»Mit einem Lächeln auf dem Gesicht«

Ein Gespräch mit Regie-Ikone Agnès Varda über ihren Film »Augenblicke:

Gesichter einer Reise« und ihr schwieriges Verhältnis zu Jean-Luc Godard

Madame Varda, für Ihren neuen Film »Augenblicke: Gesichter eine Reise« sind Sie zusammen mit dem Künstler JR, der für seine überlebensgroßen Wandporträts bekannt ist, durch ganz Frankreich gefahren, um Menschen in Dörfern kennenzulernen und zu fotografieren. Woher nehmen Sie mit fast 90 Jahren diese Energie?

 

Die Begegnung mit JR war etwas ganz Besonderes, er ist ebenso an Menschen interessiert wie ich, das war ansteckend. Leider kann er heute nicht hier sein, weil er gerade ein neues Werk in San Francisco macht. Ich fühle mich gerade also nur halb. Aber wir haben nur eine Woche pro Monat gedreht, 18 Monate lang. Mehr schaffe auch ich nicht mehr.

 

 

Wie ist die Idee zum Film entstanden?

 


Wir wollten ganz normale, einfache Leute kennenlernen, Minenarbeiter, Bauern, Fabrikarbeiter und uns von ihnen ihre Geschichte erzählen lassen. Und sie fotografieren und ihnen mit JRs Wandbildern, die wir an Häusern, Schiffscontainern und Zügen anbrachten, ein Denkmal setzen. Die Ortschaften haben wir bewusst ausgesucht, aber vor Ort haben wir uns auf unserer Suche auf Zufall und unser Glück verlassen. Und haben dabei ganz wunderbare Menschen getroffen.

 

 

Sie waren mit einem kleinen Lastwagen unterwegs, in dem ein überdimensionaler Fotodrucker installiert war, der diese Porträts ausdruckt.

 


Unser magischer Truck, ich liebte ihn! Und die Leute liebten ihn. Durch die Bilder ist ein unglaubliches Gemeinschaftsgefühl in diesen Dörfern entstanden, das haben sie uns immer wieder gesagt. 

 

 

Welche Begegnung hat Sie am meisten beeindruckt?

 


Jeanine, die alleinstehende ältere Frau, die als Letzte in einer Straße lebt, in der früher Minenarbeiter untergebracht waren, bevor das Bergwerk geschlossen wurde. Sie war eine so warmherzige Frau und als JR ihr Porträt an der Fassade ihres Hauses angebracht hatte, war sie sehr gerührt. Das hat mich sehr gefreut. Wir haben auch viel gelernt bei unseren Begegnungen, wie sehr sich etwa die Landwirtschaft und damit das Leben als Bauer gewandelt hat. Das waren soziologische Studien, aber mit Freude und einem Lächeln auf dem Gesicht. Wir wollen, dass die Zuschauer diese Menschen lieben. Es hat auch immer wieder etwas Verspieltes, etwa wenn wir ein verwaistes Dorf mit Leuten aus den umliegenden Ortschaften wieder zum Leben erwecken und sie in Rollen schlüpfen. Es hat ihnen großen Spaß bereitet.

 

 

Sie drehen seit 1954 Filme, darunter auch immer wieder sehr persönliche Dokumentarfilme wie »Die Strände von Agnès«. Was weckt dabei ihr Interesse?

 


Ich liebe die Menschen und erfahre gerne etwas über ihr Leben. Jeder Mensch ist einzigartig und interessant. Es ist für mich ein großes Glück, daran teilhaben zu dürfen. Geld habe ich dabei nie verdient, deswegen war ich auch so überrascht, als sie mir im November den Ehren-Oscar fürs Lebenswerk gaben. Aber es ist eine schöne Anerkennung von Hollywoodleuten, die alle Millionen wert sind. Ich bin jetzt ein Star am Rand der Filmbranche.

 

 

Sind Sie ehrgeizig?

 


Ich arbeite so viel, wie es meine Kräfte zulassen. Und natürlich freue ich mich über Preise, wir waren ja auch mit dem Film für einen Oscar nominiert, aber mir war schon klar, dass wir nicht gewinnen werden. Und das ist auch in Ordnung. Ich bin mit meiner Außenseiterrolle ganz zufrieden. Und ich reise mit meinen Filmen. »Augenblicke« habe ich in Südkorea, China, Australien und vielen anderen Ländern gezeigt. Da kommen keine Massen, aber ich spüre immer wieder, dass meine Filme von Leuten geliebt werden. Kino verbindet Menschen, über Kulturgrenzen hinweg. Das ist doch großartig!

 

Sie haben die Nouvelle Vague mitgegründet und schrieben Kinogeschichte. Welcher Ihrer Filme liegt Ihnen am meisten am Herzen?

 


»Cléo — Mittwoch zwischen 5 und 7«, mein zweiter Spielfilm über eineinhalb Stunden aus dem Leben einer Frau, den ich 1961 gedreht habe. Den kennen heute Cineasten auf der ganzen Welt. Am meisten Spaß hat mir aber »101 Nacht — Die Träume des M. Cinema« von 1995 zu 100 Jahre Filmgeschichte gemacht. Ein schrecklicher Flop, aber ich konnte all die Großen des französischen Kinos vor die Kamera holen: Delon, Belmondo, Piccoli, Deneuve. Und jetzt mit JR war es auch ein großes Vergnügen, weil wir trotz eines Altersunterschieds von 55 Jahren doch ganz ähnlich ticken mit unserer Empathie.

 

 

In einer Szene versuchen Sie, Ihren alten Kollegen Jean-Luc Godard zu besuchen…

 

und Überraschung: er öffnet natürlich nicht die Tür. Ich war verletzt. Aber dann erinnerte ich mich wieder daran, wie mein Mann Jacques Demy und ich mit Godard und Anna Karina befreundet waren, eine wunderbare Zeit. Ich erinnere mich lieber daran als wie eine Blöde zu heulen. Und er ist halt Godard, ein Erfinder, der alleine arbeitet und experimentiert. Und das ist sein gutes Recht. Sein 3D-Film war wunderschön, auch wenn wir ihn nicht verstanden haben. Er hat meinen Respekt, aber er ist kein einfacher Mann.

 

 

Wird er sich Ihren Film ansehen? I

 

ch habe ihm die DVD geschickt. Bis heute keine Reaktion. Wir haben uns seitdem nicht mehr wiedergesehen.

 

 

Gibt es ein neues Projekt?

 

Ich werde immer wieder zu Vorträgen eingeladen, um über mein Leben und meine Filme zu reden. Und das filmen wir jetzt. Es geht um die drei großen Schlüsselbegriffe, die meine Arbeit ausmachen: Inspiration, warum drehe ich einen bestimmten Film? Kreation, die Struktur und die Art und Weise, wie er entsteht. Und Teilen, der Austausch. Ich habe nie geplant, ich warte immer, bis mich ein Thema anspringt. Also mal sehen, was aus diesen Aufnahmen entsteht.