Isle of Dogs

Wes Anderson beweist mit kleinen Hundepuppen spielerische Eleganz und epische Größe

Um die Zukunft zu verstehen, muss man die Vergangenheit kennen. Wes Andersons jüngster Animationsfilm »Isle of Dogs« beginnt mit einem Prolog, der im Stil japanischer Lithographien die leidvolle Vorgeschichte vom Zusammenleben von Hund, Katz und Mensch erzählt. Das »Schnauzenfieber«, das dann zwanzig Jahre nach unserer Gegenwart in Megasaki City ausbricht und Hunde arg in Misskredit bringt, steht in der Tradition eines Ressentiments gegen die Vierbeiner: Endlich hat man den Beleg dafür, dass die Köter dem Menschen schaden. Bürgermeister Kobayashi — er erinnert an gegenwärtige Populisten — macht gegen die Spezies mobil. In Käfigen werden die Vierbeiner auf die Müllinsel Trash Island verbannt und dort ihrem elenden Schicksal überlassen. 

 

Wenn wir dem ersten Opfer »Dog Zero«, der einst Spots hieß, bei seiner Überfahrt in die wässrigen Augen blicken, ist es schon um uns geschehen: Für die nächsten hundert Minuten sind uns Hunde näher als Menschen. Sie sind die »Underdogs«. Ihrem tierischen Verhalten verdankt Andersons Totalitarismus-Parabel ihre Ironie und Zärtlichkeit. »Leckt doch nicht ständig eure Wunden«, so lautet nur einer der hintersinnigen Sätze von Chief, einem Streuner, der in der unbedingt vorzuziehenden Originalfassung von Bryan Cranston (»Breaking Bad«) gesprochen wird. »Ich beiße«, sagt er immer wieder.

 

»Isle of Dogs«, wie schon Andersons »The Fantastic Mr. Fox« hauptsächlich im Stop-Motion-Verfahren gefertigt, macht seine Präferenzen klar. Japanisch wird allenfalls gedolmetscht oder untertitelt, während eine ganze Liga an Hollywoodstars (u.a. Bill Murray, Edward Norton, Jeff Goldblum, Scarlett Johansson) den Hunden ihre Stimmen leihen und sie mit eigenwilligen Persönlichkeiten versehen. Seine populärkulturell gesättigte Perspektive auf Japan hat Anderson allerdings auch Kritik eingebracht. Er zeige die Japaner zu stereotyp, hieß es. Dagegen kann man halten, dass mit Ausnahme des zwölfjährigen Atari, der wie Saint-Exupérys kleiner Prinz auf der Hundeinsel bruchlandet und Spots wiederfinden will, fast alle Menschenpuppen des Films schlecht abschneiden. 

 

»Isle of Dogs« besticht wie jeder Film Andersons als stilistische Aneignung einer Kultur im Setzkastenprinzip, als schillerndes Bric-à-Brac. Jedes Bilddetail wird in liebevoller Kleinstarbeit gestaltet: Sumo-Ringer, Labore, Bars. Und wenn Anderson in einer famosen Szene das Anrichten einer Portion Sushi zelebriert und dabei Meerestiere lebendig zerschnitten werden, mag man das als Lehrfilm über die kunstfertige Gewalt hinter der Schönheit sehen. Auch der Film findet im Müll, im desolaten Post-Tsunami-Gelände, unter verwaisten Atomkraftwerken und filzigem, verlausten Fell seine Attraktionen, ja eine eigene Poesie.

 

Erzählerisch bestimmt die heroische Suche nach Spots den Film. Sie führt die Hunde an das Ende von Trash-Island, eine Odyssee, bei der sie mehr über die Herkunft ihrer Spezies erfahren; und darüber, wie das Verhältnis zu Herrchen und Frauchen in Zukunft zu denken wäre. Die Hunde wurden von ihren Besitzern im Stich gelassen, ganz abgeschworen haben sie ihnen nicht. Der fantastische Score von Alexandre Desplat gibt der hündischen Selbstfindung überwiegend mit Holzperkussionsinstrumenten den Rhythmus vor. 

 

Visuell hat Anderson auf die strengen Montagesymmetrien von Kurosawa Akira zurückgegriffen, auch die poppigen Bilderwelten von Suzuki Seijun waren ihm Vorbild. Übertragen auf die Tierwelt bedeutet dies, dass schon ein erbitterter Kampf um Abfälle zu einem filmischen Kleinod werden kann. Nicht der große Erzählbogen ist in »Isle of Dogs« am Ende so wichtig, sondern die spielerische Eleganz, diese Verbindung aus Melancholie und Witz, in der sich der Film in einzelnen Szenen verliert. Anderson weiß, dass man mit einem einzigen Bild mehr Emotionen zu wecken vermag als mit lautem Getöse, etwa mit der Großaufnahme eines Hundes, der in die Ferne und damit in eine ungewisse Zukunft blickt — in solchen kurzen Momenten beweist der Filmepische Größe.

 

 

Isle of Dogs (dto) USA/D 2018, R: Wes Anderson, 101 Min.