Zerbrechliches durch den Raum navigieren

Ana Jotta zeigt in Köln ihre erste deutsche Einzelausstellung

Sie glaube weder an Poesie noch an Liebe, erklärt die Portugiesin Ana Jotta (*1946) in einem Videostatement, sondern an gut gemachte Arbeit. Davon gibt sie in ihrer Ausstellung »DAS — IST — DAS ?« in der Temporary Gallery eine ganze Reihe von Beispielen. Das spektakulärste ist wohl eine fast vierzig Meter lange Bahn aus blauem Baum-wollstoff, die sich von der Decke hängend wie ein Labyrinth durch den Ausstellungsraum zieht. Mit Bleiche in den Stoff gezeichnet sind die Figuren eines Glasers, der eine Glasscheibe unter dem Arm trägt: eine Kindheitserinnerung der 1946 in Lissabon geborenen Künstlerin.

 

Der Stoff verweist auf den Blaumann als Arbeitskleidung von Handwerkern, die Reihung der Figuren lässt an einen historischen Filmstreifen denken, vielleicht an eine Slapstick-Szene mit Buster Keaton. Als Kind bewunderte Jotta die Glaser dafür, wie sie mit ihrer zerbrechlichen und gefährlichen Ware durch den öffentlichen Raum navigierten — eine Fähigkeit, die der von Künstlerinnen und Künstlern in mancher Hinsicht ähnelt.

 

Ana Jotta schätzt nicht nur den gekonnten Umgang mit Materialien, sondern pflegt auch ein aufgeklärtes Verständnis ihrer Autorschaft: An die Stelle einer persönlichen Signatur setzt sie den Buchstaben J — ein Spiel mit der portugiesischen Aussprache »Jota« und dem Copyright-Zeichen. Drei Objekte in J-Form — eine Pflanzenschote, einen Schirmgriff, eine Bürste — arrangiert sie zu einem dreifachen Selbstporträt, »Colecção des Jotas«. Mit Leichtigkeit webt sie ein Netz aus Bezügen zur Avantgarden des 20. Jahrhunderts, etwa wenn sie die Video-Serie ihrer Ausstellungseinführungen »Cadavre Exquis« nennt, nach den zusammengesetzten kollektiven Zeichnungen des Surrealismus.

 

Es ist erstaunlich, dass Jottas ästhetisch und gedanklich raffiniertes Werk immer noch eine Entdeckung ist. Erst 2017 wurde sie mit dem renommierten Rosa-Schapire-Preis der Hamburger Kunsthalle ausgezeichnet, als eine »Künstlerpersönlichkeit der Gegenwart, deren Werk geeignet ist, traditionsreiche Museen zu bereichern«. Umso bemerkenswerter, dass sie ihre erste Einzelausstellung in Deutschland nicht in einem Museum, sondern in einer kleineren Institution zeigt — und diese Geste mit einer Aufforderung -verknüpft: »Make the Temporary Gallery permanent« steht auf Jottas Entwurf für eine Stofftasche, die noch realisiert werden soll.

 

 

 

Temporary Gallery, Mauritiuswall 35, Do–Fr 11–18, Sa/So 13–17 Uhr, bis 29.7.Veranstaltungen: »Ana Jotta: Cadavre Exquis«, Film-Screening, Do 21.6., 19 Uhr.