Der flirrende Teppich

Die amerikanische Klangkünstlerin Lea Bertucci macht abstrakte

Musik ganz konkret — dieses Jahr besorgt sie die Brückenmusik

Avantgardemusik gibt sich gern die Aura des Geheimbundes, der nur Eingeweihten Einlass gewährt, meist ist sie hermetisch und elitär. Für die New Yorker Sound-Art-Künstlerin, Musikerin und Komponistin Lea Bertucci, deren Werk dieses Jahr im Mittelpunkt des Brückenmusik-Festivals steht, ist das keine Option. »Avantgarde wird schnell esoterisch«, sagt Bertucci im Interview. Sie wolle die Leute intellektuell verblüffen und emotional berühren. Direkt und unmittelbar.

 

Bertucci betont ihren prekären Hintergrund und nennt sich mit Marx selbstkritisch und durchaus selbstironisch petit bourgeois. Dass sie dem Anspruch einer nicht-elitären Avantgardemusik genügt, legen die im Netz verfügbaren Aufnahmen ihrer Arbeiten der letzten Jahre nahe. Egal ob ihre Soloarbeiten mit Altsaxofon und Bassklarinette oder ihre Kompositionen für Vokalensembles oder präparierte Instrumente — ihre Arbeiten haben eine Qualität, die sich dem Zuhörer spontan erschließt, ohne dabei populistisch zu sein.

Schicht um Schicht legen sich die pulsierenden Schleifen ihres Saxofonspiels in »Patterns for Alto«, dem ersten Stück ihrer aktuellen Veröffentlichung »Metal Aether« (NNA Tapes), übereinander. Die Töne verweben sich zu einem flirrenden Minimal-Music-Teppich, der nach und nach den Raum auskleidet. Man assoziiert Bienenschwärme und die stochastische Musik von Iannis Xenakis. Auf dem Höhepunkt stirbt die Musik aber plötzlich ab. Im anschließenden »Accumulations« malt ein verlorenes Altsaxofon eine melancholische Figur in ein leise zitterndes Feedbackrauschen. In immer breiteren Strichen durchzieht der klagende Ton des geloopten Saxofons eine Klanglandschaft, die sukzessive von Feldaufnahmen und dem verstärkten Saxofonspiels Bertuccis erweitert wird, das entfernt an Ornette Colemans Sufi-Spiel der »Dancing in your head«-Ära erinnert. In dem programmatisch betitelten Stück »Sustain and Dissolve« paart Bertucci ihr Saxofon — aufgefächerte, stehende Töne unterschiedlicher und gleitender Tonhöhen — mit Noise-Texturen, die die große Patin der Geräuschmusik, Eliane Radigue, nicht besser hätte produzieren können.

 

»Metal Aether« nahm Bertucci in einem ehemaligen Militärstützpunkt in Le Havre und einem New Yorker Projektraum auf. Sie erklärt: »Wie bei jeder ortsspezifischen Arbeit, die ich mache, bin ich daran interessiert, die Klangqualitäten des Raums die Regeln der Musik bestimmen zu lassen. Zu diesen Aspekten gehören Elemente wie Abklingzeit, Reflexion, Umgebungsgeräusche.« Sie arbeitet mit den Einschränkungen, die sich im und durch den Raum ergeben, und verwandelt sie von etwas »was gegen mich arbeitet, in etwas, was mir hilft«. Sie formuliert damit eine künstlerische Praxis, die Einschränkungen produktiv wendet und als fruchtbare Voraussetzung des kreativen Akts begreift.

 

Diese Praxis nimmt die Genese künstlerischer Innovation ernst, die aus einer Not eine Tugend macht. Fehler, Unfälle, Zufälle stehen auch oft am Beginn einer neuartigen Umgangsweise mit Instrumenten. Für Bertucci war dies konkret der Umgang mit ihrem Saxofon, das Jahre im Schrank gelegen hatte. Es war schlicht kaputt. Durch diese Erfahrung — sie spielte es dennoch und ließ sich von den vermeintlich falschen Tönen nicht entmutigen — eröffneten sich ihr neue Spielweisen und ein neues Verständnis ihres Instrumentes. Über ihre klassische Ausbildung sagt sie, dass sie diese zunächst hätte verlernen müssen. Erst als sie nicht mehr darauf geachtet hätte, wie man »richtig« spielt, wäre sie einer ihr eigenen Spielart näher gekommen.

 

Im Gespräch betont sie ihre anti-institutionelle Haltung und dass sie sich dem Noise-Underground näher als der Neuen Musik fühlt; wobei sie nicht müde wird zu betonen, dass sie eigentlich zu keiner Szene und keinem Genre exklusiv gehöre. Dazu passt, dass sie gar nicht Musik, sondern Fotografie und Film studiert hat, und zwar bei einem der wichtigsten Gegenwartsfotografen, Stephen Shore. Bertucci erzählt, dass ihre »Faszination für Akustik, Wahrnehmungssound und tektonische Struktur durch das Studium und Arbeiten in Film und Fotografie« entstanden sei. Ihre außergewöhnliche künstlerische Position und Praxis mag zwar auch dem ökonomischen Druck des Kunst- und Musikmarktes geschuldet sein, aber Bertucci meint es ernst: »Ich möchte, dass Noise die neue klassische Musik wird«.

 

 

Brückenmusik 24:
Lea Bertucci — Acoustic Shadows

 

Bertucci arbeitet meist raumspezifisch, im April war sie bereits in Köln auf einer ersten Ortsbegehung. Im Hohlkörper der Deutzer Brücke fiel ihr dabei ein akustisches Phänomen auf, das Grundlage ihrer »Acoustic shadow« betitelten Brückenmusik sein wird. Ein »Acoustic shadow«, Schallschatten, tritt dann auf, wenn sich auf dem direkten Schallweg zwischen Hörer und Schallquelle ein Hindernis befindet. Ein weiterer Aspekt, den sie in ihre Arbeit einbinden wird, sind die über die Brücke lautstark ratternden Straßenbahnen. »Acoustic shadow« wird aus drei Teilen bestehen und versteht sich als Work-in-progress — die einzelnen Teile und Konzerte bauen aufeinander auf und erweitern sich zu einem Crescendo. Im ersten Teil wird Bertucci solo (Altsaxofon) zu hören sein (1.7.), im zweiten Teil ein Brassensemble (4.7.), im dritten Teil tritt eine Percussiongruppe auf (7.7).

 

StadtRevue präsentiert

 

1.–8.7., Deutzer Brücke (Eingang
Markmannsgasse), tägl. 15–20 Uhr

 

So 1.7., 17–20 Uhr, Acoustic Shadows 1:
Solo Alto Saxophone

 

Mi 4.7., 20–22 Uhr, Acoustic Shadows 2: Brass (mit Matthias Muche, Philipp Schittek, Chris-tian Altenfürst, Marie Tjong-Ayong, Björn Federspiel u.a.) 

 

Sa 7.7., 17–20 Uhr, Acoustic Shadows 3: Percussions (mit Rie Watanabe, Tim Gorinski, Sebastian von der Heide, sowie einer zehnköpfigen Gruppe mit Handglocken, Schellen und Klang-schalen geführt von Lea Bertucci)