Virtuelle Realität im Kinosaal

In den Lichtspielen Kalk wird ab Juni der gegenwärtige Stand der

Virtual-Reality-Technologie erlebbar

Es ist inzwischen fast ein wenig in Vergessenheit geraten, dass das Thema Virtual Reality (VR) bereits zu Beginn der 90er Jahre schon einmal schwer im Kommen war. So richtig ausgereift war das Ganze damals jedoch noch nicht und so existierte die Technologie gute 20 Jahre lang in einer Art kulturellem Limbo. Seit ein paar Jahren geht die Entwicklung jedoch wieder mit Macht voran und auch im Kino vermittelte gerade erst Steven Spielberg mit »Ready Player One« einen Eindruck davon, wohin die Reise in virtuelle Welten gehen kann. 

 

Zurzeit geht es vor allem darum, wie die Technologie einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden kann — die Kölner Firma evrbit GmbH setzt dabei auf den Kinosaal. Ab Juni bietet sie daher einmal im Monat in Zusammenarbeit mit den Lichtspielen Kalk eine Vorstellung VR-Kino an, um den Zuschauern Gelegenheit zu geben, sich mit der neuen Technologie vertraut zu machen. 

 

Evrbit arbeitet bereits seit einigen Jahren mit VR- und Augmented Reality (AR)-Technologien, bislang hauptsächlich für Events und zu Marketing-Zwecken. »Wir möchten uns jedoch in Richtung Entertainment bewegen und halten dafür das Kino, das seit 120 Jahren technische Innovationen befördert, für den richtigen Ort«, sagt Silke Kachtik, Pressesprecherin von evrbit. Das Novum an der Technologie, die evrbit im Kinosaal zum Einsatz bringen will, ist, dass sie ohne Kopfhörer auskommt: Der Sound kommt von der Anlage des Kino-Saals, so dass der Zuschauer in seiner Wahrnehmung nicht hermetisch abgeriegelt ist, sondern auch die übrigen Zuschauer wahrnehmen kann. »Auf die Weise ist es möglich, dass die Zuschauer diese immersive Erfahrung gemeinsam machen können und nicht in ihrer eigenen Blase gefangen sind«, so Kachtik.

 

Vorab hatte evrbit zu Demonstrationszwecken bereits eine Vorstellung organisiert, bei der sie einen Querschnitt durch die — noch sehr kurze — Geschichte des VR-Kinos präsentierte, darunter Animation, Musikvideos und Werbefilme. In »Invasion!« von 2015 etwa versuchten sich bereits die Baobab Studios an dem jungen Medium, ein Zusammenschluss ehemaliger Animatoren von Industrial, Light and Magic (»Star Wars«) mit Eric Darnell, dem Regisseur der »Madagascar«-Filme. So ist der kurze slapsticklastige Clip auch gut geeignet, Kinder mit der Technologie vertraut zu machen — anders als etwa »Was wollten Sie in Berlin?«, einem Kammerspiel, das den Zuschauer in die Rolle eines Gefangenen der Stasi versetzt. Die dargestellten Szenen beruhen auf tatsächlichen Vernehmungsprotokollen und wurden 2017 mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet. Nicht zu unrecht, denn sie verfehlen ihre beklemmende Wirkung nicht. Besonders gelungen ist jedoch der kurze Animationsfilm »Gauguin — Entdeckungsreise zum eigenen Ich« von ARTE, der den Zuschauer in die Gemälde Paul Gauguins eintauchen und darin umherwandern lässt. In den leuchtenden Farben der virtuellen Kulissen lässt sich das Potenzial erahnen, das in dem Medium schlummert. 

 

Auch Kinderkrankheiten werden deutlich, denn der auf eine frontale Präsentation ausgerichtete Kinosaal setzt seine eigene Grenzen: sich umzudrehen, um den vollen Rundumblick zu haben, ist in einem Kinosessel recht mühsam. Einige der vorgeführten Produktionen scheinen dem Rechnung zu tragen, indem sich der Löwenanteil des Geschehens noch immer vor dem Zuschauer abspielt — Axel Steinkuhle, CEO von evrbit, bestätigt das. »Im Moment ist es so, dass viele Produktionen auf 270° Rundumblick setzten, anstatt die vollen 360° auszunutzen«, sagt er. Es werde jedoch auch an Präsenta-tionsformen gearbeitet, bei denen etwa die Sitze frei drehbar seien, um den Zuschauern mehr Be-wegungsfreiheit zu verleihen. Die Entwicklung in diesem Bereich sei sehr dynamisch — ebenso wie bei den VR-Brillen, die in Zukunft immer leichter werden würden, wie er verspricht. 

 

Es zeigt sich auch, dass es für Kreative, die in dem neuen Medium arbeiten wollen, sehr wichtig sein wird, Methoden zu finden, den Blick des Zuschauers zu führen. Das gelingt etwa beim Werbefilm »Ein bißchen Heimweh« der Ammergauer Alpen GmbH bereits recht gut, der eine Erzählerfigur auftauchen lässt. Beim Musikvideo »Heal Tommorrow« der Popband Naive New Beaters hingegen ist so viel um einen herum los, dass man nicht weiß, wohin man zuerst sehen soll und das Gefühl bekommt, die Hälfte zu verpassen, was für Frust sorgt. Bei der Lösung dieses Problems wird auch dem Sound eine zentrale Rolle zukommen, wie Kachtik ausführt: »Wenn in einem Saal mit Surround-Sound ein Geräusch von hinten zu hören ist, kann sich der Zuschauer dem aktiv zuwenden.«

 

 »Ready Player One« hält Steinkuhle übrigens für eine durchaus vorstellbare Zukunftsvision — auch wenn er diese für wenig erstrebenswert hält: »Wir möchten immer die Realität im Blick behalten und diese nicht mit etwas Künstlichem ablösen. Uns geht es darum, diese Entwicklung aktiv mitzugestalten.« Wer nun neugierig auf den (möglichen) nächsten Quantensprung der bewegten Bilder ist, kann ab diesem Monat an jedem ersten Mittwoch im Monat um 19 Uhr in den Lichtspielen Kalk einen Blick riskieren.