Lokale Geschichten vom Globalen

Madhusree Dutta ist die neue künstlerische Leiterin der Akademie der Künste der Welt

»Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem Globalen und Lokalen, weil sich das Globale im Lokalen widerspiegelt. Aber das gilt auch für das Gegenteil: Das Globale kann sich immer nur lokal ausdrücken und verwirklichen«, sagt Madhusree Dutta im Interview und spricht damit das Credo ihrer künstlerischen und kuratorischen Arbeit aus. Dutta, Filmemacherin aus Mumbai mit Wurzeln im Theater, seit den 90er Jahren immer wieder auch als Kuratorin und Jurorin unterwegs, ist seit dem 1. März künstlerische Leiterin der Akademie der Künste der Welt. Als Gründungsmitglied der Akademie ist sie nun Nachfolgerin von Ekaterina Degot, die von 2014 bis 2017 dermaßen viele Programme und Veranstaltungen der Akademie in Köln anstieß — bis über die Grenze der Unübersichtlichkeit hinaus —, dass man meinen könnte, die künstlerische Leitung wäre mittlerweile ein Selbstläufer. Ideen, Kontakte, Thesen und Vernetzungen: alles reichlich vorhanden!

 

Es ist kein Selbstläufer. Nicht nur, weil das Budget der Akademie durchaus überraschend und ziemlich kurzfristig gekürzt wurde. Abgesehen davon weist die Akademie seit Anfang an eine konzeptuelle Vagheit auf: Steht ihr Programm mehr für Köln — oder mehr für die Welt? Und was heißt das jeweils? 

 

»Der Zusatz Welt im Namen der Akademie der Künste hat für viel Konfusion gesorgt«, weiß auch Dutta. »Wofür steht die Welt? Dabei liegt die Lösung auf der Hand: Köln ist eine internationale Stadt, die Kölner Geschichte ist wesentlich von Migration geprägt, von Anfang an — die Stadt ist als römische Siedlung gegründet worden. Um als künstlerische Institution »die Welt« abzubilden, ist es nicht immer nötig, internationale Künstler einzuladen, sondern auf die Internationalität der Stadt selbst zurückzugreifen.« Damit ist Dutta die vielleicht bündigste Formulierung gelungen, was die Aufgabe einer so komplexen Institution wie eben der Akademie sein kann. Sie schöpft dabei aus ihrer eigenen Kunst.

 


Derzeit arbeitet sie an einem Filmprojekt, das das Phänomen des Post-Industrialismus — was passiert mit den Produktionsstätten, wenn das Kapital weitergezogen ist auf der ewigen und gierigen Suche nach noch günstigeren Anlagemöglichkeiten — global untersucht. Die Recherchen dazu haben sie 2016 bis ins Ruhrgebiet geführt. 

 

Post-Industrialismus weist überall die gleichen Strukturmerkmale auf — womit aber die Menschen und Institutionen vor Ort auf ihre Weise klar kommen müssen. Deshalb ist es für Dutta eine falsche Alternative, das Lokale gegen das Globale auszuspielen. Kunst, meint Dutta, kann als ein Katalysator und mehr noch als ein Übersetzer fungieren, unterschiedliche Erfahrungen zu vermitteln. Gelernt hat sie das unter anderem bei Fritz Bennewitz: Bennewitz war Theaterregisseur in der DDR und hatte sich zur Aufgabe gemacht, die Ästhetik Bertolt Brechts außerhalb seines Berliner Wirkungskreises populär zu machen, also: sie zu übersetzen. Seine internationalen Brecht-Seminare ab 1977, die ihn schließlich auch nach Indien führten und die Madhusree Dutta besuchte, sind für die globale Brecht-Rezeption fundamental gewesen. Zu den frühesten Arbeiten von Dutta zählt übrigens eine Adaption von Brechts »Mutter Courage«.

 

Zurück nach Köln zur Akademie: 2018 fällt das beschnittene Budget noch nicht dramatisch ins Gewicht, weil die Akademie auf Rücklagen zurückgreifen kann, aber ab 2019 würden die Kürzungen voll durchschlagen. Dutta hatte bereits ihre Zusage zur künstlerischen Leitung gegeben und ihr Programm auf Grundlage der bisherigen Zuschüsse vorgestellt, als die Kürzungen im vergangenen Herbst beschlossen wurden. Sie hat sich trotzdem entschieden, den Job anzutreten, auch wenn vom Programm vieles nicht mehr zu realisieren war, um die Krise der Akademie nicht noch zu verschärfen. Ob sie ihn nächstes Jahr noch macht, hängt davon ab, wie sich die Verhandlungen mit der Stadt über das Budget 2019 gestalten. Die Entscheidung fällt im Sommer.

 

Ihre künstlerischen Ziele verfolgen Dutta und die Akademie derweil weiter. Davon zeugte schon der erfolgreiche Neustart-Abend am Ebertplatz am 6. April: Die Akademie ließ sich auf den kontrovers diskutierten Hot Spot der Stadt ein und arbeitete mit künstlerischen Akteuren vor Ort zusammen — viele Leute wollten das sehen. Die Arbeit wird sich fortsetzen in der Akademie-Ausstellung »Global Positioning System Not Working« (seit 19. April im Academyspace), die künstlerische Positionen zum NSU-Terror in der Keupstraße, zur Polizeigewalt in Bangladesh oder dem Bürgerkrieg im Libanon zusammenbringt, oder beim Symposium »Rethinking Locality« (23./24.5.). Bange machen gilt nicht: »In erster Linie bin ich Filmemacherin und weniger Kuratorin. Ich bin mehr an der direkten Produktion und Umsetzung von künstlerischen Projekten interessiert
als daran, Events zu lancieren. Ein Archiv aufzubauen ist kein Event, sondern eben kontinuierliche Arbeit. Darauf kommt es mir an.«

 

Dutta spricht hier ein großes Projekt an, das die Akademie in den nächste Wochen und Monaten in Angriff nehmen wird: Der Aufbau eines digitalen Archivs, das die kulturellen Gedächtnisse Kölns, seine Migrationsgeschichten oder auch die soziale Widersprüchlichkeit
der Stadt dokumentiert. »Das Interessante an einer Stadt wie Köln ist, dass sich hier Geschichte auf Geschichte türmt«, sagt Dutta. Kunst ist ein Mittel, diese Schichten abzutragen, damit sie wieder Dünger für neue Geschichte werden.

 

Ausstellung »Global Positioning System Not Working«, Academyspace, Herwarthstr. 3, Do / Fr 15–19, Sa / So 14–18 Uhr, bis 8.7., Symposium: Rethinking Locality, 23.5., King Georg; 24.5., Altes Pfandhaus, jeweils 19 Uhr. 

 

Programm unter academycologne.org

 

Offenlegung: Zwei künstlerische Projekte des Autors sind 2014 und 2016 von der Akademie gefördert worden. 2017 kooperierten Akademie und Stadtrevue beim Projekt »Unglossary«.