Ryuichi Sakamoto: Coda

Ein Dokumentarfilm zeigt den Komponisten

als behutsamen Sucher nach neuen Klängen

Ryuichi Sakamotos Werk ist typisch für einen Künstlertypus, der sich geschmeidig zwischen ganz verschiedenen Feldern bewegt, ohne dabei an künstlerischer Integrität einzubüßen: Mit dem Yellow Magic Orchestra schuf er um 1980 in Tokio quirlig-avancierten Techno-Pop, später komponierte er sanft-erhabene Filmmusik für Postkarten-Filme des etablierten Autorenkinos, flirtete mit Klassik und Weltmusik, schuf andererseits aber auch eine Reihe von Alben, die zwischen Coffeehouse-Pop und filigranem Ambient changieren. Hiesige Freunde intellektueller Elektronik schätzen ihn vor allem auch für seine Kollaborationen mit Alva Noto.

 

Von diesen Facetten vermittelt Stephen Nomura Schibles intim-fragiles Porträt »Ryuichi Sakamoto: Coda« einen guten Eindruck — nicht zuletzt dank eines privilegierten Zugangs zu Sakamotos audiovisuellem Archiv.

 

Dass »Coda« über weite Strecken, in denen Sakamoto (Jahrgang 1952) Rückschau hält, wie die Bilanz eines Lebens wirkt, hat einen handfesten Grund: Begonnen als Film über seinen Öko-Aktivismus im Zuge der Fukushima-Katastrophe, wandelt »Coda« sich bald zu einer Zeitkapsel über das Jahr 2014, in dem bei Sakamoto eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde: Ungewiss, ob er das Jahr überleben wird, macht er sich an die Arbeit an einem Album, das sich nicht zufällig an Johann Sebastian Bach und Andrei Tarkowski, beide große Trauerer und Melancholiker, orientiert.

 

Ziemlich stark ist »Coda« in seinen Werkstattbericht-Momenten: Sakamoto auf der behutsamen Suche nach neuen Klängen, etwa wenn er mit dem Streichbogen über ein Becken fährt, das so entstehende Gleißen sanft und präzise mit dem Finger moduliert und dabei rein analoge Klangwelten schafft, deren Ursprung man ohne weiteres im Computer verortet hätte. Oder wenn Sakamoto gleich zu Beginn ein Klavier inspiziert, das als Treibgut den Tsunami von 2011 überstanden hat.

 

Gelegentlich hängt Regisseur Schible einen Hauch zu lange an den Lippen des Meisters, der die eine oder andere eher triviale Einsicht im sinnierenden Gestus vorträgt. Aber es kommen auch immer wieder tiefsinnigere Momente: Wenn Sakamoto über das Ausklingen eines Klaviertons philosophiert etwa. Oder wenn er auf die Dialektik zwischen Natur und Industrie zu sprechen kommt, die im Klavier waltet: Eine Arena von Druck und energischem Gegendruck, von der aus Sakamotos sanftes Spiel abhebt, um so, mittels avancierter Menschentechnik, die Harmonie der Natur zu besingen.