Der wilde, wilde Westen fängt gleich hinterm Gürtel an: Lenauplatz, Foto: Marcel Wurm

Krawall und Remmidemmi

Am Lenauplatz in Neuehrenfeld beschweren sich Anwohner über Lärm und Müll. Eskaliert der Konflikt?

 

Am frühen Abend, wenn die Sonne mit letzter Kraft helle Flecken auf den Asphalt zeichnet, ist der Lenauplatz ein friedlicher Ort. Beim Feierabendbier vom Büdchen nebenan plaudert die Ehrenfelder Schickeria, zwei Kinder mit schokoladenverschmierten Gesichtern lassen die Beine von der Tischtennisplatte baumeln. Erst im Frühjahr 2010 wurde der Platz, gesäumt von Wohn- und Geschäftshäusern im Gründerzeitstil, saniert. Damals belagerten Bagger über Monate das marode Gelände, es wurden Parkbänke und eine neue Beleuchtung installiert.

 

Der Lenauplatz, so heißt es heute, sei einer der schönsten Plätze Kölns. Doch für die Anwohner, die teilweise schon seit mehr als dreißig Jahren dort leben, hat sich seit der Sanierung viel geändert. »Wie im wilden Westen« gehe es an manchen Abenden zu, erzählt eine Anwohnerin, die anonym bleiben möchte. Von Geburt an wohnt sie in ihrem Elternhaus unmittelbar am Lenauplatz. Besonders eine Gruppe von Jugendlichen treibe dort seit einiger Zeit nachts ihr Unwesen. »Sie pinkeln an die Haustüren, zerschmeißen ihre Glasflaschen auf dem Boden und hören laute Rap-Musik bis spät in die Nacht«, erzählt sie. Wie viele andere Anwohner fühlt sie sich von den Jugendlichen bedroht: »Wenn du was sagst, werfen sie dir Gegenstände hinterher oder drohen mit Gewalt.«

 

Erstmals Schlagzeilen machte der Lenauplatz im März 2016, als ein Großaufgebot der Polizei mit Pfefferspray und Schlagstöcken eine private Geburtstagsfeier von rund 50 Jugendlichen auflöste. Laut Polizei waren die Beamten unmittelbar nach ihrer Ankunft aus der Menge heraus mit Gegenständen beworfen und beschimpft worden. Das Fazit des Abends: mehrere Anklagen wegen Landfriedensbruchs, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchte Gefangenenbefreiung, dazu zehn Ingewahrsamnahmen und ein verletzter Polizist. Genau zwei Jahre später spitzte sich das Problem erneut zu: Ein 53 Jahre alter Anwohner, der sich wegen der nächtlichen Ruhestörung beklagt haben soll, wurde am 17. März von Jugendlichen zusammengeschlagen. Ein paar Tage später traf es den 20 Jahre alten Sohn seiner Lebensgefährtin, er kam mit einem doppelten Kieferbruch ins Krankenhaus. Angeblich hatte er einen Streit auf dem Lenauplatz schlichten wollen.

 

Bei einer Bürgerversammlung in der nahegelegenen Eichendorff-Realschule am 16. April wählt Rolf Pfaffenholz, Hauptkommissar der Polizeidirektion Ehrenfeld, besänftigende Worte. Die Vorfälle seien tragisch, doch rein statistisch gesehen sei der Lenauplatz für die Polizei unauffällig. Um die Situation zu entspannen, plane man in Absprache mit der Stadt künftig ein Musik-Verbot nach 22 Uhr. Verantwortlich für die angeblich wachsende Gewaltbereitschaft der Jugendlichen macht Pfaffenholz den Alkoholkonsum: »Die Jugendlichen trinken dort vor allem Hochprozentiges. Geht es auf Mitternacht zu, sinkt bei ihnen die Hemmschwelle.« Dies sei zwar eine klassische Gefährdungslage, eine Rechtsgrundlage, um dagegen vorzugehen, habe man als Polizei aber nicht.

 

Rund 70 Menschen sind in der Aula der Realschule an diesem Abend versammelt, immer wieder kommt es zu lautstarken Auseinandersetzungen. Denn während einige Anwohner ein härteres Durchgreifen fordern, stimmen andere für moderate Lösungen — gemeinsam mit den Jugendlichen. Josef Wirges (SPD), seit 22 Jahren Bezirksbürgermeister in Ehrenfeld, sieht es im Gespräch mit der Stadtrevue gelassen: »Wir leben in einer Großstadt, nicht auf Melaten.« Mit einigen Anwohnern verbindet ihn im Streit um den Lenauplatz eine lange Leidensgenossenschaft. Fast wöchentlich bekommt er von ihnen Foto- und Videomaterial zugesendet, das die angeblichen Ordnungswidrigkeiten dokumentiert. Doch gerade in letzter Zeit beobachtet Wirges, dass rechtskonservative Stimmen den Konflikt zu instrumentalisieren versuchen. Über Vorschläge wie permanente Videoüberwachung oder Lichtflutanlagen kann er nur den Kopf schütteln: »Wo sollen die Jugendlichen denn hin?«

 

Roland Neuburg, Gründer des Kunstvereins Lenauforum, sieht das ähnlich. Einmal im Jahr organisiert er Performances und Lichtinstallationen auf öffentlichen Plätzen in Ehrenfeld, um Anwohner dazu anzuregen, diese Orte für sich zu gestalten. Im Konflikt auf dem Lenauplatz sieht er vor allem ein politisches Problem: »Unser Blick auf den öffentlichen Raum — und mit ihm auch auf den privaten — wandelt sich aktuell.« Immer mehr Aktivitäten verlagerten sich nach draußen, doch das heiße leider nicht, dass allen diese Räume gleichberechtigt offen stünden: »Es geht auch um Macht und um die Frage der Aneignung in der Stadt.« Eine reine Verteilungsfrage also? Zu einer Antwort auf diese Frage kommt man bei der Bürgerversammlung nicht. Denn klar ist: Wenn die Jugendlichen vom Lenauplatz weg müssen, dann geht die Party eben woanders weiter.