Geile Küche!

Die Restaurants sind proppevoll. Die Kölner gehen wieder gerne essen. Die Spitzengastronomie hat von dieser Entwicklung lange nicht profitieren können. Sterneküche wirkte altmodisch. Jetzt aber weht ein frischer Wind durch die ­Kölner Spitzenküchen: Junge Köchinnen und Köche brechen mit den Konventionen. Die Stadtrevue hat ihnen

in die Töpfe geschaut

Im »Juicy Ray’s« gibt es frittiertes Hühnchen in mehreren Variationen — »Classic Southern«, »Nashville Hot« oder »Korean Style«. Auf dem Menü stehen thailändischer Chicken Salad, Buffalo-Wings mit Blue-Cheese-Dip und Huhn mit süßen Waffeln. Alle zwei Wochen gastiert im Laden Ein an der Blumenthaler Straße im Agnesviertel ein neues Restaurant — das ist das Konzept des »stationären Pop-up-Restaurants«. Vor wenigen Tagen gab es hier noch Chili con carne von der Bambule-Crew aus Hamburg — jetzt eben Huhn. Vor dem Laden stehen junge Männer mit Bärten, karierten Hemden und Baseball-Caps. Sie halten Dosen mit Craftbeer aus der Vulkan-Eifel in der Hand und fachsimpeln über die Zubereitung von Hühnchen. Drinnen sitzen die Gäste dicht gedrängt an Biertischgarnituren, wischen sich mit Küchenpapier das Fett von den Fingern und stapeln die Knochen auf Plastiktabletts.

 

Der Unterschied zur Spitzengastronomie könnte krasser kaum sein. Und trotzdem ähneln sich das Laden Ein im Agnesviertel und die Sternerestaurants der Stadt mittlerweile in gewisser Hinsicht. Denn die Gastronomie in Köln hat sich verändert — und das liegt vor allem an den Gästen. Noch nie wurde so viel über Essen und Trinken geredet wie heute, viele Restaurants sind auch unter der Woche voll. Erstmals in seiner mehr als 30-jährigen Geschichte gab der Kölner Gastro-Guides tagnacht keine Reservierungsempfehlungen — weil man fast immer und überall reservieren muss. Erlebnis-Konzepte wie das Laden Ein gehören zur Speerspitze dieser Entwicklung, sie treiben den Umbruch der gastronomischen Landschaft voran. Die Devise lautet: schnell, oft und neu.

 

Essen gehen war früher zumeist einem Anlass geschuldet: Geburtstag, Hochzeit oder ein geschäftlicher Termin. Das Essen auf dem Tisch sollte anständig sein, in einem ausgewogenen Preis-Leistungs-Verhältnis stehen und nicht zu sehr vom Anlass ablenken. Das besondere kulinarische Erlebnis hingegen fand in der Spitzengastronomie statt. Dort gab es ein ganz besonderes Ambiente mit klaren Codes und Benimmregeln für einen kleinen Kreis von Menschen. Diese Konventionen zu lockern und überkommene Traditionen aufzugeben, kurzum: sich zu erneuern, fiel dieser althergebrachten Sterneküche lange schwer. Sie verlor das junge Publikum.

 

Heute ist der Generationenwechsel in den Spitzenküchen in Köln und Umgebung in vollem Gange. Eine Riege junger Köchinnen und Köche macht fast alles anders: die Auswahl ihrer Zutaten, die Präsentation ihrer Gerichte, das Ambiente ihrer Restaurants. Geblieben ist der handwerk-liche Perfektionismus, der Spitzenküche erst möglich macht. Doch sogar das Verständnis ihres Berufs hat diese Generation geändert, als Köchin oder Koch treten sie in Kontakt zu ihren Gästen. Durch Kölns Hochküche weht ein frischer Wind. Sterneküche bedeutet jetzt nicht mehr Hummer, Kaviar, Schampus — sondern »geile Küche«.

 

Um die Mittagszeit ist der Rheinauhafen vor allem von Büroangestellten bevölkert. Sie sitzen mit Sandwich oder Salat in der Sonne oder stehen bei den kargen gastronomischen Angeboten in der Schlange. Zwischen den drei imposanten Kranhäusern befindet sich eine Filiale der Bäckerei Mauel, weiter nördlich eine Filiale der System-gastronomie Vapiano.

 

Erst am späten Nachmittag öffnet Daniel Gottschlich seine beiden Gastronomien im mittleren Kranhaus: im Parterre die »Restobar« Bayleaf, in der ersten Etage sein Gourmet-Restaurant Ox & Klee. Im Bayleaf steht ein kupferfarbener Flamingo auf der Theke, das Gemälde an der Wand zeigt Alien-artige Kartenspieler und einen großen schlafenden Dalmatiner. Hinter der Theke der Neon-Schriftzug »Bayleaf«. Graugrüne oder anthrazitfarbene gepolsterte Drahtstühle. So richtet man heute Bars ein, wenn sie zeitgemäß wirken sollen. Allenfalls die Olivenölfläschchen auf einigen bereits eingedeckten Tischen -lassen vermuten, dass man hier aber auch essen kann. Gottschlich bietet hier »Foodpairing, die Verbindung von »Fine Dining« mit hochwertigen Cocktails, etwa Ochsenbäckchen und polnische Rübchen mit einem Asparagus Margarita aus Spargel-Tequila, Sauerampfer und Gurke. In Gottschlichs Sterne-Restaurant im Obergeschoss ist das Ambiente deutlich zurückgenommener: Möbel in skandinavischer Optik, aus hellem und dunklem Holz, Grautöne und Weiß, ein paar türkisfarbene Akzente.

 

»Wir haben das nicht unbedingt so geplant«, sagt Daniel Gottschlich. »Aber das Bayleaf hat schon eine gewisse Türöffner-Funktion und bringt den einen oder anderen Gast nach oben.« Für viele Menschen bedeute ein Michelin-Stern immer noch ein Stoppschild: »Die denken: Sterneküche? Das ist nichts für mich! Viel zu teuer, kleine Portionen, und man weiß nicht, welche Gabel man wofür benutzen soll.« In seinen beiden Lokalen will Gottschlich diese Klischees aufbrechen und bietet entspanntes, lockeres Flair, ohne ein konservatives Publikum zu verschrecken. »Wir haben nur in einem kleinen Teil des Restaurants Tischdecken«, sagt Gottschlich. »Die brauchen wir nicht unbedingt, weil wir kein Gourmet-Tempel sein wollen.« Trotzdem habe man Anspruch an Design und Möbel. »Auch der experimentierfreudige Gast will keine 08/15-Umgebung, denn die hat nun mal viel mit dem Gesamterlebnis zu tun.«

 

Gottschlich verließ vor knapp zwei Jahren sein winziges Souterrain-Lokal an der Richard-Wagner-Straße im Belgischen Viertel. Das Hipster-Veedel tauschte er gegen den immer noch als ein bisschen öde geltenden Rheinauhafen. Aber der leidenschaftliche Hobby-Schlagzeuger wollte dort kochen, weil ihn die Innenarchitektur und die Räume des mittleren Kranhauses überzeugt haben: »Da konnte ich meine Vision wiedererkennen und hatte ein Ziel vor Augen, wo es hingehen sollte. Ein modernes Ambiente, das aber nicht komplett an Gemütlichkeit spart, Sicht-beton, große Fenster und so weiter.«

 

Hier und da zeigen sich in Gottschlichs Räumen auch klassische Elemente, aber eben nicht so, wie man das aus konservativen Restaurants kennt. Etwa die Guéridons, die kleinen Beistelltische, auf denen Weinflaschen und Kühler abgestellt werden. Im Ox & Klee sind sie minimalistisch gestaltet: kein Louis XI., sondern MDF-Platten auf Stahlgestell. Das passt besser in ein Restaurant in einem ehemaligen Industriehafen. Der ästhetische Anspruch aber ist da.
Gottschlich sagt: »Unsere Möbel sind nicht die typischen Gastromöbel, nichts von der Stange. Die Gäste sollen im Idealfall sagen: Das gibt es nur im Ox & Klee.«

 

Wo früher der Gast mit luxuriösem Ornament umfangen wurde, wirken die Gasträume und Tische heute wie entrümpelt. Es ist eine Mischung aus modernem Stilempfinden, wonach weniger mehr ist, und Understatement. Aber was bedeutet die neue Haltung in der Inneneinrichtung für den Service in den Spitzenrestaurants?

 

»Bei uns wird beispielsweise das Besteck nicht mit Handschuhen nachgelegt«, sagt Gottschlich. »Natürlich wollen auch wir keine Fingerabdrücke, aber wo ist die Verhältnismäßigkeit?« Solche Details könnten zu einer großen Distanz zwischen Gast und Service führen, sagt Gottschlich. »Nach dem Motto: Der darf nicht anfassen, was ich anfasse. Aber wir wollen ja ein Erlebnis und keine Distanz schaffen.«

 

Auf gute Küche allein hat man sich auch früher nie verlassen. Gastronomie, jedenfalls die gehobene, war immer schon Erlebnis, sie war Kino — und sei es, dass konservative Gäste in den Restaurants von Grandhotels oder auf Schlössern sich und ihrer Begleitung vor allem ihres Status versicherten. Heute aber sehnen sich Gäste nach einem anderen Restaurant-Erlebnis. Wie in der modernen Unternehmenskultur gilt es als altmodisch, Hierarchien zu betonen. Köchinnen und Köche und ihre Kundschaft begegnen sich auf Augenhöhe. Die Gäste sind informierter, und die Köchinnen und Köche möchten ihre Gäste kennenlernen.

 

Kommunikation ist auch für Sterne-Koch Mirko Gaul wichtig. »Der Gast will heute Kontakt, zum Service, zum Koch. Die Gäste freuen sich, wenn ich abends rauskomme und mich erkundige, wie es schmeckt«, sagt er. »Wenn die Gäste wissen, wer kocht und man ihnen etwas zum Essen sagt, herrscht sofort eine andere Stimmung« Auch Gaul gehört zu jener Riege junger Küche, die gerade die Kölner Gastronomie umkrempelt. Er ist im Excelsior Hotel Ernst angestellt ist, dem traditionsreichsten und vornehmsten Grandhotel der Stadt, direkt am Dom. Im Untergeschoss serviert Gaul im Restaurant Taku eine kreative panasiatische Küche und bildet damit den kulinarischen Gegenpol zur klassisch ausgerichteten Hanse-Stube unter demselben Dach. Gerade aber hat Mirko Gaul noch einen Edel-Imbiss eröffnet, der Poké anbietet — zum Verzehr vor Ort oder als Takeaway. Das hawaiianische Streetfood ist gerade schwer in Mode. Doch Gaul hat sein Lokal Poké Makai nicht in Ehrenfeld oder an der Aachener Straße platziert, sondern eben direkt am Excelsior Hotel Ernst. Das zeigt, wie sich auch traditionsreiche Orte neuen Trends öffnen und dass ein Essen, das in Bowls serviert wird, höchsten Ansprüchen genügen kann.

 

 

 

Jakobsmuschel mit Hijiki-Algen, Wildkräutern, Shiitake, Roter Bete und anderem mehr in einem Schüsselchen zu servieren — das widerspricht allen Regeln, die ein Sternekoch früher zu befolgen hatte, wenn es darum ging, Gerichte akkurat anzurichten und zu präsentieren. »Die Küche ist nicht mehr so verkopft wie früher, wo alles mit der Pinzette angerichtet wird, dass es wie ein Gemälde aussieht«, sagt Gaul. Auch in seinem Restaurant Taku denkt man längst anders. »Heute gibt es eher das, was ein Kollege mal Streu-Deko genannt hat. Man ist auch bei der Präsentation lässiger und einfacher, und doch ist es appetitlich.« Auch von starren Menüs habe er sich verabschiedet. »Man ist heute flexibler«, sagt Gaul. »Viele der alten Regeln entsprechen auch nicht mehr dem Zeitgeist, etwa eine strikte Abfolge des Menüs mit vier, fünf Gängen und jeweils einer Viertelstunde Pause dazwischen.«

 

Das Restaurant passt sich den Bedürfnissen der Gäste an. »Mein Flaggschiff ist ganz klar das Taku. Durch das Poké Makai aber sprechen wir noch mal ein anderes Publikum an«, sagt Gaul. »Da sind auch viele, die sich mittags einfach ein gutes Essen abholen, die würden sich gar nicht die Zeit nehmen, ins Restaurant zu gehen.« Indem nun das Poké Makai den Mittagsservice übernimmt, hat Gaul auch mehr Zeit, sich auf das Abendgeschäft im Taku zu konzentrieren. Zwar kommt dort nicht Streetfood auf die Teller, aber es sei eine Inspiration, sagt Gaul. »Streetfood zeigt, dass die Gerichte auch reduzierter sein können. Weniger Wirrwarr, oft reichen drei, vier Zutaten.«

 

Sonja Baumann und Erik Scheffler sitzen in einem Ladenlokal an der Ehrenstraße. Um sie herum stapeln sich Kisten, auf dem Tisch liegen To-do-Listen. Die Fenster sind noch verhängt, an der Tür klebt ein einfacher Computerausdruck mit bunter Schrift: »NeoBiota«. Eine Woche später, Mitte Mai, haben die beiden Köche hier ihr erstes Restaurant eröffnet. Das wäre in der schnelllebigen Kölner Gastronomieszene bloß eine Randnotiz. Doch das Neobiota steht wie kaum eine Neueröffnung des Jahres für den Wandel in der Kölner Spitzengastronomie. Bis zum vergangenen Herbst arbeiteten Sonja Baumann und Erik Scheffler im Gut Lärchenhof in Pulheim, ein Restaurant auf einem opulenten Anwesen, bekannt vor allem als Golf-Ressort. Gut Lärchenhof ist ein traditionsreiches Haus mit dem, was man Prestige nennt. Fast zwei Jahre waren Baumann und Scheffler dort als Küchenchefs tätig, bekamen einen Michelin-Stern und gelten seitdem als Shootingstars der Szene. Im vergangenen Sommer verkündeten sie, sich mit einem eigenen Restaurant selbstständig machen zu wollen. »Wir wollen so kochen und arbeiten, wie wir das möchten. Hier können wir unsere Ideen umsetzen«, sagt Sonja -Baumann.

 

Wenn Baumann und Scheffler ihre Vorstellung von einem Restaurantbesuch beschreiben, fallen immer wieder dieselben Vokabeln: wohlfühlen, entspannen, genießen. Das Neobiota ist ein Gegenentwurf zu dem geworden, woher Baumann und Scheffler kommen. In der Kölner Innenstadt wollen sie nicht länger den typischen Gast der Sterneküche ansprechen, sondern eine junge, städtische Klientel. Natürlich gibt es am Abend klassische Menüs mit Getränkebegleitung, übrigens auch alkoholfrei. Das Besondere aber ist, dass sich zwei Sterne-Köche dem Frühstück widmen. Das gibt es im Neobiota bis in den Nachmittag. »Wenn mich jemand gefragt hat, wo es in Köln gutes Frühstück gebe, habe ich gesagt: Bleib zu Hause und mach dir das Frühstück selbst«, sagt Scheffler. »Frühstück ist kulinarisch die am meisten unterschätzte Mahlzeit.« Baumann und Scheffler sagen, dass ihre Idee bestens zur Großstadt passe: »Nicht jeder hat den Nine-to-five-Standardjob, vor allem nicht in einer Medien- und Messestadt wie Köln.«

 

Die klassische Sternegastronomie findet Scheffler »steif und spießig«. Menschen seien zwar bereit, Geld für gutes Essen zu bezahlen. »Aber sie wollen sich wohlfühlen, ohne sich zu fragen, ob sie richtig angezogen sind oder welchen Löffel sie benutzen müssen.« Im Neobiota muss sich solche Fragen niemand stellen. »Es soll sich anfühlen, als würdest du am Sonntag mit deinen Liebsten am Familientisch sitzen.« Sterneköche, die mit dem Slogan »Löffel rein, glücklich sein« antreten? Vor zwanzig Jahren wäre das undenkbar gewesen. Der Qualität der Küche täte ein ungezwungene Anmutung keinen Abbruch, sagt Scheffler: »Wenn wir es locker machen, machen wir es trotzdem hochprofessionell und sehr gut. Es soll kein Berliner Szene-Restaurant werden, wo der Zweck die Mittel heiligt.«

 

Der Arbeitsplatz von Julia Komp hat eine andere Anmutung als der Großstadt-Laufsteg der Ehrenstraße. Das Schloss Loersfeld liegt wenige Kilometer vor den Toren Kölns, in Kerpen. Vom Kreuz Kerpen biegt man auf die Landstraße und fährt danach knirschend im Schritt-tempo zwischen Hecken über das Gelände, durch das Tor der Vorburg bis zum Schloss. Auf der Treppe zum Haupteingang ist unter Sonnenschirmen für das Mittagsgeschäft eingedeckt. Eine Servicekraft begrüßt die Gäste im Foyer des Hauses, das mit seinem schwarz-weiß gekachelten Fußboden, antikem Mobiliar und Gemälden fast privat wirkt. »Unsere Küchenchefin Julia Komp und ihr junges Team verwöhnen Sie mit leichten orientalisch-asiatisch inspirierten Gerichten«, heißt es in der Selbstbeschreibung. Als jüngste Küchenchefin Deutschlands wurden die Leistungen der mittlerweile 29-Jährigen vor zwei Jahren mit einem Michelin-Stern geehrt.

 

»Heute Mittag gibt es Black Cod mit Papaya, Keniabohnen, Mandeln und Erdnüssen«, sagt Julia Komp, »im Hauptgang Couscous mit Rinderfilet und Fenchel. Im Dessert Bananen, Tabak und Schoko.« Das klingt nicht nach einem Menü, das man in diesem konservativen Ambiente mit apricotfarbenen Tischdecken und langen Kerzen auf dem Tisch erwarten würde.

 

Ihre Inspirationen holt sich Komp auf Reisen. »Ich muss überall hin«, sagt sie. »Wahrscheinlich fahre ich im Januar auf die Fidschi-Inseln und werde da auch ein paar Tage arbeiten. Ich brauche diese Eindrücke und wenn es nur ein aufregender Geschmack ist, den ich entdecke.« Raus in die Welt zu gehen ist neu in ihrem Beruf. Die Arbeit ihrer früheren Chefs beschreibt Julia Komp daher auch als eher konservativ. »Das waren ein klassischer Franzose und ein klassischer Österreicher.«

 

Nach ihrer Ausbildung im Restaurant »Zur Tant« in Porz-Langel und zwei weiteren Stationen stieg sie auf Schloss Loersfeld bis zur Küchenchefin auf. »Meine Ausbildung war streng, und ich hätte mich niemals getraut zu diskutieren.«, sagt Komp. »Ich hatte großen Respekt vor dem Laden, den Chefs und dem Restaurantleiter.« Heute würden sogar die Aushilfen diskutieren. Komp beschreibt damit eine weitere Veränderung des Miteinanders in der Küche. »Vor zehn Jahren noch musste man sich richtig anstrengen, um einen Ausbildungsplatz zu finden«, sagt sie. »Heute suchen die Betriebe nach geeigneten Auszubildenden.« Gut ausgebildete Köche und Servicekräfte sind allerorts begehrt.

 

Der Altersunterschied zwischen der Küchenchefin und ihrem Team ist gering. Die meisten Teammitglieder sind zwischen 21 und 23 Jahren, einer ist 28 Jahre alt. »Natürlich haben die Respekt vor mir, aber es ist nicht der gleiche Respekt, den ich vor jemandem habe, der seit 30 Jahren den Kochberuf macht.« Den Umgang miteinander beschreibt Julia Komp als freundschaftlich, man verbringe mitunter auch die knappe Freizeit miteinander.

 

Jan Cornelius Maier zieht es eher ins Kölner Umland als in die weite Welt. Vor nicht einmal fünf Jahren, in einer Zeit, als in der gastronomischen Szene Kölns wenig bewegte, eröffnete er mit seinem Kompagnon Tobias Becker in der Altstadt zwischen Philharmonie und Rheinufer das Maibeck. Seit Ende 2015 halten Maier und Becker einen Michelin-Stern — sie haben die Auszeichnung in einer Ecke des Gastraums unter der Decke befestigt. Maier grinst, wenn man den Platz entdeckt. Als Restaurant bezeichnen die beiden Küchenchefs ihr Maibeck auch nicht — sondern als »urbanes Bistro«. Das mindert das Renommee keineswegs, im Gegenteil: Die Nachfrage ist groß. Das schlichte Ecklokal an der Rheinpromenade in der unwirtlichen Kölner Altstadt, um die vor allem viele Kölner einen Bogen machen, ist stets gut besucht. Best-Ager im Anzug sitzen hier nach dem Philharmonie-Besuch ebenso wie Hipster. 

 

Maier und Becker sind in Köln aber nicht nur Wegbereiter einer modernen und niederschwelligen Spitzenküche geworden. Sie bringen auch gesellschaftliche und ernährungspolitische Trends wie Regionalität, Saisonalität und Nachhaltigkeit auf die Teller ihrer Sternegastronomie. Den Großteil ihrer Produkte beziehen Maier und Becker aus dem Kölner Umland. Sie stehen in regelmäßigem Kontakt zu den Erzeugern, kennen die Menschen, die ihre Tomaten anbauen oder ihre Forellen züchten. 

 

»Sterneküche steht nicht mehr für einen bestimmten Stil von Gastronomie — sondern für Qualität«, sagt Maier. Nicht nur die Etikette und der Dünkel beim Restaurantbesuch verschwinden, mit ihnen auch die Norm, mit den immer gleichen Produkten zu arbeiten. »In der Spitzengastronomie muss man nicht mehr zwangsläufig Hummer oder Gänsestopfleber auffahren.« Die Idee von Hochküche habe sich verändert, die symbolischen Gerichte der Sternegastronomie verlieren an Bedeutung. Diesen Trend haben Maier und Becker aufgenommen. »Wir haben uns selbst begrenzt, um ein höheres Niveau zu erreichen«, sagt Maier. »Ich brauche keine sechs Brotsorten. Ich brauche eine — aber die muss sehr gut sein.« In Köln war diese Definition von Hochküche vor einigen Jahren unbekannt. Neu war sie jedoch nicht. »Wir haben aufgegriffen, was wir aus anderen Ländern und Städten kannten«, sagt Maier.

 

Dass Produkte heute einen anderen Stellenwert besitzen als vor einigen Jahren, erkennt Maier etwa an der Kalkulation der Betriebe: Wo früher der Einkauf der Produkte den größten Posten ausgemacht habe, sei es heute das Personal. Ungewöhnlich findet Maier das nicht. »Das verhält sich in allen Branchen so, in denen Produkte veredelt werden.« Ein Glas Kaviar aufzuschrauben, sei noch keine Leistung. Kreativ mit Sellerie, Steckrüben oder Kartoffeln umzugehen allerdings schon.

 

Auch kulinarisch bietet Regionalität viele Vorteile. Ein Produkt aus der Region kommt frisch in der Küche an, weil es keinen langen Transport hinter sich hat. Es wird geerntet, wenn es reif ist, oder geschlachtet, wenn Bedarf besteht. Und nicht zuletzt ist es verhältnismäßig preiswert, vor allem wenn man es direkt beim Bauern bezieht. »Essen folgt einer Logik«, sagt Maier. »Und der Gast merkt es, wenn man sich als Koch auf diese Logik einlässt.« Zwar gebe es noch immer Gäste, die ein Sternerestaurant ohne Prestige-Produkte wie Champagner oder Hummer irritiere, aber sie würden weniger. »Es geht Hand in Hand: Die Küche öffnet sich dem Gast — und der Gast öffnet sich der Küche.«

 

Und tatsächlich: Auch die Gäste haben sich verändert. Ein Blick in die Benimmliteratur der noch jungen Bundesrepublik lässt den Paradigmenwechsel deutlich werden. Das Genre, das sich überwiegend an das einfache Bürgertum richtete, ging niemals davon aus, dass die Leserinnen und Leser womöglich aus eigenem Antrieb oder gar aus kulinarischem Interesse ein gehobenes Lokal betreten würden. Vielmehr ging es darum, bei einer Einladung durch Chefs, Geschäftspartner oder die Schwiegereltern nicht unangenehm aufzufallen. Ein gelungener Abend
war einer, der ohne größere peinliche Vorfälle absolviert wurde. Der Benimm-Klassiker »1x1 des guten Tons« von Gertrud Oheim aus dem Jahr 1955 widmet sich auch dem Thema »Gute Sitten im Lokal«. Ganze sieben Seiten geht es darin um das Betretens eines Restaurants, das Ablegen der Garderobe, das Platznehmen am Tisch, den korrekten Umgang mit Kellnern und das Aushändigen des Trinkgelds. Vom kommunikativen Charakter der gegenwärtigen Erlebnisgastronomie, Gesprächen über das Essen, dem Spaß am schönen Ambiente und der lustvollen Erweiterung des eigenen kulinarischen Horizonts ist nirgendwo die Rede.

 

Ein Besuch in der Spitzengastronomie blieb weit bis über das Wirtschaftswunder hinaus einer exklusiven, eingeweihten Gruppe vorbehalten. Dies verändert sich erst in der Gegenwart durch den Generationenwechsel, vor allem aber durch eine tiefgreifende Demokratisierung und damit einhergehende Kapitalisierung der Hochkultur. Der Abend im Sternerestaurant ist durch den Wegfall der strengen sozialen Codierung zugänglicher geworden. Jetzt entscheidet nur noch der Kontostand über einen Besuch.

 

»Schlemmschwelle« nennt Eric Werner, Jahrgang 1985 und einst Deutschlands jüngster Zwei-Sterne-Koch, die Angst einer breiten Bevölkerungsschicht vor Spitzengastronomie. Er selbst lernte das Phänomen zuletzt durch seine anderthalb Jahre im Himmel un Äd aus der Nähe kennen. An der Rezeption vorbei führte der Weg der Gäste in den versteckten Aufzug und dann in die elfte Etage des Hotels in dem ehemaligen Wasserturm im Cäcilienviertel — ein Elfenbeinturm par excellence. Das Lokal stellte Anfang Mai nach dem Verkauf des Hotels den Betrieb ein. Küchenchef Werner wird Köln erhalten bleiben. Es sei Zeit für ein eigenes Restaurant, sagt er. Die »Schlemmschwelle« wird er in Zukunft vermutlich niedriger ansetzen.