Transparent wie Milchglas: WDR-Zentrale am Appellhofplatz, Foto: Marcel Wurm

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Recherchen offenbaren den fragwürdigen Umgang des Senders mit sexueller Belästigung

»Weder versuchte Vergewaltigung noch rohes Anpacken haben mit Sexualität zu tun, und vor allem dann nicht, wenn dabei neben der körperlichen auch eine hierarchische Überlegenheit ausgenutzt wird, wir sprechen immer nur von Macht«, heißt es in einem Kommentar von Barbara Streidl für den Westdeutschen Rundfunk. Die Journalistin bezog sich auf Dieter Wedel und einen aktenkundigen Übergriff des Regisseurs bei einer Fernsehproduktion des Saarländischen Rundfunks. So weit südlich hätte Streidl aber gar nicht gehen müssen. Denn auch im eigenen Hause werden Vorwürfe laut, die inzwischen große mediale Beachtung finden — und Bewertungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und die ganze Komplexität der Me-Too-Debatte offenbaren. 

 

Es begann mit einer Recherche des Netzwerks Correctiv, das Vorwürfen einer früheren Praktikantin und einer Mitarbeiterin nachging. Ein — inzwischen frei gestellter — WDR-Korrespondent wurde ihnen gegenüber zudringlich. Die Praktikantin lud er auf einer Dienstreise in sein Hotelzimmer zu Champagner und Pornogucken ein, der Mitarbeiterin machte er in einer privaten Mail-Korrespondenz sexuelle Avancen. Der WDR sei der Angelegenheit »mit dem Maximum an rechtlichen und disziplinarischen Möglichkeiten« nachgegangen, so der Sender in einer ersten Stellungnahme, und habe einen Eintrag in der Personalakte des Korrespondenten veranlasst. Der ehemaligen Praktikantin reichte das nicht, sie erwartete offenbar die fristlose Entlassung des Korrespondenten: »Was war die Konsequenz für diesen Typen, der mich immer noch anschaut im Fernsehen?«

 

Beim zweiten Fall ging es um eine WDR-Mitarbeiterin, die sich per Mail zu einem  Abendessen mit dem Korrespondenten verabreden wollte. Dieser nutzte den Mail-Verkehr für die Anregung, den Abend sexuell ausklingen zu lassen, er führe eine offene Ehe. 

 

Nach Recherchen von Bild am Sonntag, Spiegel, Stern und Süddeutscher Zeitung kamen weitere Verfehlungen des Korrespondenten aus knapp drei Jahrzehnten ans Licht sowie ein früherer Vermerk in der Personalakte, der später gelöscht wurde. Bild erinnerte an die »Doppelzimmer-Affäre« von 1991. Das Blatt hatte seinerzeit geschildert, der Korrespondent habe für sich und eine junge Kollegin auf einer Dienstreise ein Doppelzimmer gebucht mit der Begründung, der Sender müsse sparen. 

 

Bei anderer Gelegenheit landete seine Hand auf dem Oberschenkel einer Volontärin mit den Worten: »Ich kann entscheiden, ob du morgen moderierst.« Als die Frau die Hand weg schob, sei die Reaktion gewesen: »Ich kann auch entscheiden, dass du morgen rausfliegst.« Dass er der Kollegin wenig später noch folgenlos seine Erektion präsentieren konnte, liegt am mit aller Macht aufrecht erhaltenen Selbstbild des WDR: Es wird nicht geduldet, dass der Eindruck entstehen kann, es gebe sexuelle Belästigung im Unternehmen. 

 

Das verdeutlicht sich beim Umgang mit Beschwerden über einen weiteren Kollegen, den erneut Correctiv im Stern nachlegte: Frauen hatten sich vertrauensvoll an einen Kollegen gewandt mit Berichten von Belästigungen, die im Fall von Zurückweisungen berufliche Konsequenzen hatten; die Journalistinnen erhielten keine weiteren Aufträge oder Verträge mehr. Der Kollege, an den sich die Frauen gewandt hatten, vermittelte Gespräche mit dem Personalrat, der die Beschwerden sehr ernst nahm — und Konsequenzen zog: Am Ende wurde der Kollege abgemahnt, der die Meldung gemacht hatte. Es habe nie Beschwerden über sexuelle Belästigungen gegeben. Wiederhole der Mitarbeiter entsprechende Vorwürfe, wurde ihm beschieden, »kann das Auswirkungen auf Ihr Arbeitsverhältnis haben.«

 

Dass auch der Korrespondent nahezu sein ganzes Berufsleben lang beim WDR durchkam, liegt für viele Beobachter im und außerhalb des Senders nicht zuletzt daran, dass die frühere Intendantin Monika Piel, die Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios Tina Hassel und Fernseh-Chef Jörg Schönenborn Fälle sexueller Belästigung beim WDR gedeckt hätten. Sie hätten sich vor die Täter gestellt — und nicht hinter die Opfer. Tina Hassel sieht »damals wie heute keine verwendbaren Erkenntnisse, die gerechtfertigt hätten, dass ich gegen den Kollegen konkrete Maßnahmen ergreife. Die Sache blieb immer im Ungefähren, was für mich als Vorgesetzte bis heute unbefriedigend ist.« Auch das erklärt die salomonische Entscheidung des WDR, den Korrespondenten freizustellen. Seine Dienste also nicht mehr in Anspruch zu nehmen, ihm aber weiterhin die vollen Bezüge zu zahlen. Für seinen geistesverwandten Kollegen haben die Vorfälle bis heute keine Konsequenzen.