Nachtgedanken

materialien zur Meinungsbildung /// folge 196

Der Schlaf ist dem Tod verwandt, und was auf dem Nachttisch steht, gleicht Paraphernalien, also Grabbeigaben. Wenn das so ist, dann gleiche ich als Schlafender einem toten Pharao oder steinzeitlichen Stammesführer. Was sich auf meinem Nachttisch alles auftürmt! Für welche nächtlichen Gedankenfahrten benötige ich das eigentlich? 

 

Als Paraphernalien bezeichnet die Jurisprudenz auch eine Mitgift oder Morgengabe, die wir abgeben und die doch in unserem Besitz bleibt. So betrachtet, bin ich mit meinem Nachttisch dem Schlaf vermählt. All das, was auf ihm steht, ist dann eine Leihgabe an die Schemen der Nacht, die mich im Schlaf umfangen, wohlwollend-bergend oder als hämischer Alb, der auf der Brust nistet, bis der Morgen graut. Aber verlangen die nächtlichen Schemen statt eines Stapels alter Sportzeitschriften anderes? Schlafe ich deshalb so unruhig?

 

Sobald ich die Augen aufschlage, denke ich, dass ich den Nachttisch entrümpeln sollte. Gesine Stabroth sagt, dass man nur gut schlafe, wenn es im Zimmer nahezu leer ist. Allein, dass man sich selbst noch dort aufhält, scheint ein Hindernis für erholsamen Schlaf zu sein. 

 

Dabei könnte mein Nachttisch aussehen wie in den Katalogen für Interior Design. Auf den Betten neben den Nachttischen lagern Menschen, deren dümmliche Blicke sie nur umso makelloser erscheinen lassen. Sie wirken ausgeschlafen und zufrieden. Sicher auch, weil ihre Nachttische aussehen wie die Schreibtische von Vorstandsvorsitzenden: clean, unnütz, geschmückt bloß mit einem Kugelstoßpendel oder einer pummeligen Buddha-Figurine. Mit nächtlichen Gestalten hinter dem Dämmer haben sie nichts zu schaffen. Sie sind diesseits der Nacht, machen die Nacht zum Tag, stehen mitten im Leben. Ihr Nachttisch ist bloß Statussymbol, auf dem handverlesene Zufallsbekanntschaften ihren Schampus abstellen können. Mein Nachttisch ist Stauraum.

 

Wenn man mich nun aber im Bett fände, tot oder besoffen oder verschlafen, suchte man Rückschlüsse auf mein Denken und Handeln, zumal in den letzten Stunden, wohl auf dem Nachttisch. Liegt dort erbauliche Lektüre oder zeigt das Smartphone noch die abendliche Blödel-Konversation mit Kumpanen? Steht ein Glas stilles Wasser dort oder eine leere Flasche Wodka, umkränzt von Schlaftabletten? Finden sich Notizen, welche die Essenz eines Lebens aphoristisch fassen, oder bloß Vorstudien zu einem Einkaufszettel (»Chips im Angebot! 3x Sour Creme«)? Vielleicht kann einem das aber auch egal sein, wenn man tot oder besoffen ist. Und überhaupt, wer kommt denn da ins Schlaf-zimmer?

 

Früher haben Kaiser ihre Minis-ter im Schlafgemach empfangen. Doch machte man große Politik und nichts Unanständiges im landläufigen Sinne. Empfinge der Bundespräsident heute im Schlafgemach die Kabinettsmitglieder, glaubte den Herren niemand, dass es bloß um geopolitische Fragen gegangen sei. 

 

Das Schlafzimmer gilt als jener Ort im bürgerlichen Haus, der die Triebe kaserniert. Aber in den Betrachtungen des Schlafgemachs hat man zu oft dessen Intimität auf das geschlechtliche Begehren eingeschränkt. Diese Intimität umfasst aber viel mehr. Im Schlaf sind wir Ausgelieferte unserer selbst, -körper-lich wie seelisch. Wir furzen, schnarchen, brabbeln und geben unser Geheimnis vor uns selber preis. Der Schlaf zeigt die Umrisse einer grundlegenden Beschämung. Unter dem Plumeau verlieren wir uns. Das zerwühlte Kissen am -Morgen ist das Schlachtenpano-rama unserer nächtlichen Kämpfe. Der Abend ist der Herbst des Tages. Doch statt goldener Farben zeitigt er stille Stürme hinter der Stirne. Manchmal beruhigt es, dann in alten Sportzeitschriften zu blättern. Es ist praktisch, wenn sie griffbereit auf dem Nachttisch liegen.