Zama

Lucretia Martel zeigt den spanischen Kolonialismus in all seinen Absurditäten

 

Ein aufgeschreckter Blick ins Nebenzimmer: Eine Kiste kriecht über den Dielenboden. »Darunter steckt ein Knabe«, beeilt sich der Hausherr zu erklären. Aber zu sehen ist kein Knabe, nur die Kiste. Können wir es also mit Sicherheit wissen? Vieles in Lucretia Martels »Zama« ist unerklärlich, aber die surrealen Momente sind nicht Träume, Visionen oder Mythen wie im Magischen Realismus Lateinamerikas. Sie entspringen dem gesellschaftlichen Miteinander in all seiner Absurdität. »Zama« passt nicht in die Schublade des magischen Realismus.

 

Obwohl kunstvoll fotografiert und bis hin zu den Spätrokoko-Perücken perfekt ausstaffiert, wirkt »Zama« durch seine hyperreale Schärfe wie ein Fernsehfilm. Man erkennt, dass die verschwitzten Perrücken schlecht sitzen, ständig neu gerichtet werden müssen. In Paris tragen die Frauen zu der Zeit — wir befinden uns in der paraguayischen Provinz Ende des 18. Jahrhunderts — schon die viel schlichtere englisch inspirierte Mode. »Am besten erinnern sich jene an Europa, die nie dort waren«, sinniert die spanischstämmige Adelige Luciana, und es schwierig zu sagen, ob das eine gedankenverlorene Taktlosigkeit oder eine gezielte Spitze ist, denn nichts trifft auf Don Diego de Zama besser zu. Der steht als Magistrat zwar im Dienst der spanischen Krone, als gebürtiger americano verweigert ihm jedoch ein neues Gesetz jeden weiteren Aufstieg. So ersucht Zama den König um Rückversetzung nach Buenos Aires, wo Frau und Kind leben. Doch es tut sich nichts.

 

»Zama wartet« heißt die deutsche Übersetzung des Romans von Antonio di Benedetto, auf dem der Film basiert. Der Argentinier war nur deshalb weniger berühmt als sein Landsmann Jorge Luis Borges, weil er während der Militärdiktatur im Gefängnis landete und danach ins europäische Exil ging.

 

»Zama« erzählt zwar aus der Perspektive der Kolonialisten. Aber der Film stellt sie grundsätzlich in Frage. Etwa wenn ein regelmäßiges Knarren im Hintergrund die Aufmerksamkeit während des Gesprächs zwischen Luciana und Zama stört — erst die letzte Einstellung der Szene offenbart den schwarzen Sklaven, der seiner Herrin mit einer hölzernen Vorrichtung Luft zufächelt.

 

Durch diese Welt bewegt sich Zama als Agent eines ausbeuterischen System, das auch ihn fallen lassen wird,  sobald er seine Funktion erfüllt hat. Was Zama sich noch nicht eingestehen mag, verdeutlichen die Bilder: Sie untergraben ständig seine Autorität. Es braucht ihm nur ein Alpaka über die Schulter schauen, schon wirkt der ganze Mann lächerlich fehl am Platze, sein Blick nicht mehr ernsthaft, sondern nur leer. 

 

Die argentinische Regisseurin Lucrecia Martel erzählt oft von solch ziel- und heillosen Figuren, zuletzt 2008 in »Die Frau ohne Kopf«. Eigentlich wollte sie danach Héctor Germán Oesterhelds Comic-Klassiker »El Eternauta« verfilmen. Doch der Plan scheiterte. Damals las sie »Zama wartet«, dessen Adaption Martel nun endlich zur verdienten Aufmerksamkeit verhilft. Vielleicht hat gerade das lange Warten auf Erfolg Martel für den Stoff qualifiziert. Oft erschließt sich in »Zama« nicht sofort, wie viel Zeit sie mit nur einem Schnitt überbrückt. Wochen? Jahre? Hat sich gar eine Rückblende eingeschmuggelt? Man bleibt rätselnd zurück, mit dem Gefühl, die sich in den Bildern verbergenden Geheimnisse erst nach mehrmaligem Schauen lüften zu können. Nur die Klanglandschaften mit Insektenzirpen, Geschrei exotischer Vögel und Hundegebell reißen nie ab. Sie beschreiben ein ewiges, den Verwerfungen der Menschheit gegenüber indifferentes Kontinuum.