Vor dem Untergang

Caligula nach Camus, inszeniert von

Sebastian Baumgarten am Schauspiel

Düsseldorf, schafft es nicht ganz bis zu uns

Das dekadente Römische Reich, in dem Kaiser Caligula in den Jahren 37-41 wütete, ist aus Jahrmarktsbuden erbaut: brüchig, aber bunt. Als Vorzeichen des Untergangs, der allerdings erst ein paar Hundert Jahre später vollendet war, stolpert André Kaczmarczyk, Star des Düsseldorfer Ensembles, auf die rosa Riesenmatratze des Reichs: ein Penner aus Dreck und Fetzen, aus dem Ruder gelaufen nach dem traumatischen Tod seiner Schwester und Geliebten Drusilla.

 

Aber schnell hat er sich erholt, und es kann losgehen mit der Schlächterei. Kaczmarczyk beherrscht alle Register zwischen Kleinkind und Großkiller und ist als gehetztes, verzweifeltes Rumpelstilzchen toll anzusehen. Als er sich gefasst, gesäubert und angekleidet hat, zwängt er sich er durch einen riesigen Trichter auf die Bühne. Ein schönes Bild für den schwarzen Schlund, der sich auftut, als sein nihilistisches und willkürliches Morden in absoluter Freiheit, Langeweile und Sinnlosigkeit beginnt, immer schön begleitet von Mätresse Caesonia, bei Yohanna Schwertfeger eine lollylutschende, ordinäre Lolita-Profiteurin.

 

Illustriert wird das Morden von dokumentarischen Aufnahmen der Massaker der französischen Armee in Algerien, wo Camus 1913 geboren wurde. Doch so richtig taugen weder Caligulas Allmachtsfantasien noch historische Verweise, um die Gegenwart einzuholen. Dass Camus‘ grausame Groteske von eigenen traumatischen Erfahrungen inspiriert war, sie aber von den Großdiktatoren des 20. Jahrhunderts Hitler und Stalin locker überholt wurden, ist zum Allgemeinplatz der Geschichte geworden. Da kann Baumgarten noch so viele blutige Todeswalzer tanzen lassen: Die Steigerung des Horrors bleibt zwei Stunden lang gleichförmig. Selbst als sich Caligula gespenstisch als Voodoo-Puppe und Ersatzgott ausstaffiert, will sich kein Gruseln einstellen.

 

Sehr viel aktueller scheint viel mehr, wie sich die pragmatischen Patrizier um den Tyrannen Caligula aufführen. Wie sie, trotz vieler Gelegenheiten, ihn zu töten, devot über Toleranz und Liebe philosophieren, ihn geistig rechtfertigen, von ihm profitieren, zögern und zaudern — bis es zu spät ist und es ihnen selbst an den Kragen geht: rat- und harmlose Appeasement-Politik. Bevor Caligula jedoch tot im Trichterloch verschwindet, ruft er triumphierend »Noch lebe ich« — seinesgleichen stirbt nie aus. Es ist ein überbordender, musikalischer, mitreißender Abend, dessen Botschaft für bei aller Buntheit am Ende doch ein wenig blass bleibt. 

 

 

 

»Caligula«, A: Albert Camus, R. Sebastian Baumgarten, 27.4., 5. und 28.5., 1.6., Schauspiel Düsseldorf (Central), 19.30 Uhr