Spiegelei auf fliegendem Teppich

Erotomanisch, anarchisch, psychedelisch — der Kölner Verleih

Rapid Eye Movies bringt die japanische Animerama-Trilogie wieder in die Kinos

»15 Jahre später«, verkündet eine Texteinblendung in der Mitte von »A Thousand & One Nights«. Anschließend ist ein männliches Alien zu sehen, das auf einem fliegenden Teppich sitzt und ein Spiegelei brät. Das Alien war zuvor in der Geschichte noch gar nicht aufgetaucht. Verschwunden ist dafür vorläufig die Hauptfigur: Aladdin, ein Rumtreiber, der von einem Sex-Abenteuer zum nächsten stolperte.

 

»A Thousand & One Nights« war 1969 der erste Teil der »Animerama«-Trilogie, die von Tezuka Osamu erdacht und weitgehend von Yamamoto Eiichi inszeniert wurde. Ziel war, Zeichentrickfilme für Erwachsene zu produzieren, mit Erotik und wagemutiger Ästhetik.

 

Gleich dieser erste Film ist ein Volltreffer. Nicht zuletzt, weil er noch viel von dem enthält, wovon er sich absetzen will: Die Zeichnung insbesondere der Figuren gleicht den naiven Comicfiguren, die in den 60er Jahren Leinwände und Bildschirme bevölkerten. Grafisch nicht mehr ganz so simpel wie Osamus erfolgreicher Astro Boy, aber noch derselben minimalistischen Tradition verpflichtet. Diese Figuren werden jetzt einerseits mit psychosexuellen Abgründen konfrontiert, die ihren Vorgängern erspart geblieben waren, andererseits kultivieren die Filme aber stilistisch eine vorher im Genre weitgehend unbekannte Freiheit. Immer wieder brechen statische Comicpanel in die bewegte Animation ein, gelegentlich degenerieren die Figuren zu Strichmännchen, und in den Sex-Szenen schwingt sich Yamamoto zu psychedelischen Höhen auf und gibt eine Vorahnung auf »Belladonna of Sadness« (1973). Dieses erotomanische Meisterwerk Yamamotos mit dem phänomenalen drogenverhangenen Space-Rock-Soundtrack von Tomita Isao hatte der Kölner Verleih Rapid Eye Movies schon 2016 wieder in die Kinos gebracht.  

 

»Cleopatra«, der zweite Film der Trilogie, handelt von der zukünftige Pharaonin, die mit ihrem fülligen Gesicht und den großen Sommersprossen nicht gerade dem herrschenden Schönheitsideal entspricht. Damit sie Caesar verführen und schließlich töten kann, um Ägypten von den Römern  zu befreien, muss sie zunächst einen schamanischen Beauty-Doc aufsuchen. Der knetet sie in einem abenteuerlichen Ritual solange durch, bis sie wie eine Pin-up-Version ihrer selbst aussieht. 

 

Frauen genießen in »Cleopatra« vor allem dann Ansehen, wenn sie attraktiv erscheinen. Das macht sie zu Objekten ungestümer männlicher Lust, was der Film immer wieder in Slapstick-Miniaturen verpackt: Männer sind sexuell stets unterversorgt und verwandeln sich beim Aufblitzen einer Brust in würdelose Lustmolche. Den Frauen wiederum verleiht diese Schwäche ungemeine Macht zur Manipulation. Cleopatra allerdings verliert die Kontrolle über diese Macht, weil sie dem Charme von Kraftprotz Caesar doch noch erliegt.

 

Die Verwandlung der Pharaonin durch die Hände des Magiers zeigt nicht nur, dass erst die Künstlichkeit, also das Trugbild, Cleopatra anziehend macht, sondern auch, dass Geschichte ebenso konstruiert ist wie Schönheit. Yamamoto und Tezuka eignen sich die historische Episode mit einem Film an, der ganz Ausdruck seiner Zeit ist: von der psychedelischen Ästhetik über die neue Freizügigkeit bis zu der zumindest auch antiimperialistisch zu verstehenden Erzählung über den Widerstand ägyptischer »Guerillas«.

 

Im Film wimmelt es vor Respektlosigkeiten, die auf der Konfrontation von Gegensätzen basieren. Der erste Clash erfolgt schon in der Rahmenhandlung, in der eine Forschergruppe aus der Zukunft ins alte Ägypten reist. Kaum sind sie in angekommen, taucht für kurze Pointen vieles auf, was dort eigentlich nicht hingehört — vor allem Figuren wie die Peanuts, Frankensteins Monster oder Tezukas populärste Schöpfung: der Android Astro Boy. 

 

Das bestimmende Element der Inszenierung ist ihre Vielgestaltigkeit. Wild zitieren die Regisseure Kunst- und Kulturgeschichte, lassen Edgar Degas’ Ballerinas oder Eugène Delacroix’ barbusige Allegorie der Freiheit in eine römische Arena einmarschieren. Oder sie stellen den Mord an Caesar in der stilisierten Ästhetik der japanischen Theaterform Kabuki dar. Obwohl der Film oft auf solche Nummern setzt, zerfällt er nicht in einzelne Eisoden. Seine Geschichte erzählt er stringent genug, um den in alle Richtungen ragenden Ideenreichtum zusammenzuhalten. Aber es ist auch die unermüdliche Bereitschaft zum Herumalbern und Ausprobieren, die »Cleopatra« einen unberechenbaren, anarchischen Flow verleiht, wie man ihn heute nicht mehr oft zu sehen bekommt.