A Beautiful Day

Lynne Ramsay treibt Joaquin Phoenix

ins Herz der Finsternis

Jede Zeit bekommt die Helden, die sie verdient. Auch wenn Joe (Joaquin Phoenix) als Mann fürs Grobe junge Mädchen aus den Fängen von Menschenhändlern befreit, gleicht er doch kaum den edlen Rettern, wie man sie aus »Man on Fire« oder »Taken« kennt. Mit leerem Blick und schweren Traumata beladen irrt der zerzauste Schrat durch eine Welt, der er abhanden gekommen ist. Wie ein bulliger »Rain Man« nimmt Joe Prügel, Verletzungen und Schmerzen ebenso stoisch hin, wie er sie bewirkt. Als ein Senator mit Aufstiegsambitionen ihn beauftragt, seine Tochter (Ekaterina Samsonov) aus dem Sumpf des Rotlichtmilieus zu retten, stößt Joe in ein Wespennest aus Korruption in den höheren Machtsphären. Glich sein Leben ohnehin einem Taumel am Ab-grund, tut er nun den entscheidenden Schritt in den freien Fall.

 

Lynne Ramsay bedient sich bei ihrer Adaption von Jonathan Ames’ lakonischer Neo-Noir-Novelle »You Were Never Really Here« bei Pulp und Hardboiled. Doch Ramsay macht aus dem Stoff keine Rache-Arie, in der fiese Lüstlinge ihr Fett wegkriegen, unschuldige Mädchen in letzter Minute vor dem Schlimmsten bewahrt werden und verhärmte Antihelden über sich hinauswachsen. Zur Freude eines Publikums, das mehr als nur die Erfüllung von Genre-Erwartungen schätzt, graben Ramsay und Phoenix ihre Zähne mit größerem Nachdruck in den Stoff. Letzterer unterstreicht mit dem Porträt einer tief verletzten Kinderseele im Körper eines labilen Berserkers seinen Status als besessenster unter den besessenen Charakterdarstellern. Nach »We Need to Talk About Kevin« beweist die Schottin Ramsay erneut, dass es möglich ist, mit analytischer Schärfe emotionale Kraterlandschaften zu vermessen und diese zugleich phantasmagorisch zu bebildern. 

 

Je tiefer die Erzählung ins Herz der Finsternis treibt, desto mehr sprengt Ramsay das auf Verdichtung und Aufklärung ausgelegte Thriller-Korsetts. Sie führt Joes Odyssee in die Gefilde eines garstigen Schauermärchens, durch das ihr Antiheld bald mehr spukt als wandelt. Der Hammer in seinen vor Wut zitternden Händen wird dabei manches Mal zum Einsatz kommen. Doch bleibt die bittere Erkenntnis, dass auch der Berg toter Schurken, der sich bald aufturmt, die Welt nicht wird ins Lot bringen können. Kein Trost. Kein Ausweg. Apocalypse Noir. 

 

 

A Beautiful Day (You Were Never Really Here) USA 2017, R: Lynne Ramsay, D: Joaquin Phoenix, Alessandro Nivola, Ekaterina Samsonov, 95 Min.