschichtsbücher hätte vor übertriebenen Hoffnungen schützen können, denn schon früher gesundete Hollywood in der Krise an »unabhängigen« Geschäftsmodellen. So sahen viele nach Dennis Hoppers »Easy Rider« eine neue Film­ära am Horizont heraufziehen, doch nach einigen Jahren des Umbruchs brachte »New Hollywood« schließlich mit dem Blockbusterkino von Steven Spielberg und George Lucas die Lebensversicherung für die alte Industrie hervor. Trotzdem ist es heute üblich, der verpassten Chance hinterher zu trauern und der Gegenwart ein schlechtes Zeugnis auszustellen. Tatsächlich richten viele junge Regisseure ihre Filme heute nicht weniger am Markt aus als die Traumfabrik. Doch war Arthouse auch vor fünfzehn Jahren oft genug nur ein anderes Wort für Mainstream mit kleinerem Budget.

Neben manchem anderen kann man in Kevin Smiths »Clerks II« auch lernen, dass Unabhängigkeit vor allem eine Geisteshaltung ist. Selbst im straff organisierten Studiosystem gab es Regisseure, die sich künstlerische Freiräume schufen, und war Stanley Kubrick etwa nicht unabhängig, nur weil er seine Filme in Hollywood produzierte? Solange es eine Sehnsucht nach persönlichen Geschichten und einer unverwechselbaren Handschrift gibt, wird auch das amerikanische Independentkino lebendig bleiben. Die Ehre seines Namens hat es deswegen nicht unbedingt immer verdient, aber abschreiben sollte man es noch lange nicht.

Clerks II USA 06, R: Kevin Smith, D: Brian O‘Halloran, Jeff Anderson, Rosario Dawson, 97 Min.
Start: 12.7.