Wenn der Postenmann dreimal klüngelt

CDU, Grüne und SPD wollten Martin Börschel zum Stadtwerke-Chef machen — und sind gescheitert

Martin Börschel war empört. Er habe genug von den »Hinterzimmer-Deals« seiner Genossen im Land, sagte er am 16. April bei einer Sitzung der SPD-Fraktion im Landtag. Kurz zuvor hatte die Parteiführung mit dem SPD-eigenen Regionalproporz die neue Führungsriege in NRW bestimmt. Börschel, Fraktionschef der SPD in Köln und Vize-Fraktionschef der Landtagsfraktion, ging dabei leer aus. Nun reichte es ihm: Er werde sich künftig auf seine Aufgaben in Köln konzentrieren, so Börschel.

 

Welche Aufgaben das sein sollten, erfuhren die Kölner am nächsten Tag aus der Presse. Börschel wollte aus der Politik zu den Kölner Stadtwerken wechseln. Dort sollte er den neuen Posten eines hauptamtlichen Geschäftsführers antreten, mit einem jährlichen Grundgehalt von 300.000 Euro plus bis zu 150.000 Euro Bonus.

 

Der Aufsichtsrat der Stadtwerke — dem bis dato auch Börschel angehörte — sprach sich am 17. April dafür aus, die Geschäftsführung zu erweitern und den neuen Posten ohne vorherige Ausschreibung mit Börschel zu besetzen. Aus formalen Gründen konnte der Beschluss noch nicht gefasst werden. Oberbürgermeisterin Henriette Reker, ebenfalls Mitglied im Aufsichtsrat, war nicht anwesend. »Bis zum Tag der Sitzung wurden mir keine Unterlagen zugeleitet und ich hatte Gerüchte über eine Veränderung der Geschäftsführung der Stadtwerke wahrgenommen«, sagt sie der Stadtrevue. »Dies hat mich veranlasst, Widerspruch gegen mögliche Beschlussfassungen einzulegen.« Ende April, nachdem die öffentliche Empörung hochgekocht war, veranlasste Reker, dass geprüft werde, ob der Geschäftsführerposten überhaupt nötig sei. Falls ja, solle »ein transparentes und nachvollziehbares Verfahren zur Personalauswahl« folgen. Der Hinterzimmer-Deal war gescheitert. Doch wer wollte Börschel zu seinem goldenen Posten verhelfen und warum? 

 

Die erste Figur, die über den Stadtwerke-Klüngel stolpert, ist ein Grüner: Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank. Gemeinsam mit CDU-Chef Bernd Petelkau und zwei Ar-beit-nehmervertretern gehörte er als ständiger Gast einem Untergremium an, das den Deal ausheckte. Ende April traten Frank und die grüne Fraktionsvorsitzende Kirsten Jahn aus dem Stadtwerke-Aufsichtsrat zurück. Der grünen Parteibasis war das nicht genug: Sie forderte Anfang Mai auch den Rücktritt Franks als Fraktionsgeschäftsführer. Frank gilt als Architekt des Bündnisses aus Grünen, CDU und FDP, das 2015 die parteilose Henriette Reker zur Ober-bürgermeisterin machte. So jemanden verstößt man nicht einfach.

 

»Ich habe einen fatalen Verhand-lungsfehler gemacht, in dem ich den Grundwert der Transparenz in einer Kernfrage völlig außer Acht gelassen habe«, sagt Jörg Frank heute. »Trans-parenz und Wettbewerb in öffentlichen Verfahren haben inzwischen zu Recht breite gesellschaftliche Akzeptanz«. Das ist auch sein Verdienst. In den 80er und 90er Jahren po-sitionierten sich die Grünen gegen den Klüngel von SPD und CDU, die damals die Posten unter sich aufteilten. 

 

Trotzdem wuchs in den vergan-genen Monaten bei den Kölner -Grünen der Unmut. Im Herbst 2017 hatte Frank dafür gesorgt, dass seine Frau in den Rat nachrückt. Jüngere Parteimitglieder kritisieren, dass Frank den Generationenwechsel nicht genügend vorbereitet habe. Frank wiederum wirft der jungen Generation vor, sie denke nicht strategisch genug, wenn es um den grünen Einfluss auf städtische Institutionen gehe — so beim Stadtwerke-Deal. Es sind grundlegende Unterschiede im Politikverständnis: Die einen finden das strategische Besetzen von Posten völlig normal, bei den anderen schrillen hier die Alarmglocken, sie pochen auf Trans-parenz und bürgernahe Politik.

 

Am 14. April, drei Tage vor der offiziellen Bekanntgabe der Börschel-Personalie, kamen die Grünen zu einer Sitzung zusammen. Der nicht stimmberechtigte Parteivorstand kritisierte den Deal, die Ratsfraktion aber stimmte zu. »Es gibt einen großen Vertrauensverlust bei uns — von außen, aber auch intern. Es ist wichtig, dass sich die Grünen weiterhin sehr intensiv mit der Aufarbeitung der Vorgänge befassen und auch deutliche Konsequenzen ziehen«, sagt Ratsmitglied Brigitta von Bülow. Aber bis heute will kein Beteiligter sagen, was die Grünen dafür bekommen sollten, dass sie Börschel auf einen der mächtigsten Posten der Stadt setzen wollten.

 

Die Stadtwerke gelten als SPD-Erbhof. Im Aufsichtsrat hat die Partei drei Sitze, ein Großteil der zehn Arbeitnehmervertreter steht ihr nahe. Im Moment führt der KVB-Vorsitzende Jürgen Fenske gemeinsam mit Rheinenergie-Chef Dieter Steinkamp die Geschäfte. Beide sind SPD-Mitglieder. Ein dritter Posten ist gerade vakant, über einen vierten wird seit Jahren diskutiert. Nun sollte ihn Börschel bekommen. Dem gelernten Juristen wurde im Assessment-Verfahren die Tauglichkeit für die Stelle bescheinigt. Gegenkandidaten gab es nicht. In einem weiteren Gutachten wurde erklärt, die Besetzung entspreche dem »Public Corporate Compliance Kodex« der Stadt Köln. Dort steht jedoch, dass eine Geschäftsführungsstelle nicht ohne Ausschreibung besetzt werden darf. »Die Regeln der Selbstverpflichtung haben versagt«, befindet Jörg Detjen, der für die Linke im Aufsichtsrat des Stadtwerkekonzerns sitzt.   

 

Im Untergremium des Aufsichts-rats, das die Börschel-Personalie eingefädelt hatte, machte Jörg Frank sich gleichzeitig für eine Weiterbeschäftigung des KVB-Geschäftsführers Peter Hofmann stark, der als Grünen-nah gilt. Dem Vernehmen nach hat aber besonders CDU-Chef Bernd Petelkau die Besetzung des neuen Postens mit Börschel vorangetrieben. Er sah die Chance, die Vormacht der SPD im Stadtwerke-Konzern zu brechen. 2019 wird die Stelle von KVB-Chef Jürgen Fenske frei. Verkehrsdezernentin Andrea Blome (CDU) galt als aussichtsreiche Kandidatin, hat aber wohl mittlerweile ihre Bewerbung zurückgezogen. »Der gesamte Deal, der noch andere Posten umfasst, muss schnell aufgeklärt werden«, fordert Jörg Detjen von der Linken.

 

Martin Börschel galt selbst lange als Aufklärer. Nach dem Parteispendenskandal 2002 standen er und Jochen Ott, der heutige Kölner Parteichef, für die Erneuerung der SPD. Nun hat Börschel selbst geklüngelt. Im Rat dankte er seiner Fraktion, dass sie hinter ihm stehe. Doch dort ist Börschel längst nicht mehr unumstritten.

 

 2015 hatte Börschel sich gegen eine Neuauszählung der Stimmen in einem Briefwahlbezirk in Rodenkirchen gestemmt, wo es bei der Kommunalwahl 2014 eine falsche Auszählung zugunsten der SPD gegeben hatte. Durch die richterlich angeordnete Neuauszählung verlor Rot-Grün die Mehrheit im Rat und SPD-Parteichef Jochen Ott seinen Sitz.  Im Vorfeld der OB-Wahl 2015 hatten Börschel und Ott zudem die Kandidatur der SPD unter sich ausgemacht. Ott verlor deutlich gegen die parteilose Reker.

 

Viele in der SPD-Fraktion deuten daher die Ära Börschel nun als Anhäufung von Macht und Fehlentscheidungen. Eigentlich traue Börschel kaum jemandem etwas zu, sagt ein Fraktionsmitglied. Von dem Stadtwerke-Deal und Börschels Ambitionen erfuhr die Fraktion erst am 17. April. Es sei ein Fehler gewesen, weder die Gremien noch die Öffentlichkeit mitzunehmen, sagt ein anderer. Und wieder ein anderer wundert sich, dass Börschel, der als guter Stratege gilt, glauben konnte, er käme damit durch.

 

Dass Börschel erst im September als Fraktionschef zurücktreten will, dauert manchem zu lange. Die Debatte um seine Nachfolge ist längst entbrannt. Im Gespräch sind Andreas Pöttgen, verkehrspolitischer Sprecher, der als Shooting Star gilt, den viele aber mit 29 Jahren für zu jung halten. Auch der Jurist Rafael Struwe und der wirtschaftspolitische Sprecher Christian Joisten konnten sich zuletzt profilieren. Doch Börschel war Berufspolitiker, mit Know-how auf vielen Politikfeldern, zudem bestens vernetzt. Er selbst soll den 72-jährigen ehemaligen Staatsminister Klaus Schäfer übergangsweise vorgeschlagen haben, um Zeit für die Nachfolgeregelung  zu gewinnen.  »Dann können wir die Wahl 2020 gleich abschreiben«, sagt ein Fraktionsmitglied. Die Stimmung ist mies. Jeder überlege genau, in welcher Runde er was sage, um nicht geschnitten zu werden. Klar sei, dass es einen Neuanfang geben müsse. Die Frage sei aber: wie neu.

 

In der CDU dagegen ist es nach außen ruhig, obwohl Fraktions- und Parteichef Bernd Petelkau wegen des Klüngels ebenfalls aus dem Stadtwerke-Aufsichtsrat zurücktrat. Prominente CDU-Mitglieder wie der Kanzler-Enkel Konrad Adenauer und Ex-OB Fritz Schramma kritisierten ihn zwar deutlich und drohten mit ihrem Parteiaustritt — aus der Ratsfraktion jedoch vernimmt man kaum Kritik. Welchen Vorteil versprach sich Petelkau von der Börschelei? Warum hinterging er Reker? Ein Fraktionsmitglied glaubt, Petelkau wolle bei der nächsten OB-Wahl nicht mehr Reker unterstützen, sondern selbst antreten. Börschel hätte als möglicher Gegenkandidat dann nicht mehr zur Verfügung gestanden. Auch über ein künftiges CDU/SPD-Bündnis im Rat wird spekuliert; Petelkau und Börschel sollen sich gut verstehen.

 

OB Henriette Reker steht nun als Gewinnerin der Affäre da. »Die Stadtwerke sind für die Daseinsvorsorge da und keine Fundgrube für hochdotierte Jobs«, mahnte sie Anfang Mai im Stadtrat. Für viele löste sie damit ihr Wahlversprechen auf mehr Transparenz ein. Andere deuten Rekers Verhalten jedoch als Zeichen zunehmender Isolation. »Ich wurde im Vorfeld weder von Herrn Frank noch von sonst jemandem informiert oder in Kenntnis gesetzt«, sagt sie. Es ist nicht das erste Mal, dass Reker von ihren Unterstützern hintergangen wurde. Im Herbst 2017 verkündete Stadtdirektor Stephan Keller (CDU), dass er am Ebertplatz die unterirdische Passage samt Kunsträumen zumauern will — ohne Rücksprache und gegen den Willen Rekers, die auf Dienstreise in Japan war. An die OB-Wahl 2020 verschwende man noch keinen Gedanken, verkünden CDU, SPD und Grüne. Wer mag das noch glauben?