Nichts machen ist wie tanzen

Stephanie Thiersch choreografiert »Bruixa« für ihre langjährige Tänzerin Viviana Escalé

Der Titel nennt die Tänzerin Hexe: »Bruixa«. Weil Viviana Escalé Katalanin ist, aber vor allem weil sie magische Kräfte hat — da vorn auf der Bühne, die diesmal ein einfacher Platz im Theater in der Orangerie ist, den die Zuschauer sitzend um-runden. Oder weil eine gute und charaktervolle Tänzerin, wie sie eine ist, eben solche Power hat: auf dem Zaun, dem »Hag«, zu sitzen, auf einer Grenze, zwischen den Welten zu balancieren.

 

Wenn sich Viviana Escalé nun von Szene zu Szene verwandelt, maskiert, entblättert, in Kleidern verschwindet, sich oder sie verformt mit ihren langen Körpergliedern oder mit hineingestopften Woll- und Watteklumpen, und wenn sie spricht, singt oder verstummt oder tanzt, bleibt sie doch immer merklich dieselbe. Insofern stellt das Stück auf scheinbar spielerische, fast naive, zuweilen auch etwas nervige Weise die wichtige Frage nach den Rollen, die Tänzerinnen auf Bühnen spielen, und auch de-nen, die wir Zuschauerinnen von ihnen erwarten. Zugleich franst sie das Thema auf die Privatperson, die Frau, die Mutter oder Tante mit einem Beruf aus. 

 

Eine der Lebensverwandlungen erwähnt die Tänzerin, nachdem sie zum ersten Mal in »Bruixa« ihr Gesicht zeigt: Es sei ihr letztes Stück, danach verlasse sie die Bühnenprofession endgültig. Sie hat ja längst neue Arbeit in Wien. Sie kokettiert mit ihrem Alter, 43, und dem An-spruch, »noch fit zu sein«. Das ist platt, aber gehört zum Ehrlichkeitsprogramm der »Hexe«.

 

Zu Beginn zeigt sie sich, wie in Referenz auf das Thiersch-Duett »Nature Morte« am selben Ort, als augenloses, riesenköpfiges Wesen am Boden, das sich tumb und langsam in die Senkrechte ruckt und faltet, während eine verdächtig idyllische Musik erklingt. Sie überschreitet ihre Performerinnen-Einsamkeit und bittet Zuschauer, ihr Dinge unter den Stühlen hervorzuholen; später leistet ihr ein Mädchen namens Malu Gesellschaft, beim »Nichtstun«, beim Sprechen übers Nichtstun und beim Darstellen der Nixe mit Perücken und simplen Choreographie mit Wellenarmen. Was ist Kunst, was nicht?

 

Der schönste und eigenartigste Moment ist die Stille, in die Viviana Escalé fällt, als sie mit offenen Augen am Boden hockt. Sie scheint in sich selbst zu verschwinden, ins Leere zu träumen, zu vergessen: die Zeit, die Bühne, ihre Rollen. All die anderen Aktivitäten, gerade auch die freund-lich initiierten Publikumsbeteiligun-gen, gehören zum heutigen Tanzperformance-Repertoire. Dass es sich gut anschauen lässt, ist der Tän-zerin und ihrem nie ganz vergessenen eleganten Balletthintergrund zu verdanken. Und ihrem Humor.

 

 

»Bruixa«, C: Stephanie Thiersch, 7.–9.6., Tanzhaus NRW in Düsseldorf, 20 Uhr 30., 31.10., Orangerie, 20 Uhr