Coltrane lächelt von oben

Mit A Love Supreme erweckt Anne Teresa

De Keersmaeker den Jazz zum Tanzen

Diese Liebeserklärung beginnt in Stille. Die vier Tänzer bereiten den Raum vor für die Musik, die erst nach einer Weile diese Welt betritt. Oder die barfüßigen jungen Männer bereiten sich selber vor auf die Begegnung mit John Coltranes »A Love Supreme«. Sie laufen, gehen, schnell, langsam, Hände an Händen, ein Ziehen, Drehen, eine Schlaufe aus Armen. Die Körper schlagen Parallelen, Diagonalen und Kreuzungen vor, Beine kicken. Feine Unterschiede tun sich auf zwischen lose und fest, Druck und Freiheit, Fortbewegung und Stillstand, geraden Linien und Kurven, die nie als Pointe ausgestellt werden. Der Tanz scheint die Unterschiede in Frieden zu lassen, buchstäblich.

 

Einmal sieht man Tänzer Thomas Vantuycom zögern, denken und den Fuß an einer anderen Stelle absetzen als kurz vorher. Er geht weg, kehrt zurück und stellt sich einen Schritt vor diese Stelle hin, als habe er sich selbst im Rücken. Zuletzt scheint er mit dem Blick vom Rand aus über das mit Linien beklebte Spielfeld zu fragen: »Was war?« und »Was wird sein?«. Dann beginnt die Musik. »A Love Supreme« hat der Saxofonist John Coltrane 1964 aufgenommen, eine zum Meilenstein gewordene Jazzquartett-Improvisation. Für Coltrane, der 1967 starb, war diese Musik eine Hinwendung zu Gott. 

 

Das macht auch der Tanz sichtbar, ohne aufgesetzte Gesten oder -klischeehaftes Schmachten gen Himmel. Vielmehr praktiziert der Tanz, mit dem Ohr an der Musik der vier unsichtbaren Körper, eine Mitmenschlichkeit, die den Einzelnen Raum gibt für ihr Solo, das sich freudig aus sich selbst entfaltet und die doch nie die Verbindung der vier Tänzer kappt. Die besteht aus Aufmerksamkeit, aus Folgen, Vorschlagen, Gleichklang, zustimmendem Auseinander, Aneinander.

 

Man kann »A Love Supreme« sogar politisch lesen, denn in dieser 2017 gemeinsam mit dem Choreografen Salva Sanchis überarbeiteten Version des Stückes von 2005 sind statt zwei Mann-Frau-Paaren nur noch Männer am Werk. Friedlich, leichtfüßig. Die berühmte flämische Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker, die 1983 ihre Kompanie Rosas gründete, setzt seit jeher die kompositorischen Strukturen von Musik, von Bach über Debussy bis Steve Reich, Gérard Grisey , Joan Baez, Miles Davis und eben Coltrane, in Bezug zur Choreographie. Nie ist es ein Zwangsverhältnis. Deshalb ist das Stück mit der Liebe im Titel auch so wundervoll überzeugend. 

 

»A Love Supreme«, C: Anne Teresa de Keersmaeker, Salva Sanchis, 11.–13.5., Depot 2, 20 Uhr