Heiko Pfost: die freie Ästhetik verteidigen ; Foto: Sophie Thun

»Die Ästhetiken des freien Theaters sind doch etwas anderes«

Das Theaterfestival Impulse bekommt mit Heiko Pfost eine neue künstlerische Leitung

Zehn aus dreihundert eingereichten Produktionen der freien Theaterszene im deutschsprachigen Raum haben Heiko Pfost, seit diesem Jahr künstlerischer Leiter des Impulse Theater Festivals und sein Beirat für die diesjährige Ausgabe ausgewählt. Pfost war Mitbegründer und lange Jahre Leiter des internationalen Koproduktionshauses »brut« in Wien. Im Interview spricht er über die Vorzüge der Arbeit im Freien Theater und warum freie Theatergruppen ihre Projekte nicht einfach am Stadttheater produzieren können.

 

 

Herr Pfost, was ist für Sie reizvoll an der künstlerischen Leitung des Impulse Festivals und was herausfordernd?

 


Also für mich ist es total reizvoll, weil ich ein Fürsprecher der freien Szene, des Freien Theaters sein kann. Weil dieses Festival zeigt, dass die Ästhetiken des freien Theaters doch etwas anderes sind, als das, was wir vielleicht aus dem Stadttheater kennen. Wir müssen uns nicht ständig vergleichen, aber wir brauchen mehr denn je unser eigenes »Theatertreffen«. 

 

 

Wie kann das Festival dann mehr sein als ein Branchentreff, bei dem einmal im Jahr freie Produktionen Aufmerksamkeit bekommen?

 


Natürlich versuche ich in meiner Vermittlungsarbeit das Festival auch weiter zu öffnen. Das heißt für mich ein bisschen weg vom Elitären. Wir befinden uns in einer sehr kleinen Blase, das ist mir schon bewusst. Aber der Versuch muss natürlich sein, diese zu erweitern und Leute zu erreichen, die vielleicht noch gar nicht wissen, dass sie sich für diese Formen von Theater interessieren.

 

 

Was zeichnet Ihre Impulse aus?

 


Ich versuche die unterschiedlichen Qualitäten des freien Produzierens darzustellen. Einmal haben wir den Showcase im Ringlokschuppen in Mülheim, mit den zehn herausragendsten — aber ich sage auch immer: herausforderndsten Produktionen der vergangenen Saison. Das ist eine Säule, die zweite ist, dass wir im Freien Theater sehr ortsspezifisch arbeiten. Deswegen gibt es, zusammen mit dem FFT in Düsseldorf, das Stadtprojekt »Wenn die Häuser Trauer tragen«. Es wird in dieser Form einmalig sein und nirgendwo so wieder realisiert werden können, weil die Künstler*innen sehr ortsgebunden mit bestimmten Institutionen zu einem Thema zusammenarbeiten, das jetzt aktuell ist. Die dritte Säule ist für mich die neue Impulse-Akademie. Da geht es mir darum, ein Selbstverständnis für unsere Arbeitsweisen zu schaffen, darüber, was wir im Freien Theater tun, wie wir es tun und warum. Die Akademie schafft Voraussetzungen dafür, dass die Freie Szene ein größeres Selbst-bewusstsein entwickelt. Wir müssen uns nicht verstecken. 

 

 

Was tun Sie, um dieses Selbstbewusstsein zu stärken?

 

Ich versuche die Qualitäten der freien Szene zu unterstreichen. Dazu zählt beispiels-weise, dass ihr Selbstverständnis immer auch ein kritisches ist, weil die Arbeitsweisen ständig hinterfragt werden. Das ist für mich ein Qualitätsmerkmal — im Idealfall. Viele Produktionen sind von einer permanenten Selbstreflektion darüber begleitet, mit welchen Mitteln, mit welchem Medium und auch in welchen Arbeitsbedingungen gearbeitet wird. Das sind Fragen, die stellen sich im Stadttheater häufig gar nicht. Da fängt es jetzt erst an, dass über Arbeitsbedingungen nachgedacht wird oder darüber, dass Hierarchien herrschen und es Machtmissbrauch von Regisseuren gegenüber Schauspielern gibt.

 

 

Worin liegt für Sie der Unterschied zwischen freier Szene und Stadttheater?

 


Erst mal gibt es sehr feste Strukturen und einen Intendanten, der meistens hierarchisch entscheidet, was dort gezeigt wird, welche Regisseur*innen mit welchen Schauspieler*innen welche Stücke aufführen und in welchem Zeitrahmen sie das tun. Das ist im freien Theater im Idealfall völlig umgekehrt. Da steht am Anfang oft ein Thema, für das man sich interessiert, und die Recherche. Bei der Produktion -Global Belly, die wir im Programm ha-ben, haben die Künstler*innen fast zwei Jahre in fünf verschiedenen Ländern zum Thema Leihmutterschaft recherchiert. Pink Money, das Queersein und die damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Bedingungen untersucht, wurde hauptsächlich in Johannesburg produziert. Solche Freiheiten hat man im Stadttheater meistens nicht.  

 

 

Klingt doch schön, in der freien Szene zu arbeiten, oder?

 


Was nicht so schön ist, ist allerdings die finanzielle Ausstattung. Aber ich glaube, dass gerade auf verschiedenen -Ebenen sehr viel passiert und ich bemerke im Augenblick wirklich eine Aufbruchsstimmung. Wir sind auch nicht mehr bereit zu sagen: »Okay, wir lassen uns jetzt irgendwie an ein Stadttheater assoziieren. Und damit sind unsere Bedürfnisse gestillt, und das war es dann.«

 

 

Was spricht dagegen?

 


Wir haben in den letzten Jahren leider bemerkt, dass das nicht so gut funktioniert hat. Die Kooperationsversuche, die gestartet worden sind, und das sagen mir viele Künstler*innen, mit denen ich zusammenarbeite, sind unter den Voraussetzungen am Stadttheater von sehr vielen Schwie-rigkeiten geprägt. Einfach weil andere Arbeitsbedingungen herrschen. Unsere zweite Akademie in der studiobühneköln beschäftigt sich deshalb mit dieser Frage: Wie wirken sich welche Arbeitsweisen auf die Ästhetik des Freien Theaters aus? 

 

 

StadtRevue präsentiert

Impulse Theater Festival, 13.–24.6., Mülheim a.d. Ruhr, Düsseldorf und Köln