Foto: Marcel Wurm

 Oper total

Zum 100. Geburtstag des Komponisten Bernd Alois Zimmermann zeigt die Oper Köln »Die Soldaten«. Ein epochales ­Meisterwerk, das das Staatenhaus an seine Grenzen bringt

Mit dieser 1965 fertiggestellten Oper ist der Kölner Komponist Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) in die Musikgeschichte eingegangen: »Die Soldaten«. Zu sehen nun im Staatenhaus im Rahmen des Acht--Brücken-Festivals. Ähnlich wie beim Schauspiel im Mülheimer Depot -nehmen die Kölner die rechtsrheinische Ausweichspielstätte gut an. Die Dauerbaustelle Oper am Offenbachplatz wird das Schicksal des -Berliner Flughafen deshalb dennoch nicht teilen. Die Ersatzspielstätte hat mit technischen Begrenzungen und Platzmangel zu kämpfen. Trotzdem erschaffen Künstler hier ungewöhnliche und neue Räume.

 

»Die Soldaten« ist keine normale Oper. Wenn sich ein Musiktheater an diese Oper wagt, bedeutet das viel Arbeit, viel Geld, eine riesige Investition an kreativer Energie. Denn dieses Stück stellt extreme Anforderungen. In einem normalen Opernhaus ist es nur mit Kompromissen und Einschnitten spielbar. Man braucht eine besondere Raumsituation, wie sie in der Ausweichspielstätte der Kölner Oper, dem Staatenhaus, gegeben ist.

 

Ein 120 Mann starkes Hauptorchester verlangt der Komponist. Dazu drei Ensembles auf der Bühne, 40 Solisten, elektronische Einspielungen, 16 Schlagzeuger, die im Raum verteilt sind. Die Sänger müssen ständig zwischen Gesangs- und Sprechstimme wechseln und gewaltige Tonsprünge bewältigen. »Es ging Zimmermann darum, die Kugelgestalt der Zeit er-fahr-bar zu machen«, erklärt Intendantin Birgit Meyer im Gespräch. »Das mo-der--ne Theater sollte für ihn ein multimediales Spektakel sein, mit Filmein-spielungen und vielen anderen Dingen. Deshalb haben wir für die Inszenierung La Fura dels Baus engagiert, die schon Parsifal, Benvenuto Cellini und die Uraufführung von Stockhausens Sonntag aus Licht bei uns auf die Bühne gebracht haben.«

 

»Die Soldaten« ist dem Titel zum Trotz keine Oper über den Krieg. Tod und Gewalt bilden den Hintergrund für ein beängstigendes Gesellschaftsbild. Vorlage ist ein Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz, einem genialen Getriebenen, der dem Wahnsinn verfiel und dessen Tod 1792 in Moskau bis heute ungeklärt ist. Georg Büchner hinterließ über Lenz ein berühmtes Romanfragment. 

 

Lenz erzählt nun in seinem Stück den Fall eines bürgerlichen Mädchens. Die junge, unerfahrene Marie Wesener ist Tochter eines Galanteriehändlers aus Lille. Sie ist im heiratsfähigen Alter, es gibt auch einen Jüngling, den sie liebt. Aber der ist gerade nicht da, Marie lässt sich von einem anderen verführen, und das bedeutet nach den Moralvorstellungen ihrer Zeit die Ächtung. Die Gesellschaft speit sie aus, sie endet als Hure im wahrsten Sinne des Wortes unter den Soldaten. Lenz geht es darum, wie das Handwerk des Schlachtens einzelne Menschen und eine Gesellschaft prägt, verformt, brutalisiert. Ein Thema, das nicht an Aktualität verloren hat.

 

Die Geschichte ist kein Rührstück. Schon bei Lenz ist Marie kein reines Opfer. Sie ist zwar naiv, aber auch gierig. Sie sucht den gesellschaftlichen Aufstieg und geht Risiken ein. Lenz erweckt natürlich Mitgefühl, er zeigt sie aber auch mit einem gnadenlosen Blick. Den Bernd Alois Zimmermann als kritischer und historisch sensibler Komponist der Nachkriegszeit übernimmt. Es geht um Klassenstrukturen und die Konsequenzen, die sich daraus besonders für Frauen ergeben.

 

Zimmermanns Idee von der Kugelgestalt der Zeit verlangt ungewöhnliche Räume. Seine Idee ist es, dass alles gleichzeitig passiert, nicht chronologisch. Deshalb handelt es sich nicht um eine Geschichte aus dem 18. Jahrhundert, die vom Komponisten verlangten Bilder gehen bis zum Abwurf einer Atombombe. »Wir versuchen, Zimmermanns Vorgaben so werktreu wie möglich umzusetzen«, erklärt Bühnenbildner Roland -Olbeter. Er hat eine ringförmige Spielfläche entworfen, die das Publikum umschließt. Gestern, heute und morgen werden eins. Die Zuschauer sitzen auf beweglichen Stühlen, mit denen sie ihre Perspektive ändern können. Auch das entspricht einer Forderung des Komponisten.

 

Das Staatenhaus bietet dafür einige Möglichkeiten, aber Olbeter weiß auch um die technischen Grenzen. »Die Wände sind nur sieben Meter hoch«, sagt er, »es gibt eine Obermaschinerie. Das Dach ist nicht belastbar.« Für die nukleare Explosion am Ende benutzt er Licht- und Videoeffekte. »Die 360-Grad-Bühne ist die größtmögliche Annäherung an Zimmermanns Idee des Unendlichen.«

 

Die Musik komponierte Bernd Alois Zimmermann weitgehend nach den Regeln der Zwölftontechnik. Es sind aber auch tonale Elemente dabei, die zu seiner Zeit in der Avantgarde verpönt waren. Aber Zimmermann schrieb auch Unterhaltungsmusik und Soundtracks für den WDR, er inte-griert in seine Komposition Bach-Choräle ebenso wie Jazz. Auch musikalisch verfolgt er die Idee der Gleichzeitigkeit, die gesamte Musikgeschichte spiegelt sich im Stück.

 

Das bedeutet harte Arbeit für Kölns Generalmusikdirektor Francois-Xavier Roth. »Wir haben viel mehr Orchesterproben als gewöhnlich«, erzählt der Dirigent. »Wir brauchen Zeit, um die Musik zu verstehen und alle Elemente zu integrieren.« Drei Assistenten dirigieren gleichzeitig mit ihm, weil ein direkter Kontakt zu allen Musikern und Solisten sonst nicht möglich wäre. »Ich habe einen großen Respekt vor diesem Stück«, sagt Roth, »es ist einzigartig. Ich liebe die Modernität, die vielen Gesichter -dieser Musik. Mal ist sie laut und komplex, dann klein und transparent. Man spürt einfach, dass es sich hier um ein Meisterwerk handelt. Am liebsten möchte ich das Stück nach den Kölner Aufführungen gleich noch einmal dirigieren, um mein Verständnis zu vertiefen.«

 

Die Kombination der verschiedenen Stile empfindet Franz-Xavier Roth als typisch für Köln. »Hier gibt es eine durchlässige Grenze zwischen Volksmusik und zeitgenössischen Stücken. Zimmermanns Collage-technik war damals übrigens neu, er hat viele bedeutende Komponisten beeinflusst.« Die Solisten tragen Mikro-ports, aber nicht um sie im klassischen Sinne zu verstärken. Ein Sounddesigner wird die Klänge konzentrieren und bündeln, damit bei allen Teilen des Publikums auch eine richtige Mischung ankommt.

 

Heftiger Stoff, eine teure Produktion. Und das alles in aufgewühlten Zeiten: Das Verhältnis zwischen Intendantin Meyer und Roth gilt als zerrüttet. »Roth will vielmehr, wie zu hören ist, überhaupt nicht mehr mit Meyer zusammenarbeiten und macht die baldige Ablösung der Opern-intendantin zur Bedingung für die Vertragsverlängerung«, berichtete der Stadt-anzeiger am 10. April. Die Produktion von Zimmermanns Oper scheint davon unberührt. Überhaupt: Die Vorstellungen sind bereits gut verkauft, die Besucherzahlen im Staatenhaus stimmen. In dieser Saison wird die Quote wohl deutlich über 80 Prozent -liegen. Ähnlich wie beim Schauspiel nehmen die Kölner die Ausweichspielstätte an. »Inzwischen haben wir einige Mitarbeiter, die das Opernhaus gar nicht mehr kennen«, sagt Birgit Meyer. Da liegt die Frage nahe, ob es gar nicht so schlimm wäre, wenn die Dauerbaustelle das Schicksal des Berliner Flughafens teilte. Da widerspricht die Intendantin. Sie sorgt zwar dafür, dass der Betrieb läuft, kennt aber auch die Probleme, mit denen sie täglich kämpfen muss.

 

Da wäre zum einen die Kapazität der Werkstätten. »Die Ausstattung für fünf große Produktionen können wir selbst herstellen, dazu noch für zwei kleine«, sagt die Opernchefin. Doch damit ist der Spielplan noch nicht gefüllt. Zwei große Stücke pro Saison kommen als Koproduktionen nach Köln. Im April war das zum Beispiel Rossinis »Mosé in Egitto«, das zuvor in Bregenz zu sehen war. Damit das Bühnenbild im Staatenhaus funktionier-te, musste extra eine Drehscheibe angeschafft werden. So etwas ist in einem Opernhaus Standard, aber nicht in einer Ausweichspielstätte. Birgit Meyer kauft Aufführungen ein, verleiht eigene, sorgt für Austausch mit europäischen Festivals und großen Musiktheatern zum Beispiel aus -Madrid und Paris. Dahinter stecken lange Verhandlungen und viel Arbeit in Management und Organisation. Trotzdem bleibt noch Zeit für künstlerische Höhenflüge. Wie die vor 53 Jahren in Köln mit vielen Kompromissen uraufgeführten »Soldaten«.

 

 

»Die Soldaten« von Bernd Alois Zimmermann, musikalische Leitung: François-Xavier Roth, Regie: Carlus Padrissa, 29.4. (P.), 3., 11., 17.5. (19.30 Uhr); 13.5. (16 Uhr); 20.5. (18 Uhr), Staatenhaus Saal 1