»Ich muss die Filme machen, die ich machen muss«

Mit ihrer Firma Made in Germany produziert die Kölnerin

Melanie Andernach Filme, die neue Perspektiven eröffnen

Anfang Juni im Alten Pfandhaus in der Kölner Südstadt, auf Einladung der Film- und Medienstiftung NRW diskutieren Dokumentarfilmschaffende über den Stand der Dinge in ihrer Branche. Draußen strahlt die Sonne — wie so oft in den letzten Wochen. Das drückt die Stimmung. Nicht, weil es stickig ist in dem gut gefüllten Raum, sondern weil bei dem Kaiserwetter kein Mensch ins Kino gehen will. Die Besucherzahlen der letzten Wochen waren miserabel, besonders auch für Dokumentarfilme.

 

Auf dem Podium sitzt Melanie Andernach, zusammen mit Knut Losen Gründerin und Geschäftsführerin der Kölner Produktionsfirma Made in Germany. Auch sie gehört zu den Leidtragenden: Ihre Anfang Mai gestartete Koproduktion »Meister der Träume« hat gerade einmal tausend Zuschauer in Deutschland erreicht. Dabei lief der Film über den Afghanen Salim Shaheen, der in seinem Heimatland mit viel Mut, Enthusiasmus und Improvisationstalent über hundert Filme gedreht hat, zuvor sehr erfolgreich auf internationalen Festivals. In Cannes, wo er Weltpremiere feierte, erhielt er minutenlangen, frenetischen Beifall. Was nicht überrascht: »Meister der Träume« ist so mitreißend wie seine larger-than-life-Hauptfigur und trotz seines kriegsgeschüttelten Handlungsorts erstaunlich komisch. Ein Publikumsfilm also, aber einer ohne Publikum.

 

Natürlich hätte sie gerne einen Erfolg an den Kinokassen gehabt, sagt Andernach auf dem Podium, aber: »Man muss die Filme machen, die man machen muss«. Die Zahl der Zuschauer sage auch nichts darüber aus, ob ein Film eine Wirkung bei den Menschen hinterlasse, betont sie. Sie habe viele Rückmeldungen bekommen von Zuschauern, denen »Meister der Träume« eine neue Perspektive auf Afghanistan eröffnet habe.

 

Sie klingt eher wie eine Regisseurin oder Drehbuchautorin und weniger wie eine Produzentin, deren Hauptaufgabe es doch sein sollte, vor allem das Geld im Blick zu haben. Oder ist das eine Klischeevorstellung? »Ich glaube, dass das heute nicht mehr unbedingt so gilt. Das Produzentenbild hat sich verändert«, sagt Andernach. Am Tag nach der Veranstaltung sitzt sie in ihrem Dachgeschossbüro im Kwartier Latäng, auf das die Sonne weiter brennt. »Ich begreife den Produzentenberuf als etwas Kreatives. Das bedeutet, dass man im Rahmen der Entwicklung schon ziemlich stark involviert ist und letztlich wie ein Dramaturg an einem Film mitarbeitet. Immer natürlich mit dem Autor und dem Regisseur in der Absicht, deren Vision umzusetzen«.

 

Andernach gehört zum ersten Jahrgang des Studiengangs »Kreatives Produzieren« an der ifs, der Internationalen Filmschule Köln, zuvor hat sie in München Jura studiert und mit einer Doktorarbeit über Urheberrecht abgeschlossen. Wie kommt man von da aus zum Film? »Schon beim ersten Staatsexamen war mir klar, dass ich mein Leben nicht als Juristin verbringen will. Während der Doktorarbeit habe ich angefangen am Set Praktika zu machen in verschiedenen Positionen. Aber die Ausbildung als Juristin war nicht umsonst, da habe ich abstraktes Denken gelernt, was für einen Produzenten sehr wichtig ist«.

 

Andernach kommt aus einem kreativen Haushalt, ihre Mutter ist bildende Künstlerin, doch gerade deshalb sahen ihre Eltern ihren Weg erst skeptisch: »Sie haben gehofft, dass ich Juristin werde«, Andernach lacht. »Wenn man Künstler ist und sieht, wie schwer das ist, und wie verletzlich man ist, weil man so sehr vom Urteil anderer abhängt, dann will man wahrscheinlich, dass die Kinder was Sicheres haben.« Zum Abschluss ihres Studiums an der ifs sei ihr Vater zu ihr gekommen, und habe gesagt, er sei stolz auf sie, aber sie solle bloß nicht Regisseurin werden. »Da wusste ich noch nicht, dass ich das auch machen würde.«

 

Mit »Global Family«, der seine Kölner Premiere im Juli bei den Kino Nächten feiert, hat sie den Schritt zur Regie eines Langfilms gewagt. Zusammen mit Andreas Köhler, der ihrer Firma Made in Germany schon etliche Jahre als Kameramann verbunden ist, hat sie einen Dokumentarfilm über eine somalische Familie gedreht, die der Krieg in ihrem Heimatland über die ganze Welt verstreut hat. Der Film gewann im Januar in Saarbrücken den Max-Ophüls-Preis für den besten Dokumentarfilm — und was eigentlich als TV-Produktion geplant war, bekommt jetzt einen kleinen Kinostart. 

 

So wie »Meister der Träume« die eingefahrene Sicht auf Afghanistan erweitert, zeigt »Global Family« einen anderen Blick auf Geflüchtete. Andernach und Köhler setzen dem Narrativ vom »Wirtschaftsflüchtling« eine Geschichte entgegen, in der eine Familie durch ihr Exil ihren privilegierten Status verliert. Es ist die Familie von »Captain Shaash«, in Somalia war er als Kapitän der Fußballnationalmannschaft ein berühmter und angesehener Mann. »Und dann kommt er nach Deutschland und hier ist er ein Flüchtling, ein Nichts«, erklärt Andernach. »Ich glaube, man kann sich leichter identifizieren, wenn man jemanden sieht, der aus einem Leben kommt, das unserem sehr ähnelte, dem dann aber der Boden unter den Füßen weggerissen wurde.« 

 

Während Fußball-WM und Sommerwetter wird dieses Identifikationspotential vielleicht nicht reichen, die Menschen zu Tausenden ins Kino zu locken, aber Melanie Andernach hat wieder einen Film gemacht, der gemacht werden musste.